Hartmut Mehdorn gibt die Führungsrolle bei der angeschlagenen Fluglinie an den Strategie-Vorstand Wolfgang Prock-Schauer ab.

Berlin. Und wieder einmal hat er die Öffentlichkeit überrascht. Der kampfbereite, charismatische, aber auch nicht immer einfache Air-Berlin-Chef Hartmut Mehdorn tritt ab. Und das nur wenige Stunden, nachdem der erneut verschobene Start des neuen Hauptstadtflughafens bekannt gegeben wurde. Die kriselnde Fluggesellschaft Air Berlin hatte auf das Drehkreuz gesetzt, jetzt aber ist dessen Zukunft ungewiss. Trotzdem habe Mehdorns Rückzug nichts mit der Hiobsbotschaft zu tun, versichert Deutschlands zweitgrößte Fluggesellschaft. Der Überlebenskampf der Airline dürfte jedenfalls noch einmal härter geworden sein.

"Ich gehöre zu den kleinen Dicken, die was aushalten", hatte Reizfigur Hartmut Mehdorn zum Amtsantritt 2011 verkündet. Er rettete Air Berlin über das vergangene Jahr. Jetzt aber tritt der ausgewiesene Sanierer mit 70 Jahren plötzlich ab. Gibt er auf? Fest steht: Mehdorn übergibt das Unternehmen zu einem kritischen Zeitpunkt. Air Berlin fliegt seit Jahren in der Verlustzone. Den letzten Nettogewinn gab es 2007. Im Jahr 2011, als das Minus auf den Rekordwert von 272 Millionen Euro geklettert war, kam Mehdorn für eine Rettungsmission: Als Chef der Deutschen Bahn hatte er dort aus operativ 1,5 Milliarden Euro Verlust einen Gewinn von 2,5 Milliarden Euro gemacht. Jetzt sollte er die Fluggesellschaft gesundschrumpfen.

Doch die Voraussetzungen waren und sind denkbar schlecht: Europa gilt dem Luftfahrtverband IATA mit Wirtschaftsflaute, hohen Kerosinpreisen und der deutschen Flugsteuer als Problemzone Nummer eins. "Wir haben keine Wahl, wir müssen da jetzt durch", lautete Mehdorns Maxime. Gerade konnte der Manager ("Diplomat wollte ich nie werden") erste Erfolge ernten. Sein großer Coup, der Einstieg der arabischen Fluggesellschaft Etihad als Großaktionär, brachte ihm viel Beifall. Durch den Wegfall unrentabler Strecken und die geschrumpfte Flotte verbesserte sich das operative Ergebnis in neun Monaten um 170 Millionen Euro. 2012 sollte es einen Gewinn geben. Doch das reicht wohl nicht, um Air Berlin zu retten. Alles müsse auf den Prüfstand, das werde schmerzhaft werden, sagte Mehdorn - Personalabbau nicht ausgeschlossen. Ausgerechnet in dieser Situation sagt der Chef: "Jetzt ist die richtige Zeit für den Führungswechsel."

Das schmerzhafte Sparprogramm "Turbine" will er nicht mehr leiten. Stattdessen soll der neue Mann auf dem Pilotensitz, Strategie-Vorstand Wolfgang Prock-Schauer, den Turnaround schaffen. Ein Rücktritt sei das nicht, heißt es bei Air Berlin. Mehdorn galt offiziell nur als Übergangslösung, sein Vertrag läuft 2013 aus. Trotzdem kommt der Schritt überraschend. Mehdorn wird künftig dem Verwaltungsrat angehören. Der 56-jährige Prock-Schauer ist erst seit Herbst bei Air Berlin - das Unternehmen bezeichnet ihn als "anerkannten Airline-Experten".

Als der verheiratete Vater dreier Kinder kam, horchte die Branche auf - der Österreicher könnte zu Höherem berufen sein, hieß es. Prock-Schauer startete seine Karriere nach seinem Studium an der Wirtschaftsuniversität Wien 1981 bei Austrian Airlines, der späteren Lufthansa-Tochter. Hier verantwortete er als Executive Vice President unter anderem das Netzwerk-Management, die strategische Planung und Allianzen sowie die Integration der regionalen Fluggesellschaften Lauda Air und Tyrolean. Von 2002 bis 2003 war Prock-Schauer Chef des Luftfahrtbündnisses Star Alliance, dessen prominentestes Mitglied die Lufthansa ist.

Nach seiner Zeit bei Jet Airways wurde der Österreicher Vorstandschef von British Midland Airways (bmi), die damals zur Lufthansa gehörte. Bei der Effizienzsteigerung hatte er dort zwar einige Erfolge, dennoch gelang der Airline nicht der Sprung aus den roten Zahlen. Entnervt verkaufte die Lufthansa die verlustträchtige Tochter im vergangenen Jahr an die International Airlines Group, also den Zusammenschluss aus British Airways und Iberia.

Applaus am Kapitalmarkt für Prock-Schauers Nominierung gab es am Montag keinen. Die Air-Berlin-Aktie verlor bis zum Nachmittag rund zwei Prozent. "Prock-Schauer wird das Unternehmen kurzfristig nicht tief greifend verändern", sagte DZ-Bank-Luftfahrtanalyst Robert Czerwensky. Er sollte aber einen Geist des Wandels mitbringen, was positiv zu werten sei.

Derweil werden die Probleme für Air Berlin nicht gerade kleiner. Etihad-Chef James Hogan sitzt seit dem vergangenen Jahr im Aufsichtsrat des Unternehmens. Prock-Schauer wird bei ihm wohl wenig zu sagen haben. Dazu die Pannen am Hauptstadtflughafen, wo Air Berlin sein Drehkreuz aufbauen wollte. Schon nach der dritten Verschiebung hatte die Airline "geschätzte Mehrkosten und sonstige Schäden in zweistelliger Millionenhöhe" beklagt. Von Mehdorn war man in solchen Situationen auch mal ein Wortgewitter gewohnt. Der neue Mann an der Spitze trägt das Herz weniger auf der Zunge und erklärt nur trocken: "Air Berlin steht vor großen Herausforderungen."