Die Verhandlungen über einen Tarifvertrag bei dem Familienbetrieb sind gescheitert. Die Polizei bahnt Leiharbeitern den Weg.

Stellingen. Der seit über einem Monat andauernde Arbeitskampf bei dem mittelständischen Verpackungshersteller Neupack ist eskaliert. Am frühen Dienstagmorgen rückte ein Großaufgebot der Polizei an, um eine Blockade von Streikenden und Sympathisanten vor den Werkstoren des Unternehmens in Stellingen aufzubrechen. Die Demonstranten hatten zuvor einen Bus mit polnischen Fremdarbeitern daran gehindert, das Gelände der Neupack zu befahren. Die Ersatzarbeitskräfte sind von der Unternehmensführung als Ersatz für die streikende Belegschaft angeheuert worden. Die Polizei bildete einen Kordon, damit der Bus sicher auf das Werksgelände fahren konnte. Dabei kam es zu einer Rangelei, bei der ein Streikender leicht verletzt wurde.

Zuvor waren Verhandlungen über einen Tarifvertrag zwischen Gewerkschaften und der Geschäftsleitung des Familienbetriebs am Montag ergebnislos abgebrochen worden. Seit dem 1. November befindet sich ein Großteil der rund 230 Mitarbeiter umfassenden Belegschaft von Neupack in der Hamburger Hauptniederlassung und dem Zweitwerk in Rotenburg (Wümme) im Ausstand. Sie fordern Mindestlöhne, eine gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit sowie eine einheitliche Regelung für Urlaub und Zuschläge. Dieses soll nach dem Willen der zuständigen Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) in einem Tarifvertrag geregelt werden. Doch die Unternehmensführung lehnt einen Tarifvertrag ab. Sie will eine betriebsinterne Regelung finden und nicht mit der Gewerkschaft verhandeln, was bei einem Haustarifvertrag künftig der Fall wäre.

Dabei ist das Neupack-Management inzwischen zu einer Reihe von Zugeständnissen bereit: So bietet die Unternehmensleitung inzwischen einen Mindeststundenlohn von 8,50 Euro an, eine Erhöhung der Zuschläge, des Urlaubsgeldes und der Urlaubstage sowie die Einführung der 38-Stunden-Woche im Schichtbetrieb bei vollem Lohnausgleich. Damit sind zahlreiche Forderungen der Arbeitnehmer erfüllt, aber eine wesentliche nicht: der Tarifvertrag.

"Wir sind überrascht, dass die Gewerkschaft nicht mehr bereit ist, über die konkreten finanziellen Verbesserungen zu sprechen, sondern die Gespräche nur daran scheitern ließ, dass sie nicht dauerhaft Vertrags- und Verhandlungspartner von Neupack sein konnte", sagte Unternehmenssprecher Lars Krüger, nach dem überraschenden Ende der Gespräche.

Das lässt die Gegenseite so nicht stehen. "Den Beschäftigten geht es doch nicht nur um das einmalige Zugeständnis eines Mindestlohns nach Gutsherrenart. Sie wollen eine verlässliche, dauerhafte Regelung, und die gibt es nur über einen Tarifvertrag", erwidert Jan Eulen, Vorsitzender der IG BCE in Hamburg. Dabei sei man dem Unternehmen insoweit entgegengekommen, einen Haustarifvertrag anzubieten, der deutlich unter den Anforderungen des Flächentarifvertrags der chemischen Industrie liegt.

Die Gewerkschaft macht seit einem Monat gegen Neupack mobil, mit Streikzeitung, Laternenumzügen, Mahnwachen und zahlreicher politischer Unterstützung. "Der Streik der Beschäftigten wird von großen Sympathiewellen aus allen Schichten der Gesellschaft unterstützt", sagte die wirtschafts- und gewerkschaftspolitische Sprecherin der Linken-Fraktion, Kersten Artus, am Dienstag. "Das Unternehmen weigert sich seit einem halben Jahrhundert, einen Tarifvertrag abzuschließen", kritisierte Artus.

Was als kleine Auseinandersetzung bei einem Familienbetrieb begann, beschäftigt inzwischen sogar den Bundestag: So hat Artus' Parteikollegin, Sabine Zimmermann, als Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales einen Brief an die Neupack-Führung geschrieben. Darin bittet sie um Aufklärung, warum es dem Unternehmen bisher nicht möglich war, der Forderung der Gewerkschaft IG BCE nach einem Tarifvertrag nachzukommen. Die Geschäftsführung von Neupack ist darüber verärgert: "In Anbetracht der verfassungsrechtlich garantierten Tarifautonomie und der Neutralitätspflicht staatlicher Organe bei Arbeitskämpfen ist für uns nicht nachvollziehbar, auf welcher Rechtsgrundlage und mit welchem Ziel sich der Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages mit der Streiksituation bei unserem Unternehmen befasst", sagte Unternehmenssprecher Krüger. " Wir halten eine solche Einmischung für unzulässig und haben daher den Ausschuss um eine Stellungnahme gebeten."

Auch in Internetforen wird über Neupack diskutiert. Auf einschlägigen linken Seiten wird die Arbeitsauseinandersetzung zu einer Form des Klassenkampfes stilisiert. Und zwischen die Streikposten vor dem Werkstor mischen sich immer häufiger andere Unterstützer. "Der Weg für Neupack aus dieser Auseinandersetzung ist, endlich einen Tarifvertrag mit uns abzuschließen", sagt IG-BCE-Sekretär Eulen. "Das ist nichts Verwerfliches, sondern vom Gesetzgeber so gewollt." Unternehmenssprecher Krüger hält dagegen: "Ein Tarifvertrag mit seinem starren Lohnsystem steht den Anforderungen an ein Unternehmen wie Neupack entgegen, sich in einem immer stärker werdenden Wettbewerbsumfeld zu behaupten."

Ein Ende der Auseinandersetzung ist nicht abzusehen. Die Neupack-Führung will jetzt überlegen, wie sie ihr Angebot an die Mitarbeiter ohne die Gewerkschaft realisieren kann. Die rüstet wiederum weiter auf: Am Sonnabend ist eine Demonstration mit 2000 Teilnehmern auf dem Hachmannplatz geplant, bei der auch der Hamburger DGB-Vorsitzende Uwe Grund reden wird.