Technisch-handwerkliche Berufe sind keine Männersache – als Industriemechanikerin wartet auf junge Frauen eine spannende Ausbildung

Wenn Janika Siegel an der Drehmaschine steht, kommt es auf jeden hundertstel Millimeter an. Gerade mal so viel beträgt die Toleranz für den Durchmesser des Lagerbolzens, den die 20-Jährige nacharbeitet. Stahlspäne wirbeln durch die Luft, während der Bolzen rotiert. Immer wieder prüft Siegel zwischendurch mit einer Bügelmessschraube, ob sie noch etwas vom Werkstück abnehmen muss.

An der Drehmaschine stand die blonde Frau im Blaumann inzwischen schon mehrfach, denn sie befindet sich bereits im dritten Jahr ihrer Ausbildung zur Industriemechanikerin beim Gabelstapler-Hersteller Still. Eine Lehre im Büro kam nach der Schule für sie nicht infrage: „Papierstapel abarbeiten ist nichts für mich.“ Was sie wirklich wollte, wusste sie aber erst nach einem Tag der offenen Tür beim Maschinenbauer Hauni, dort probierte sie sich an der Dreh- und Fräsmaschine: „Es war einfach toll zu sehen, wie aus dem Rundstahl ein Teelichthalter entstand“, sagt Siegel. Wenige Tage später bewarb sie sich für eine Ausbildung zur Zerspanerin und zur Industriemechanikerin.

„Wir möchten mehr weibliche Azubis auch in unseren typischen Männerberufen“, sagt Andreas Gschwill, Ausbilder bei Still. Sie würden nicht nur einen freundlicheren Umgangston in die Werkhallen bringen sondern seien oft auch besonders ehrgeizig und Männern feinmotorisch überlegen, beispielsweise bei der Arbeit an kleinen elektro-mechanischen Baugruppen. „Es gibt aber leider immer noch zu wenig Bewerberinnen für die technischen Berufe“, sagt Gschwill.

Agnes Rechter befindet sich bei Still im zweiten Ausbildungsjahr zur Industriemechanikerin. Die 18-Jährige zierliche Frau mit den langen braunen Haaren besuchte nach der Realschule noch ein Jahr eine Schule für Metalltechnik. „Geschraubt habe ich schon immer gerne“, sagt sie, nicht nur am VW-Bus der Familie, auch alle Ikea- Möbel in ihrem Zimmer habe sie einmal auseinander- und wieder zusammenmontiert. In der Schulzeit absolvierte sie Praktika in einem Kindergarten und bei einem Makler, aber erst das zweiwöchige Praktikum in einem Aluminium-Baubetrieb weckte ihre Begeisterung. „Ich bin einfach eine leidenschaftliche Schrauberin“, sagt sie und grinst. Zu sehen, wie aus vielen kleinen Teilen zusammen langsam das große Ganze entsteht, fasziniere sie immer wieder aufs Neue.

Für ihren Ausbildungsplatz mussten Siegel und Rechter bei Still einen Einstellungstest absolvieren, in dem nicht nur Deutsch und Mathe geprüft wurden, sondern auch das soziale Verhalten in der Gruppe sowie handwerkliches Geschick und technisches Verständnis. Für Rechter keine Hürde. Zurzeit erweitert sie ihr Können bei Still in der Abteilung Dachbau. Das Team passt hier den Fahrerplatz eines jeden Staplers je nach Kundenwunsch am Ende des Fertigungsprozesses individuell an. Das kann ein abgesenkter Rahmen sein, Extra-Suchscheinwerfer oder eine Steuerung per Fingertipp statt per Joystick. Die dafür nötigen Einzelteile werden in der Abteilung zusammengeschraubt und montiert.

Siegel ist zurzeit in der Fertigung für Hubgerüstteile eingesetzt. Um unterschiedliche Werkstücke zu bearbeiten, steht sie etwa an der CNC-Fräsmaschine. Dafür startet sie zuerst das Programm der computergesteuerten Anlage, auf einem Bildschirm kann sie die Arbeitsgänge kontrollieren. Einen Großteil der Fräsarbeit übernimmt die Maschine, deshalb muss Siegel sich später mit der Technik und der CNC-Maschine auskennen. Demnächst möchte sie einen CNC-Kurs besuchen, um auch die Programme selbst schreiben zu können. „Aber ich schweiße hier auch oder fräse per Hand“, sagt Siegel.

Zu Beginn ihrer Lehrzeit arbeitete sie 20 Wochen in der Ausbildungswerkstatt, anschließend in den Abteilungen Dachbau, in der Blechschlosserei und in der Instandhaltung. Vor ihr liegen noch Fahrzeugmontage, Schwerfahrzeugmontage, Prototypenbau, Entwicklung und Werkstoffprüfung. Fräsen, Drehen, Bohren, Feilen, Gewinde schneiden, richtig verschrauben – all das hat sie bereits gelernt. „Die Ausbildung bietet sehr viele unterschiedliche Aufgaben, langweilig wird es nie“, sagt Siegel.

Aufmerksamkeit gilt dabei stets als höchstes Gebot an den Maschinen. „Wer nicht konzentriert arbeitet, verursacht schnell einen Unfall“, sagt Siegel. Auch die Vorschriften im Arbeitsschutz sind zur eigenen Sicherheit einzuhalten. So trägt sie zum Beispiel eine Schutzbrille, Sicherheitsschuhe, Arbeitshandschuhe und ihr Haar zum Zopf gebunden. Wegen der lauten Maschinen ist ein Gehörschutz Pflicht.

In der Blechschlosserei, wo Siegel noch vor einigen Wochen arbeitete, müssen täglich Hunderte Kilo bewegt werden. „Aber inzwischen gibt es dafür ja auch Hebevorrichtungen und Kräne“, sagt sie. Schließlich zählen heute doch auch in der Werkshalle Köpfchen, Teamgeist und Geschicklichkeit mehr als Muskeln. „Die jüngeren Mitarbeiter akzeptieren uns voll“, sagt Rechter. Bei den alten Hasen müsse man manchmal noch beweisen, dass eine Frau den Job genauso gut hinbekommt. Bisher haben die beiden Mädchen im Blaumann das am Ende immer geschafft.