Er fordert die Anerkennung eines palästinensischen Staates und lässt sich in der arabischen Welt als Held feiern. Der Westen übt Kritik.

Kairo. Der türkische Ministerpräsident beeindruckt in Kairo mit einem starken Auftritt in der Oper. Sein Einsatz für die Palästinenser, aber auch sein Bekenntnis zum säkularen Staat mit frommen Führern ließen aufhorchen. Gibt die Türkei den Takt für das neue Arabien an? Minutenlanger tosender Applaus und Hochrufe: Als der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan am Dienstagabend die Bühne der Oper von Kairo betrat, lag ihm das Publikum zu Füßen. Langer Applaus brandete erneut auf, als er Syriens Präsidenten Baschar al-Assad geißelte („Er geht mit Gewehrkugeln gegen sein Volk vor“), über Israel herzog („Ein Staat, der keine Gesetze kennt“) und Ägyptens Revolution vom Februar pries. Ein rhetorisch beschlagener Polit-Star ließ sich feiern.

Populär ist der türkische Regierungschef in Ägypten, seitdem er den israelischen Botschafter des Landes verwiesen hat. In Kairo hatten am Wochenende tausende wütende Menschen die israelische Botschaft gestürmt. In der Türkei wie in Ägypten lieferte das bullige Auftreten Israels in angespannten Situationen den Anlass für feindliche Reaktionen. Im Fall der Türkei war es die Tötung von neun türkischen Aktivisten, die im Vorjahr mit einem Boot die israelische Blockade des palästinensischen Gazastreifens brechen wollten. Die Ägypter verärgerte ein Zwischenfall bei der Verfolgung von Terroristen im Vormonat, bei dem Israelis irrtümlicherweise fünf ägyptische Grenzposten erschossen hatten. Unter all dem kocht aber die von beiden Bevölkerungen geteilte Empörung darüber, wie Israel insgesamt mit dem Palästinenser-Problem umgeht.

Vor der Arabischen Liga, dem Zusammenschluss von 22 arabischen Ländern, schlug Erdogan wenige Stunden vor dem Opern-Auftritt in diese Bresche. Deren Außenminister hatten am Vorabend beschlossen, das Begehren der Palästinenser auf Anerkennung ihres Staates vor der in anderthalb Wochen beginnenden UN-Vollversammlung zu unterstützen. Erdogan dazu: „Wir sollten Hand in Hand mit den Palästinensern gehen. Lasst uns gemeinsam die palästinensische Fahne bei den Vereinten Nationen hissen.“ Das waren Worte, die die Herzen der Araber höher schlagen ließen.

Manchen Ägyptern entging aber auch nicht, dass der Gast aus Ankara mit einer mächtigen Delegation von Geschäftsleuten angereist war, mit der er auch in die anderen arabischen Umbruch-Länder Tunesien und Libyen weiterreist. „Ich glaube schon, dass seine Haltung zu Israel aufrichtig ist“, meinte der 37-jährige Ingenieur Osama am Dienstag in Kairo. „Aber bei der Stärkung der Rolle der Türkei hat er vor allem die eigenen nationalen Interessen vor Augen.“ Tatsächlich fällt auf, wie die türkische Geschäftswelt schon seit Jahren ihre Netze über das Territorium des alten Osmanischen Reiches spannt, vom Balkan über Zentralasien bis in die Levante.

Andere bewunderten Erdogan offen. „Die Türkei tritt stark und selbstbewusst auf“, sagte der Arzt Mohammed Siradsch (28). „Wir, die Ägypter und andere Araber, laufen hinterher, nachdem wir gerade erst unsere Revolutionen hinter uns haben.“ Anhänger der islamischen Muslimbruderschaft bejubelten den Regierungschef wiederum, weil sie seine Verwurzelung im türkischen Islamismus vor Augen haben.

Genau das stimmte hingegen jene Bürger nachdenklich, denen das Erstarken der Muslimbrüder in ihrer Heimat suspekt ist. Die unter dem gestürzten Präsidenten Husni Mubarak verbotene, zum Teil aber auch geduldete Organisation ist gut aufgestellt. Sie könnte bei den Ende des Jahres geplanten ersten freien Wahlen erfolgreich abschneiden. „Wenn Erdogan gekommen ist, um die Verbindungen zur Bruderschaft und ihrer Partei Freiheit und Gerechtigkeit zu stärken, dann will ich ihn nicht in Ägypten“, betonte der Bankangestellte Wael Hanafi (32). „Ich bin ein frommer Muslim. Aber ich finde, dass die Religion nichts in der Politik verloren hat – diese würde nur ihre Reinheit beschmutzen.“

Doch Erdogan argumentierte ziemlich genau in diese Richtung, als er dem beliebten Fernsehsender Dream TV Rede und Antwort stand. „Fürchtet euch nicht vor dem säkularen Staat“, lautete seine Botschaft für Ägypten und die anderen Umbruch-Staaten der Region. „Der säkulare Staat ist nicht gegen die Religion gerichtet“, führte er weiter aus. „Ich stehe einem säkularen Staat vor, bin aber Muslim.“

Ein Staat dieser Art achte die Religion, halte aber zugleich zu allen Religionen die selbe Distanz, sagte Erdogan. Jeder habe das Recht, religiös zu sein oder nicht. Damit äußerte er Ansichten, die für die alten Herren in der Führung der Muslimbruderschaft schwer zu verdauen sein dürften. (dpa)