Es geht aufwärts: Kräftigstes Wachstum seit der Wiedervereinigung. Der Export ist stärkster Motor, auch Konsum im Inland nimmt zu.

Hamburg. Diese Zahlen haben selbst Optimisten unter den Wirtschaftsforschern überrascht. "Wir hatten zwar mit einem kräftigen Wachstum gerechnet, doch dieses Plus hat alle Erwartungen übertroffen", sagt der Konjunkturchef des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI), Michael Bräuninger. "Wir werden unsere Prognose für Deutschland jetzt kräftig erhöhen und erwarten 2010 ein Wachstum von 2,5 bis 3,0 Prozent."

Tatsächlich war die Veröffentlichung der Konjunkturentwicklung durch das Statistische Bundesamt am Freitag eine Sensation. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorquartal um 2,2 Prozent gestiegen - und damit so stark wie zuletzt nach der deutschen Wiedervereinigung . "Der ins Stocken geratene Aufschwung der deutschen Wirtschaft hat sich damit eindrucksvoll zurückgemeldet", so die Statistiker. Verglichen mit dem Vorjahr legte die Wirtschaftsleistung um 4,1 Prozent zu.

Weltweite Konjunkturprogramme haben die Wirtschaft angeschoben

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle sprach von einem "Aufschwung XL". Der FDP-Politiker hält nunmehr "ein Wachstum von weit über zwei Prozent für 2010 im Bereich des Möglichen". Allerdings wollte er noch nicht von einem Wachstumswunder reden. "Das Ergebnis ist sensationell gut", schwärmte unterdessen Gustav A. Horn, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie (IMK) des Böckler-Instituts. "Es zeigt sich nunmehr in aller Deutlichkeit, wie stark die weltweiten Konjunkturprogramme die Wirtschaft angeschoben haben."

Zum Vergleich: Andere europäische Länder blieben hinter den deutschen Spitzenwerten zurück: Großbritannien kam auf ein Plus von 1,1 Prozent, Frankreich auf 0,6 Prozent, Italien auf 0,4 Prozent und Spanien auf 0,2 Prozent.

Bis Mitte 2011 könnte Arbeitslosenzahl auf unter drei Millionen sinken

Der aktuelle Aufschwung wurde maßgeblich vom Export angetrieben. "Aber auch die privaten und staatlichen Konsumausgaben trugen zum Wachstum bei", so die Statistiker. Zudem investierten die Unternehmen wieder mehr. Die Konjunktur hat sich nach Ansicht des HWWI-Konjunkturchefs Bräuninger stark gefestigt. "Sie entwickelt sich in Richtung eines sich selbst tragenden Aufschwungs."

Deutschland profitiert vor allem vom stark anziehenden Welthandel in Asien, ist der Konjunkturchef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Joachim Scheide, überzeugt. Deutsche Unternehmen seien derzeit nicht nur sehr wettbewerbsfähig, sondern zudem in asiatischen Schwellenländern wie China sehr gut aufgestellt. Auch der deutsche Arbeitsmarkt werde von dem Aufschwung profitieren, meint Scheide: "Bis Mitte 2011 wird die Arbeitslosigkeit auf unter drei Millionen sinken."

Trotz hoher Zuwächse liegt die deutsche Wirtschaft nach den kräftigen Aderlässen in den vergangenen beiden Jahren noch deutlich unter ihrer Wirtschaftskraft von vor der Krise im Jahr 2008. Sowohl das HWWI als auch das IfW gehen davon aus, dass Deutschland "Anfang 2012 wieder die Wirtschaftskraft wie vor der Krise erreichen wird". Allerdings kann es bis dahin auch noch Rückschläge geben. "Die weltweite Wirtschaftskrise ist noch nicht überwunden. Hier kann es noch Dämpfer geben", sagt Scheide. Die Konjunktur in den USA und China schwäche sich derzeit ab. "Insofern wird das Tempo des Wachstums in dieser Stärke nicht weitergehen." Weitere Gefahren gingen von der Schuldenkrise aus, die Europa vor Kurzem in neue Abgründe blicken ließ. Wichtig sei es deshalb, die Neuverschuldung zurückzuführen. "Sparbedarf ist weiter da. Jetzt ist keine Zeit, um weitere Geschenke zu verteilen."

Wirtschaftsvertreter warnen vor Selbstzufriedenheit

Wasser in den Wein gießen Vertreter der Wirtschaft. "Das rasche Erholungstempo ist nicht zu halten", warnt Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). "Wir müssen jetzt weiterarbeiten, statt uns gegenseitig auf die Schulter zu klopfen."

Auch die Anleger sind offenbar skeptisch, ob der Aufschwung in Deutschland tatsächlich von Dauer ist. So konnte der deutsche Börsenindex DAX von den aktuell vorgelegten Konjunkturzahlen nicht profitieren, sondern wurde vielmehr durch die neuen Sorgen angesichts einer sich abschwächenden US-Wirtschaft zum Wochenausklang erneut ins Minus gedrückt.