Ministerien von de Maizière und Leutheusser-Schnarrenberger wollen Atomlaufzeiten um höchstens zehn Jahre verlängern. SPD verstärkt Druck

Hamburg. Für den stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Ulrich Kelber ist klar: Egal wie die geplante Atomlaufzeitverlängerung der schwarz-gelben Bundesregierung ausfallen wird, die SPD wird dagegen vorgehen. Auch eine moderate Verlängerung von zehn Jahren, die sich innerhalb der Regierung abzeichnet, hält er für gefährlich. "Wer Atomlaufzeiten verlängert, macht den Übergang zu erneuerbaren Energien langsamer und teurer. Das hat kürzlich auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung festgestellt", sagte er am Freitag dem Abendblatt. "Deswegen sind auch zehn Jahre Verlängerung keine Option. Die SPD wird mit allen politischen und juristischen Mitteln dagegen kämpfen."

Nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" zeichnet sich innerhalb der Bundesregierung eine Verlängerung von zehn Jahren ab. Das ist der Zeitraum, der sich offenbar laut einem gemeinsamen Gutachten aus den Häusern von Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) ohne die Zustimmung des Bundesrates durchsetzen lässt.

Da die rot-grüne Mehrheit in der Länderkammer jede Veränderung am Atomgesetz blockieren würde, wären zehn, nach dem Bericht vielleicht auch nur sieben oder acht Jahre die Obergrenze. Das ist somit eine Unterstützung der Haltung von Röttgen, der nur moderate Laufzeitverlängerungen anstrebt. Ende August sollen wissenschaftliche Szenarien für ein Energiekonzept vorliegen. Dabei werden Laufzeitverlängerungen von bis zu 28 Jahren durchgerechnet. Ende September wird die Bundesregierung eine Entscheidung treffen.

Vor allem die Unionsregierungen der süddeutschen Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg wollen ihre Reaktoren so lange wie möglich laufen lassen. Der Sprecher des Stuttgarter Umweltministeriums, Karl Franz, verwies am Freitag auf die "besondere Situation" des Ländle. "Wir sind wirtschaftsstark, brauchen für die Industrie mehr Strom, als wir erzeugen, und haben gleichzeitig die beste CO2- Bilanz", sagte er. Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) hatte seinem Parteikollegen Röttgen aus Ärger über dessen Widerstand gegen Laufzeitverlängerungen schon quasi den Rücktritt nahegelegt. "Es kann nicht sein, dass ausgerechnet derjenige, der dafür zuständig ist, ständig dagegenschießt", hatte er gesagt.

Auch Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt hält von Laufzeitbegrenzungen gar nichts. "Es ist volkswirtschaftlich und umweltpolitisch nicht zu verantworten, sichere und wirtschaftliche Kernkraftwerke aus ideologischen Gründen abzuschalten", sagte er im Abendblatt-Interview (Seite 4). "Als Ingenieur plädiere ich dafür, Kernkraftwerke so lange am Netz zu lassen, wie sie sicher und wirtschaftlich sind."

Die SPD hingegen dringt auf einen anderen Weg. "Vielmehr ist wegen des rasanten Zuwachses der erneuerbaren Energien eine Verkürzung der Laufzeiten gegenüber dem Atomkonsens nötig", sagt Kelber. "Schon jetzt gibt es Zeiten, in denen erneuerbaren Energien abgeschaltet werden müssen, weil zu viel Strom produziert wird." Die Atomkraftwerke aber würden weiterlaufen. "Die Atomenergie ist deswegen keine Brückentechnologie, sie ist eine Mauer", sagt der Umweltexperte.

Die SPD drohte zudem, vor das Verfassungsgericht zu ziehen, wenn die Regierung die Brennelementesteuer aufgibt und stattdessen einen Vertrag mit den Energiekonzernen schließt. Kelber sagte, bei dem Vertragsmodell werde der Bundestag entmündigt, weil die Regierung kein Gesetz auf den Weg bringe.

Die Bundesregierung will bei einer Laufzeitverlängerung etwa die Hälfte des Gewinns bei den Energiekonzernen abschöpfen. Jährlich sollen über die Brennelementesteuer 2,3 Milliarden Euro in den Haushalt fließen. Die Konzerne bevorzugen einen Vertrag für einen Fonds, in den sie einmalig bis zu 30 Milliarden Euro einzahlen. "Der Fonds wird nur einen Bruchteil der Gewinne der großen Energiekonzerne aus einer Laufzeitverlängerung abschöpfen", sagt Kelber. "Gleichzeitig wollen RWE, E.on, Vattenfall und EnBW sich daraus Netzausbau, Kraftwerksmodernisierung und Forschung bezahlen lassen. Das ist dreist." Doch die Vertragslösung bekommt immer mehr Befürworter. Als erster Politiker der Regierung stellte sich Unionsfraktionsvize Michael Fuchs auf die Seite der Atomindustrie. Die Brennelementesteuer sei juristisch angreifbar, sagte er der "WAZ".