Ein deutsch-serbisches Aufeinandertreffen - wie heute bei der WM - hat die Familie aus Bergedorf täglich. Sympathien sind klar verteilt.

Hamburg. "Über einen deutschen Sieg müssen wir gar nicht erst sprechen", sagt Natasa. Serbien gewinne das heutige Duell mit Deutschland ohnehin 2:1, deshalb erübrige sich jede weitere Diskussion über den Ausgang des Spiels. Das geht ja gut los.

Überhaupt sind die Sympathien am Tisch der deutsch-serbischen Familie klar verteilt: hier Mutter Petra, einziger Deutschlandfan, da die Serbienfraktion mit Sohn Mile, den Töchtern Milena und Natasa sowie Eheman Stanisa. Reibereien scheinen angesichts dieses Gefüges programmiert. "Nein, nein", beschwichtigt Petra Petrovic. "Beim Fußball sehe ich das nicht so verbissen, eigentlich interessiert mich das auch nur am Rande. Deshalb geraten wir auch kaum aneinander. Und wenn Deutschland heute 3:1 gewinnt, hat sich die Sache sowieso erledigt." Aha, die kleine Gemeinheit musste noch sein, weshalb die Replik von Ehemann Stanisa nicht lange auf sich warten lässt. "Wir sehen uns im Finale!"

Eigentlich ist der Alltag der Bergedorfer Familie Petrovic von Harmonie geprägt. Petra, gebürtige Deutsche, arbeitet als Buchhalterin, Stanisa, gebürtiger Serbe, als Hauptagenturleiter der Volksfürsorge. Bei den drei Kindern wird sowohl das deutsche als auch das serbische Brauchtum gepflegt. So besuchen Mile,13, Natasa, 10, und Milena, 7, heimische Schulen, aber einmal pro Woche auch eine serbische. Zudem werden Volkstänze vom Balkan innerfamiliär regelmäßig zur Aufführung gebracht. Alles schön schiedlich-friedlich.

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Vor dem heutigen WM-Duell spitzt sich die Lage allerdings zu. Freundschaftlich, versteht sich, aber merklich. Großen Anteil daran trägt Familienvater Stanisa. Als Elfjähriger kam er nach Hamburg. Überzeugter Fußballfan ist er aber bereits seit der "Nacht von Belgrad". Jenem Abend im Jahr 1976, an dem Uli Hoeneß den entscheidenden Elfmeter-Ball im EM-Finale gegen die Tschechoslowakei im jugoslawischen Nachthimmel statt im Tor versenkte. Spätestens da entfachte in ihm das Feuer der Fußball-Leidenschaft, und das überträgt sich nun auf die Familie - zugunsten der serbischen Nationalfarben.

Wenn die Familie könnte, würde sie das Spiel heute dennoch zusammen verfolgen. Aller Fußballrivalität zum Trotz. Aber die beiden Mädchen sind im Hort, Mama muss arbeiten, und Papa guckt mit Kollegen in einem Bergedorfer Biergarten. Nur Mile hat kurz vor Anpfiff Schulschluss und sieht sich das deutsch-serbische Duell mit einem Kumpel an. Ein Deutschlandfan. "Aber wir werden uns vertragen. Auch wenn Serbien 1:0 gewonnen hat."

Und was passiert im anscheinend unwahrscheinlichen Fall, dass Deutschland gewinnt - und Serbien die Segel im Turnier streichen muss? "Das wird nicht geschehen", sagt Natasa, wohingegen ihr Vater einräumt: "Auch dann wird sich die Welt weiterdrehen. Es wäre zwar traurig, und ich würde zwei Tage zum Verdauen brauchen, aber es ist nicht der Weltuntergang."

Seine dezidierte Meinung zur serbischen Nationalelf: "So viele Stars, so viel Potenzial, aber Deutschland hat das stärkere Kollektiv." Deshalb müssten die Serben berauschenden Offensiv-Fußball zeigen, um heute zu bestehen. "Fakt ist: Der Ball muss ins Tor. Da tun wir uns schwerer als die Deutschen, die im ersten Spiel wirklich eiskalt ihre Chancen genutzt haben." Falls seine Landsleute tatsächlich ausscheiden, drücke er Argentinien die Daumen. "Oder Südkorea. Ich mag die Außeseiter."

Natürlich sympathisiere die ganze Familie zweitrangig auch mit Deutschland, "es ist das Land, in dem wir leben". Und Podolski, Schweinsteiger oder Klose sind gute Spieler. Aber in erster Linie versteht sich die Familie als Hamburger. "Hamburg ist meine Heimat", sagt Stanisa, weswegen er - selten genug - sowohl dem HSV als auch dem FC St. Pauli Zuneigung entgegenbringt.

Heute sind die Fronten aber klar abgesteckt, zwei gleichwertige Gönnerschaften kommen gar nicht in die Tüte - vier zu eins Stimmen für einen serbischen Sieg. Wobei Petra Petrovic zwar in der Minderheit ist, aber mit einem 4:0-Auftaktsieg im Rücken die nötige Gelassenheit mitbringt. "Nach dem voraussichtlich zwei Tage andauernden Groll meines Mannes kehrt auch wieder Normalität in unseren Alltag ein." Sagt's und grinst. Seit 1996 ist das Paar verheiratet, und bisher ist immer alles gut gegangen. Warum sollte es nach dem Spiel anders sein? Es ist doch nur ein Tag, es ist doch nur Fußball.