Niedrige Transportraten, zu viele Schiffe, 60 Frachter schon pleite. Tausende Anleger verlieren 20 bis 70 Prozent ihres Kapitals - auch in Hamburg.

Hamburg. Vor Hongkong liegt der Containerfrachter "Wehr Nienstedten" seit Ende Dezember - ohne Aufträge. Vor einem Monat übernahm dann der Insolvenzverwalter das Steuer. "Durch die anhaltende Beschäftigungslosigkeit war die Insolvenz nicht mehr aufzuhalten", sagt Christiane Brüning vom Hamburger Emissionshaus Lloyd Fonds, das diesen Schiffsfonds aufgelegt hat. Der Frachter, der jetzt verkauft werden soll, gehört mit einer Transportkapazität von 1700 Standardcontainern (TEU) zu einem Fonds, an dem sich rund 500 Anleger mit 15 Millionen Eigenkapital beteiligt haben.

Ihnen droht jetzt der Totalverlust ihrer Einlagen, da sich am Verkaufserlös vor allem die finanzierende Bank bedienen wird. Wie Firmen können auch Schiffe pleite gehen, wenn die laufenden Einnahmen nicht ausreichen, die Kosten zu decken, die Anleger nicht bereit sind, Mittel nachzuschießen oder die Banken ihre Kredite fällig stellen.

+++ Kapitalmangel bedroht deutsche Schifffahrt +++

Zum zweiten Mal seit 2009 erfahren derzeit Zehntausende Anleger, auf welch riskantes Investment sie sich eingelassen haben. "Ihnen drohen Verluste von 20 bis 70 Prozent ihres Kapitals, vorausgesetzt, das Schiff kann eine Insolvenz noch umschiffen", sagt Jan-Henning Ahrens von der Kanzlei für Wirtschafts- und Anlagerecht (KWAG).

Die Krise der Schifffahrt kehrt mit ungeheurer Wucht zurück. Nachdem 2009 die Anleger noch versuchten, mit zusätzlichem Kapital ihre Anlage zu retten, droht jetzt immer mehr Schiffen der Zwangsverkauf zu Dumpingpreisen. "Mehr als 60 von Anlegern finanzierte Schiffe mit einem Fondsvolumen von mehr als einer Milliarde Euro fuhren bereits in die Insolvenz", sagt der Hamburger Schifffahrtsexperte Jürgen Dobert. Nicht miteinberechnet in diese Zahl seien die vielen Notverkäufe. "Im Schiffsfondsmarkt verbrennt derzeit Kapital in Milliardenhöhe", sagt Dobert. Die Banken, die die Schiffe in der Regel zur Hälfte mitfinanziert haben, verschärfen die Krise noch. "Sie ziehen die Daumenschrauben an, um ihre Bilanzen von Problemfällen zu bereinigen und setzen Sanierungskonzepte zulasten der Anleger durch", sagt Ahrens.

Insolvenzen und Schieflagen von Schiffen sind ein einträgliches Beschäftigungsprogramm für Anwälte. Sie sollen retten, was noch zu retten ist und suchen Fehler in Verkaufsprospekten, oder versuchen Banken wegen Falschberatung zu verklagen. Rund 500 Millionen Euro steckten die Anleger im vergangenen Jahr noch in Schiffsfonds, 100 Millionen davon entfallen auf die Eigenkapitalerhöhung bereits bestehender Fonds. In besseren Jahren flossen jährlich 2,5 Milliarden Euro Eigenkapital in diese Fonds. "Die Krise wird sich in diesem Jahr noch verschärfen, weil die Banken jetzt bei Schiffsfonds, die sich in finanzieller Schieflage befinden, auf Rückzahlung der Kredite drängen", sagt der Hamburger Fachanwalt Peter Hahn. Das bekamen jetzt auch 3200 Anleger des Hamburger Emissionshauses HCI Capital zu spüren. Beim Fonds HCI Shipping Select 26 musste für vier Produktentanker ein Insolvenzantrag gestellt werden. "Die beteiligten Banken waren nicht bereit, das Sanierungskonzept mitzutragen", sagt HCI-Sprecher Olaf Streuer. Das gilt auch für den Fonds HCI Shipping Select 28. Hier musste für zwei Tanker Insolvenz angemeldet werden. "Noch ist nicht alles verloren", sagt Streuer. Da in den Fonds mehrere Schiffe gebündelt sind, hoffen die Anleger darauf, dass es bei den anderen Schiffen besser läuft.

Doch die Charterraten, die Mietpreise für die Schiffe, haben inzwischen ein so niedriges Niveau erreicht, dass kaum noch Betriebs- und Kreditkosten beglichen werden können. "Von Ausschüttungen an die Fondsanleger ganz zu schweigen", sagt Hahn. Als Beispiel des Preisverfalls nennt er einen Containerfrachter, der bis Ende 2011 noch eine Charterrate von 20 000 Dollar pro Tag erzielte und jetzt für nur noch 8500 Dollar am Tag fahren muss, um nicht ganz beschäftigungslos zu sein. Die Gewinnschwelle erreicht das Schiff aber erst mit 18 500 Dollar pro Tag. "Da sind die Probleme für die 500 Anleger programmiert", sagt Hahn.

Waren bei der Krise 2009 vor allem kleinere Containerschiffe bis 3000 TEU in Not, trifft es jetzt auch größere Containerschiffe, Mehrzweckfrachter und Produktentanker. "Die große Masse der rund 2500 fahrenden Fondsschiffe ist überschuldet und Not leidend", sagt Dobert. Der Branchendienst "Fondstelegramm" rechnet mit 550 Schiffsinsolvenzen innerhalb von drei Jahren. "Der Schiffsfondsmarkt steht vor dem schlimmsten Crash seiner Geschichte", erwartet Experte Dobert.

Bevor Insolvenzverwalter die Verwertung von Schiffen übernehmen, wird meist mit einem Restrukturierungskonzept versucht, die Schiffsgesellschaften zu retten. Anleger zahlen bereits erhaltene Ausschüttungen zurück oder leisten zusätzliche Zahlungen und Banken strecken die Tilgung. So sollen rund 1300 Anleger des Hamburger Emissionshauses PCE Premium Capital 7,2 Millionen Euro für die in Schieflage geratenen beiden Containerfrachter "Blanche" und "Vilano" aufbringen. "Ähnliches droht auch dem Schwesterschiff ,Passado'", sagt Anwalt Hahn. Bei HCI Capital sind sechs Restrukturierungsfälle in der Beschlussfassung. Die Anleger müssen also darüber abstimmen, wie die Schiffsgesellschaften saniert werden können. Der Flottenfonds IV und die MS "Athen Star" befinden sich bei Lloyd Fonds in der Restrukturierung. Über weitere Problemfälle kann noch keine Aussage gemacht werden. "Derzeit werden bei uns bei vier Fonds mit insgesamt 30 Schiffen Gespräche über die Notwendigkeit von Kapitalaufstockungen geführt", sagt MPC-Sprecher Michael Benninghoff. Nicht alle Probleme sind auf Überkapazitäten zurückzuführen.

"Ein Großteil der Krise ist hausgemacht, weil Schiffe zu teuer oder mit mangelhafter Bauqualität eingekauft wurden", sagt Dobert. Zusätzliche Risiken sind die Emissionshäuser durch die Kreditaufnahme in Fremdwährungen wie japanischer Yen oder Schweizer Franken eingegangen, um von niedrigeren Zinsen als in Deutschland zu profitieren. Doch durch Veränderung der Währungsparitäten ergeben sich zusätzliche Risiken, wenn die Finanzierung in Yen und die Chartereinnahmen in US-Dollar laufen. Die Banken haben sich dagegen abgesichert und können in diesen Fällen zusätzliche Zahlungen als Sicherheit verlangen, so wie beim Containerfrachter "Rio Adour" von MPC Capital. Die Anleger können kaum mit einer schnellen Besserung der Lage rechnen. "In fast allen Segmenten wachsen die Schiffskapazitäten in diesem Jahr schneller als die Nachfrage", sagt Burkhard Lemper, Direktor des Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) in Bremen. Besonders deutlich zeigt sich das bei den Massengutfrachtern. "In diesem Jahr wird die Transportkapazität um mehr als 20 Prozent steigen, bei der Nachfrage nach Tonnage ist aber nur mit einem Zuwachs von drei bis fünf Prozent zu rechnen", sagt der Experte. Bei den Containerfrachtern über alle Größenklassen wächst die Schiffskapazität 2012 um zehn Prozent, die Nachfrage nach Tonnage aber nur um sieben Prozent. Moderater ist der Zuwachs mit fünf Prozent bei den Produktentankern, während die Nachfrage nach dieser Ladekapazität um 2,6 Prozent steigt. Auch für 2013 sieht Lemper noch keinen deutlichen Abbau der Überkapazitäten.

Doch die Emissionshäuser können selbst der desolaten Lage am Markt noch etwas abgewinnen. Der Hamburger Schiffsfinanzierer König & Cie., bei dem nach einer Aufstellung von KWAG mindestens vier Schiffe aktuell Not leidend sind, hat jetzt zwei Containerschiffe (je 1129 TEU) für acht Millionen Dollar bei einer Zwangsauktion ersteigert. Der Preis liegt knapp über dem Schrottwert der Schiffe. Sie sind die Basis "um eine interessante Flotte im jetzigen Marktumfeld aufzubauen", sagt Jens Mahnke, geschäftsführender Gesellschafter von König & Cie. Angesichts der vielen Insolvenzen dürfte es an Nachschub für den neuen Anlegerfonds nicht mangeln. Vor Hongkong wartet auch noch der Containerfrachter "Wehr Nienstedten" von Lloyd Fonds auf Käufer.