Arbeitsrechtlich ändert sich für die Beschäftigten so gut wie gar nichts - emotional dagegen alles.

Immer öfter rufen die Gläubiger an. Immer seltener ist der Chef für sie zu sprechen. Auf den Fluren wird getuschelt, und das Gehalt ist auch noch nicht auf dem Konto. Zeit zu handeln: "Gehaltsrückstände sollten Sie schnell schriftlich geltend machen", rät Dr. Volker Bahnsen, Arbeitsrechtler der Anwaltssozietät Wiegel Ihde Ekrutt + Partner in Hamburg. "Mitunter gibt es Ausschlussfristen im Arbeits- oder Tarifvertrag." Werden sie überschritten, verfällt der Anspruch. "Und in Tarifverträgen können diese Fristen recht kurz sein, durchaus weniger als drei Monate."

35 000 Unternehmen werden Ende dieses Jahres deutschlandweit Pleite gemacht haben - 19,5 Prozent mehr als noch 2008. Das prognostiziert der Kreditversicherer Euler Hermes. Von der Pleitewelle besonders bedroht sind laut Euler Hermes die Branchen Industrie, Handel und Dienstleistungen.

In Hamburg scheint der Anstieg nicht ganz so gravierend auszufallen. Im ersten Quartal 2009 registrierte das Statistische Landesamt Nord 151 Insolvenz-Anmeldungen (von denen 126 eröffnet wurden). Das ist ein Plus von 4,9 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Im Gesamtjahr 2008 hatten 643 Firmen mit 2053 Mitarbeitern Insolvenz angemeldet - auch das war allerdings schon ein Plus von 8,4 Prozent im Vergleich zu 2007.

Arbeitsrechtlich hat die (drohende) Insolvenz kaum Auswirkungen für die Mitarbeiter. "Nur dass jetzt der Insolvenzverwalter das Zepter führt und nicht mehr die Geschäftsleitung", erklärt Dr. Sebastian Baum, Arbeits- und Gesellschaftsrechtler der Hamburger Anwaltskanzlei Raupach & Wollert-Elmendorff. "Das heißt aber natürlich auch, dass der Arbeitnehmer weiter seine Leistung bringen muss." Auf Jobsuche gehen, während man am Firmenrechner sitzt - das zum Beispiel ist nicht drin. "Wenn man keine offizielle Erlaubnis dazu hat, kann man natürlich auch in der Insolvenz dafür eine Abmahnung kassieren", warnt Rechtsanwalt Baum.

Rutscht das Unternehmen in die Zahlungsunfähigkeit, ist das für die Beschäftigten vor allem emotional ein Höllenritt. "Für den Mitarbeiter ist das so ähnlich, wie wenn eine Paarbeziehung endet", erklärt der Psychologe Dieter Bischop, Inhaber der Unternehmensberatung Dr. Bischop & Partner in Kiel. Am Anfang sei man unsicher, wie verlässlich die Beziehung noch sei, dann erhalte man Klarheit über die Situation, fühle sich vielleicht verletzt, resigniert, werde wütend und traurig. "Wenn man das Gefühl hat, mit einem wird respektlos umgegangen, demotiviert das natürlich", sagt Bischop.

"Im betroffenen Unternehmen zeigt sich die ganze Palette sozialpsychologischer Phänomene", erläutert Peter Friederichs, Psychologe und Vorstandsvorsitzender des Human-Capital-Clubs e. V. mit Sitz in Kirchheim bei München. "Die Mitarbeiter der einen Abteilung spalten sich ab und brüten nur noch vor sich hin, andere beginnen sich zu solidarisieren. Ein 30- oder 40-Jähriger nimmt das vielleicht als Anstoß, etwas Neues zu wagen, ein älterer Mitarbeiter gerät unter Druck und entwickelt möglicherweise psychosomatische Beschwerden. Es kann auch zu Mobbing kommen", zählt Friederichs einige der Auswirkungen auf.

Wenn Unternehmen das Thema Insolvenz mit ihren Mitarbeitern rein auf der Sachebene angehen, machen sie einen Fehler, betont Dieter Bischop. Und diesen Fehler begingen viele. "Stattdessen wäre es sinnvoll, dass sich das Unternehmen offen für Gespräche zeigt und einen Raum schafft, in dem alles ausgesprochen werden darf." Das kann in einem Workshop sein. Oder in Gesprächen innerhalb des eigenen Teams oder der Abteilung. Ein regelmäßiges Morgenmeeting, in dem jeder seine Gefühle zeigen und sich etwas von der Seele reden kann, hält Bischop zum Beispiel für einen guten Ansatz.

Wenn der erste Schock verdaut ist und der Trauerprozess über die zerstörte "Beziehung" eingesetzt hat, sollte man sich bemühen, wieder aktiv zu werden und sich für die Zukunft aufzustellen, raten die Psychologen - auch wenn es zunächst schwerfällt. "Warten Sie jetzt nicht passiv ab, sondern besinnen Sie sich auf Ihr eigenes Humankapital", sagt Peter Friederichs vom Human-Capital-Club. Das heißt: Man analysiert, wie es um die eigene Beschäftigungsfähigkeit ("Employability") steht und wo man seine Stärken künftig einbringen könnte. Mitunter bieten Firmen Outplacementprogramme an, um die Betroffenen dabei zu unterstützen und fit für neue Aufgaben zu machen. Im Idealfall mündet das in eine neue Anstellung in einer anderen Firma.

Doch wenn das fehlt, kann auch jeder Einzelne etwas für sich tun. "Zum Beispiel netzwerken", sagt Friederichs. "Schließen Sie sich zu einer kleinen Task-Force zusammen und sprechen Sie gemeinsam einen Berater an." Vor allem sollte man versuchen, nicht in eine negative Spirale hineinzugeraten. Negative Glaubenssätze wie "Ich finde nie wieder einen Job", "So geht's doch in allen Firmen zu" oder "Ich werde mich nie wieder so für ein Unternehmen aufreiben" sollte man möglichst schnell hinter sich lassen. Psychologe Friederichs ist überzeugt, dass jeder Mensch die Fähigkeit dazu hat. "In schwierigen Phasen entdeckt man seine Stärken", sagt er. "Ich kenne viele Menschen, deren Karriere damit begann, dass sie sich sprichwörtlich an den Haaren aus dem Dreck gezogen haben."