Was sollten Vorgesetzte tun, die glauben, jemand im Team könnte psychisch krank sein? Lesen Sie hier die Tipps des Experten.

"Psychische Erkrankungen sind heute die dritt- bis vierthäufigste Ursache für eine Krankschreibung", sagt Management-Coach Gisbert Stein. "Doch schon im Jahr 2020 werden sie die häufigste Ursache sein - da stimmen die Prognosen der verschiedenen Krankenkassen überein."

Direkte Vorgesetzte bekommen es schnell mit, wenn sich ein Mitarbeiter merkwürdig verhält. Die Bandbreite der Auffälligkeiten bei psychischen Erkrankungen ist dabei groß. Doch es gibt Warnzeichen, aufgrund derer Vorgesetzte den Mitarbeiter zum Gespräch einladen sollten. "Und zwar sind das Verhaltensänderungen jeder Art", sagt der Berater. Ist ein Mitarbeiter also entgegen seiner Art über Wochen besonders unkonzentriert, in seinen Stimmungen sehr schwankend, zurückgezogen, müde oder auffällig euphorisch, kann eine Erkrankung dahinterstecken.

Rückschlüsse auf die mögliche persönliche Ursache oder die Art der Erkrankung sollte der Vorgesetzte nicht ziehen. Zwar könne es auf eine Überlastungsstörung hinweisen, wenn sich ein Mitarbeiter zurückzieht, erklärt Stein. "Genauso ist es aber bei einer Überlastungsstörung möglich, dass der Betroffene besonders aktiv wirkt und sich ständig für Überstunden anbietet."

Im Gespräch sollten Führungskräfte keine Schuld zuweisen und erst recht keine Diagnose stellen. "Besser ist es, seine Beobachtungen zu schildern und Hilfe anzubieten", sagt Gisbert Stein. Ein guter Einstieg sei zum Beispiel, "Ich mache mir Sorgen um Sie". Zu vorsichtig in der Wortwahl müsse man aber nicht sein. Eine Aussage wie: "Ich mache mir Sorgen, dass Ihr Verhalten durch ein psychisches Problem verursacht sein könnte, aus dem Sie allein nicht mehr herauskommen", hält der Berater für völlig legitim.

Die Reaktion der Betroffenen ist oft Abwehr. Viele haben Angst vor einer Stigmatisierung aufgrund der psychischen Erkrankung. "Oder es ist ihnen krankheitsbedingt gar nicht möglich, auf die Hinweise des Vorgesetzten einzugehen", sagt Stein. Dem Mitarbeiter ein paar Tage Zeit zum Nachdenken zu geben, ist dann der beste Weg. War der Vorgesetzte nicht der Einzige, der den Beschäftigten auf sein Verhalten angesprochen hat, steigen übrigens die Chancen, dass dieser sich eingesteht, dass er Hilfe braucht. Stein: "Das ist wie ein Fass, das mit jedem Tropfen voller wird. Jedes Gespräch, mit dem Vorgesetzten, mit Kollegen oder dem Partner, bringt es dem Überlaufen näher."

Was es in Firmen an Hilfsangeboten gibt, ist unterschiedlich. "Größere Unternehmen haben Sozialberater", erklärt Stein. Auch der Betriebsarzt kann Anlaufstelle sein. "Manche bieten externe Mitarbeiterberatung an, bei der Betroffene Kontakt zu einem neutralen Dienstleister aufnehmen können." Im Gespräch mit dem Mitarbeiter sollte der Vorgesetzte auf vorhandene Möglichkeiten hinweisen. "Wird nur gesagt, 'tun Sie jetzt mal etwas', fühlt sich der Mitarbeiter allein gelassen." Dann tut sich meist nichts. "Fehlen Hilfsangebote im Unternehmen, sollte der Vorgesetzte zumindest auf psychosoziale Beratungsstellen oder niedergelassene Fachärzte hinweisen können", sagt Gisbert Stein. Aber das ganz konkret: mit Telefonnummer oder Internetadresse.

Etwa vier Wochen später wird ein zweites Gespräch angesetzt. Was hat sich verändert? Welche Maßnahmen hat der Mitarbeiter eingeleitet? "Ist nichts passiert und die Auffälligkeiten bezüglich der arbeitsvertraglicher Verletzungen dauern an, kann es zur Abmahnung kommen", sagt Stein. "Aber der Mitarbeiter sollte auch wissen, dass er seinen Arbeitsplatz nicht dadurch gleich verlieren kann, dass er krank ist."