Karrierewege: Soner Canbulat leitet die Hamburger TNT-Niederlassung. Ihn treibt die Freude an Kommunikation und innovativen Ideen an

Kaum ein Mensch ist zu sehen auf dem ausladenden, asphaltierten Vorplatz der TNT-Niederlassung in Moorfleet. Hohe Gitterzäune umgeben den massiven Zweckbau. Wie Spielzeugfahrzeuge wirken die drei TNT-Anhänger im Firmen-Orange an der Rampe vor der hoch aufragenden Fassade. Ein Hauch von Utopia am Stadtrand.

Wen es vor dem Haus noch fröstelt, der taut in seinem Innern schnell auf. Vor allem dann, wenn er bei Soner Canbulat zu Gast ist. Der seit 2008 verantwortliche Niederlassungsleiter begrüßt seine Besucher mit kräftigem Händedruck und strahlendem Lächeln. Vor dem Schreibtisch seines Büros steht ein Tisch mit sechs Stühlen. An den Wänden prangen großformatige Fotos mit Hamburg-Motiven: von der Alster und dem Hafen bei Nacht. Darunter, auf einem Sideboard, stehen drei TNT-Spielzeuglaster. Wie sich im Gespräch herausstellt, repräsentiert jedes dieser Einrichtungsdetails einen Teil der Persönlichkeit des 43-Jährigen - und seine Karriere bei einem der größten Transport-Dienstleister Deutschlands. "Mein Blut ist mittlerweile orange", sagt Canbulat und lacht.

Seine Laufbahn bei TNT begann Ende 1991. Damals suchte das Unternehmen über eine Stellenanzeige im Hamburger Abendblatt Mitarbeiter für verschiedene Positionen. "Die Anzeige mit Fotos von Flugzeugen und Lkw hat mich instinktiv angesprochen. Da wollte ich hin", sagt Canbulat.

Soner Canbulat war als Zweijähriger mit seinen Eltern und zwei Geschwistern aus der Türkei nach Hohenlockstedt in Schleswig-Holstein gezogen. Nach Abschluss der Höheren Handelsschule in Elmshorn absolvierte er eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann bei eine Sanitär- und Heizungsfachgeschäft in Itzehoe, die ihn nicht zufriedenstellte. "Ich sah dort einfach langfristig keine Perspektive für mich." Bei TNT gab es die: In der Personalabteilung empfahl man Canbulat für den Kundendienst. Seine geduldige und verbindliche Art prädestiniere ihn für Gespräche mit teils aufgebrachten Auftraggebern, die nach dem Verbleib ihrer Sendungen fragten. "Tracking and Tracing (elektronische Sendungsverfolgung, d. Red.) gab es noch nicht", sagt Canbulat. "Da mussten wir oft lange hinter den Sendungen hertelefonieren, die meist beim Zoll gestrandet waren."

Schon damals reizte ihn die Größe und Internationalität des niederländischen Unternehmens. Derzeit beschäftigt TNT an rund 40 Standorten in Deutschland mehr als 4000 Mitarbeiter. 1800 TNT-Fahrzeuge sind täglich zwischen Nordsee und Alpen unterwegs. Insgesamt hat das weltumspannende Netzwerk gut 2650 Niederlassungen, 80 000 Mitarbeiter, 30 000 Fahrzeuge, 40 Flugzeuge. TNT setzt jährlich sieben Milliarden Euro um.

Dass ihm die neue Aufgabe "wahnsinnigen Spaß" machte, lag vor allem am internationalen Flair, das sich in der Arbeit mit Kollegen aus aller Welt einstellte. "Alle im Raum sprachen Englisch oder eine andere Sprache, so kam die große Welt ein Stück weit ins eigene Leben hinein", sagt Canbulat, der außer Deutsch und Türkisch auch Englisch, Französisch und Spanisch spricht.

Nach eineinhalb Jahren stieg er erst zum Stellvertreter der Abteilung, dann zum Kundendienstleiter auf. Vier Jahre später, Ende 1997, beförderte ihn TNT zum Niederlassungsleiter in Kassel. Dort war er für 50 Mitarbeiter verantwortlich - und musste außer dem Kundendienst auch die Vertriebsmannschaft auf ihre Umsatzziele einschwören. Zahlreiche interne Kommunikations-Seminare hatten Canbulat auf diese Aufgabe vorbereitet, doch noch mehr vertraute er seiner Menschenkenntnis und der Gabe, "situativ" führen zu können. "Jeder Mitarbeiter braucht eine individuelle Ansprache", sagt er. Manche vertrügen Kritik, andere weniger. "Der eine kann sich selbst zu Höchstleistungen treiben, andere, sehr viele brauchen viel Lob und Ermutigung."

Er selbst brauchte vor allem seine "Herzensstadt" Hamburg - womit sich auch die stimmungsvollen Bilder von seiner Wahlheimat erklären. Nach zwei "endlosen Jahren in Kassel" siegte das Heimweh über seinen Ehrgeiz: Um wieder bei Familie und Freunden sein zu können, bewarb er sich bei TNT intern auf die Stelle des Kundendienstleiters für die Region Norddeutschland. Ein Befreiungsschlag: "Für mich war Karriere nie das Wichtigste im Leben. Würde ich nur wegen des Geldes arbeiten, hätte ich nie erfolgreich sein können."

Die Kommunikation mit Menschen ist für Canbulat eine Art Lebenselixier. So steht der Konferenztisch in seinem Büro für sein Bedürfnis nach Austausch mit seinen Mitarbeitern. "Auf Augenhöhe", wie er betont. Jeden Tag versammelt er seine acht Abteilungsleiter für eine kurze Besprechung. Auf den Tisch kommen Umsatz- und Verkaufszahlen ebenso wie Personalfragen. "Diese regelmäßige Lagebesprechung ist wichtig, um uns gegenseitig auf den neuesten Stand zu bringen und gleichzeitig den Zusammenhalt zu stärken."

Dass er heute die Niederlassung Hamburg leitet, verdankt er vor allem seiner zweiten Karriere im Vertrieb und Verkauf, die er im Jahr 2000 startete und die mit der Position als Vertriebsleiter Deutschland im Jahr 2004 ihren Höhepunkt erreichte. Seine Gabe, Menschen zu motivieren, war auch diesmal der Schlüssel zum Erfolg. "Ich habe die Mitarbeiter ermutigt, aus der Sicht des Kunden zu denken und auf diese Weise innovative Verkaufsideen zu entwickeln", sagt Canbulat. So habe eine Firma, die Krankenhäuser mit Reinigungsmitteln beliefert, sämtliche Lager aufgelöst und verschicke ihre Ware direkt über TNT. "Wir haben ihnen vorgerechnet, dass sie trotz hoher Transportkosten am Ende viel Geld sparen."

An Vorbildern habe er sich nie bewusst orientiert, sagt Soner Canbulat. Generell hätten ihn aber immer Menschen fasziniert, die ihre Mitarbeiter fair behandeln und bei allem eine große Ruhe ausstrahlen. Der Krebstod seiner Mutter mit nur 63 Jahren hat sein Bewusstsein für die Endlichkeit des Lebens geschärft. "Wir haben allen Grund, für jeden Tag dankbar zu sein und sollten uns nicht über Kleinigkeiten ärgern oder über Dinge, die wir ohnehin nicht mehr ändern können." Klaglos akzeptiert er deshalb auch, dass ihm ein Studium verwehrt blieb. "Meine Eltern hatten einfach nicht das Geld." Stattdessen beobachtete er, lernte daraus und nutzte interne Seminare zur Fortbildung.

2008 machte TNT Soner Canbulat zum Leiter der Niederlassung Hamburg. Ein Glücksfall für den Lokalpatrioten. Die beiden Hamburg-Motive seien übrigens die ersten Anschaffungen für sein neues Büro gewesen: "Ich habe meinen Traumjob in der schönsten Stadt der Welt. Das muss ich mir einfach jeden Tag vor Augen führen."