Nach dem Scheitern der Verhandlungen seien jetzt die Gerichte gefordert, so der Verband. Aber dennoch könnte die Reform noch beschlossen werden.

Berlin. Nach dem Scheitern der Verhandlungen über die Hartz-IV-Reform rät der Paritätische Wohlfahrtsverband den Betroffenen, höhere Leistungen notfalls einzuklagen. Da sich die Bundesregierung weigere, ein verfassungskonformes Gesetz vorzulegen, seien jetzt die Gerichte gefordert, erklärte der Wohlfahrtsverband in Berlin. Alle Betroffenen sollten Anträge auf einen höheren Regelsatz sowie Bildungsleistungen für ihre Kinder stellen und bei einer Ablehnung klagen.

Die Bundesregierung sei für das Scheitern der Gespräche verantwortlich, sagte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Wohlfahrtsverbandes. Die Opposition hätte den Vorschlägen überhaupt nicht zustimmen können, da der Regelsatz von 364 Euro für Erwachsene nach Ansicht nahezu aller Experten nicht verfassungskonform sei. Das geplante Bildungspaket wäre nach Ansicht des Verbandes sofort umsetzbar, auch ohne eine Einigung zwischen Bund und Ländern. Dafür brauche es keine gesetzliche Änderung.

Die Regierungskoalition wird nach Einschätzung der SPD am Freitag mit ihrer Hartz-IV-Reform im Bundesrat scheitern. Es werde nicht gelingen, ein Land herauszubrechen, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel in Berlin. In der Nacht waren die Verhandlungen über die Neuregelung des Arbeitslosengeldes II gescheitert. Opposition und Regierung geben sich gegenseitig die Schuld. Union und FDP haben im Bundesrat keine eigene Mehrheit und hoffen, dass etwa ein finanzschwaches Land oder das von CDU, FDP und Grünen regierte Saarland dem Vorhaben zu einer Mehrheit verhilft. Der Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, sagte, nach einer Abstimmungsniederlage der Koalition im Bundesrat müsse ab Montag weiterverhandelt werden.

Regierung und Opposition war es auch in der Nacht in Berlin nicht gelungen, sich auf eine Neuberechnung der Regelsätze zu einigen, die das Bundesverfassungsgericht verlangt hatte. Nach dem Urteil des Gerichts vom 9. Februar 2010 hätte die Hartz-IV-Reform bereits zum 1. Januar 2011 in Kraft treten müssen. Das Vermittlungsverfahren zwischen der schwarz-gelben Mehrheit Bundestag und dem Bundesrat, in dem die SPD-geführten Länder die Regierungspläne stoppten, scheiterte nach sieben Wochen vor allem am Streit um die künftigen Regelsätze. Die Bundesregierung will für die 6,5 Millionen Hartz-IV-Empfänger den Regelsatz um fünf Euro auf 364 Euro erhöhen. SPD und Grünen sowie der Linken, die nicht an den Verhandlungen beteiligt ist, ist das zu wenig.

Nachdem die Kompromissgespräche von Koalition und Opposition zur Hartz-IV-Reform gescheitert sind, gibt es für den Fortgang des Verfahrens mehrere Möglichkeiten:

Mit seiner schwarz-gelben Mehrheit billig der Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag das Hartz-IV-Paket mit den Vorschlägen der Koalition – gegen die Opposition. Dies nennt man ein „unechtes Vermittlungsergebnis“. Für Gesetze, die wie das Hartz-Paket nur mit Zustimmung des Bundesrats in Kraft treten können, ist dies ein ungewöhnliches Verfahren, sagen Fachleute. Einen Grund zur Beanstandung sehen sie aber nicht.

Am Freitag steht dann das Hartz-Paket in der nachgebesserten Koalitionsversion im Bundesrat zur Abstimmung. Dort hat Schwarz-Gelb keine eigene Mehrheit. Es reicht aber, wenn eines der Bundesländer mit Regierungsbeteiligung von SPD oder Grünen dem Vorhaben zustimmt. Bei der Entscheidung im Dezember war die Hartz-Reform an der rot-grünen Sperrminorität gescheitert. Das von einer schwarz-gelb-grünen Regierung geführte Saarland und eventuell auch das schwarz-rot regierte Sachsen-Anhalt gelten als mögliche Wackelkandidaten. Die Bundesregierung hat Hoffnung, dass sich deren Haltung noch ändert, weil sie dem Angebot einer Milliardenentlastung für die Kommunen nicht widerstehen können. Dann könnten der um 5 auf 364 Euro erhöhte Regelsatz für Hartz-IV-Empfänger, das Bildungspaket für die bedürftigen Kinder und die Milliarden-Entlastung für die Kommunen bei den Sozialhilfeausgaben rückwirkend zum 1. Januar in Kraft treten.

Sollte das nachgebesserte, vom Bundestag mit schwarz-gelber Mehrheit verabschiedete Hartz-Paket im Bundesrat aber wieder durchfallen, geht alles von vorne los: Der Bundestag ruft den Vermittlungsausschuss an – und alle Beteiligten müssen wieder an den Verhandlungstisch zurück. Ein neues Tauziehen zwischen Koalition und Opposition ist dann zu erwarten. Es könnte sich bis nach den Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz am 27. März hinziehen.