Hamburg ist einer der interessantesten Logistik-Standorte weltweit. Doch die Branche spürt den Fachkräftemangel.

Tim Kurth ist Sprecher der Regionalgruppe Hamburg der Bundesvereinigung für Logistik (BVL).

Hamburger Abendblatt: Herr Kurth, wenn Sie in ein paar Sätzen für die Logistik-Branche in Hamburg werben sollten - was würden Sie sagen?

Tim Kurth: Hamburg ist mindestens europa-, wenn nicht sogar weltweit einer der interessantesten Logistik-Plätze. Grund dafür ist die Vielfältigkeit und Internationalität der Branche, die man in Hamburg und im Umland findet. Wir haben Hafen und Flughafen, gute Bahn- und Straßenanbindung und auch die gesamte Logistik rund um die Binnenschifffahrt. Darüber hinaus gibt es zahlreiche produzierende Unternehmen, große Handelsunternehmen und Logistikdienstleister. Ich will nicht sagen, dass Hamburg das Paradies für Logistiker ist, aber es ist doch sehr nahe dran.

Fehlt es schon an Fachkräften?

Kurth: Teilweise. Vor einigen Jahren bekam man zum Beispiel 120 bis 150 Bewerbungen, wenn man eine durchschnittliche Logistikleiter-Position ausschrieb. Heute sind es zehn bis 15 Bewerbungen. Das hat aber auch mit der allgemeinen wirtschaftlichen Lage zu tun. Zurzeit überlegt sich jeder genau, ob er einen Jobwechsel wagt.

Wie gehen Arbeitgeber damit um?

Kurth: Etwa 70 bis 80 Prozent treffen Maßnahmen und versuchen, möglichst früh potenzielle Mitarbeiter durch das Angebot von Praktika oder Diplomarbeiten zu binden. Viele gehen auch schon in Schulen hinein, um Jugendliche für die Logistik zu begeistern. Die BVL selbst hat vor einigen Jahren den Tag der Logistik eingeführt.

In der BVL-Studie "Frauen in der Logistik" heißt eines der Ergebnisse: Frauen fremdeln noch mit der Branche, aber die Arbeitgeber wollen sie schon gern haben.

Kurth: Einen gesunden Mix in der Firma zu haben ist ja auch sehr sinnvoll. Er kann eine Abgrenzung zu Arbeitgebern darstellen, die sich nicht um das Thema Vielfalt kümmern. Tatsächlich sehen wir bei der BVL einen positiven Trend: Inzwischen sind ein Drittel unserer studierenden Mitglieder weiblich. Allerdings muss man auch sehen, dass es in den Firmen zurzeit nur zwölf Prozent Mitarbeiterinnen gibt. Da müssen wir noch ein bisschen warten, bis die heutigen Studentinnen ihren Abschluss haben. Eine Grundvoraussetzung ist natürlich, dass man gerade Frauen nach der Familiengründung die Möglichkeit bietet, adäquat beschäftigt zu bleiben. Firmen werden einen erheblichen Vorsprung gegenüber anderen Arbeitgebern haben, wenn sie ihren Mitarbeitern flexible Arbeitszeiten und Kinderbetreuung bieten und kooperativ auf familiäre Schwierigkeiten, zum Beispiel Schulprobleme, reagieren.

Was sind Trends in der Logistik? Und welche Mitarbeiter, welche Qualifikationen braucht die Branche dafür?

Kurth: Die Anforderungen in der Logistik sind stark gestiegen. Über eine analytische Begabung hinaus braucht man auch ausgeprägte Kommunikationsfähigkeit. Und ohne Fremdsprachen, vor allem Englisch, geht kaum noch etwas. Das wird schon fast so klar vorausgesetzt wie ein Führerschein. Ein anderes großes Thema ist die Digitalisierung: entsprechende IT-Tools, die die Firma intern und mit den Lieferanten und Kunden vernetzen, sind heute unerlässlich. Als Drittes würde ich die Nachhaltigkeit nennen. CO2-Ausstoß, Energieeffizienz - das sind Themen, die auch auf die Logistik starken Einfluss haben. Und viertens geht es in der Logistik um Urbanisierung, das heißt um die Konzentration auf große Ballungszentren. Dort dreht es sich zum Beispiel um die Frage, wie man die Ver- und Entsorgung einer so großen Anzahl von Haushalten organisiert. Dementsprechend braucht man Mitarbeiter mit den passenden Qualifikationen, also auch logistikfremde Fachleute wie Informatiker, Umweltexperten, Juristen oder Stadtentwickler.