Beim Verpackungshersteller Neupack steht die Produktion fast still. Gewerkschaft und Werksleitung reden nicht mehr miteinander.

Hamburg. Es ist kalt an diesem November-Tag. Die Luft ist feucht vom Nieselregen. Doch die rund 50 der 200 Mitarbeiter des Verpackungsherstellers Neupack halten trotz des schlechten Wetters durch. Bald werden sie abgelöst von ihren Kollegen, denn die Beschäftigten bestreiken das Werk in drei Schichten, rund um die Uhr. Wie bei einer Mahnwache stehen sie vor der Unternehmenszentrale in Stellingen. Seit dem 1. November streiken sie in Hamburg und im Zweitwerk Rotenburg/Wümme unbegrenzt, um einen Tarifvertrag für ihre Firma zu erzwingen. Die Produktion liegt bereits zu 90 Prozent lahm. Nur wenige Streikbrecher versuchen, zumindest einige Maschinen laufen zu lassen.

"Wir wollen für die Beschäftigten wenigstens ein Entgelt aushandeln, das 18 Prozent unter dem Flächentarif der IG BCE liegt", sagt Rajko Pientka, der in der Gewerkschaft für das Unternehmen zuständig ist. Und sie wollen gleiches Gehalt für gleiche Arbeit. Derzeit, so erzählt Jan Eulen, der Chef der Hamburger IG BCE, verdienen Packer bei Neupack zwischen 7,80 und zwölf Euro pro Stunde. Nach dem Tarifvertrag, den die Gewerkschaft fordert, wären es 12,46 bis 12,69 Euro. Fachkräfte bekommen 9,50 bis 20,71 Euro. Die IG BCE fordert einen Stundenlohn von 15,73 bis 21,04 Euro je nach Jobprofil.

Die Fronten sind verhärtet, nachdem die Gewerkschaft die Gespräche mit der Firma aufgekündigt hat. "Die extremen Forderungen der Gewerkschaft nach Erhöhungen der Bezüge um rund 30 Prozent sind durch das Unternehmen nachweislich nicht zu leisten", sagt Chef Jens Krüger, dessen Familie Neupack 1959 gegründet hat. Die IG BCE, die Bau-, Chemie- und Energieunternehmen vertritt, hält dagegen, dass ihre Forderung noch unter dem derzeit geltenden Chemietarif liegt.

"In den sieben Jahren, in denen ich hier bin, haben wir noch nie gestreikt", sagt Neupack-Mitarbeiter Kevin Bonde. "Doch jetzt müssen wir die Arbeit niederlegen, damit wir zu unserem Recht kommen." Vor allem die Tatsache, dass die Beschäftigten bei gleicher Arbeit nicht immer dasselbe Gehalt bekommen, ärgert die Belegschaft. "Ich habe seit 2005 keine Lohnerhöhung mehr gesehen, aber ich kenne Kollegen, die mehr Geld aushandeln konnten", sagt etwa der Packer Zafar Coskun. "Die Lebenshaltungskosten steigen, doch mein Gehalt nicht."

Viele Mitarbeiter erzählen Geschichten wie die von Coskun, zum Beispiel dass Beschäftigte eingestellt werden, die von Anfang an mehr Gehalt bekommen als diejenigen, die bereits seit Jahren in der Firma sind. Auch Betriebsratschef Murat Günes fühlte sich zu schlecht bezahlt. Er musste vor Gericht gehen und siegte gegen seinen Arbeitgeber. Jetzt erhält er 21 Cent mehr Stundenlohn als zuvor. "Ich bin gekommen, um meine Solidarität mit den Kollegen zu zeigen", sagt Ömer Seymen, Betriebsratschef von der Spedition Hellmann. Auch Olaf Harms, Mitglied des Hamburger Landesvorstands von Ver.di, ist aus Solidarität vor Ort.

Jan Eulen kann sich kaum noch daran erinnern, dass es in Hamburg schon einmal einen unbefristeten Erzwingungsstreik gab. "In den 70er-Jahren muss es mal so etwas gegeben haben", sagt er. Vor allem, dass die Neupack-Eigentümer "Gehälter nach Gutdünken" bezahlen, ist ihm ein Dorn im Auge. "Notfalls streiken wir bis nach Weihnachten. Unsere Streikkasse ist gefüllt", sagt Eulen. Vor dem Werk haben die Mitarbeiter ein großes Zelt plus Bollerofen aufgebaut, damit sich jeder der Streikenden aufwärmen oder eine Suppe essen kann. Zudem bietet ein Wohnmobil Platz zur Erholung.

Die Gewerkschaft und das Unternehmen werfen sich gegenseitig vor, dass Mitarbeiter durch den Streik zu Schaden gekommen sind. So wurde offenbar eine Hamburger Streikende während des Ausstands geschlagen. Neupack behauptet dagegen, dass ein Streikbrecher tätlich angegriffen worden sei. Beide Parteien erstatteten Anzeigen. Die Neupack-Geschäftsführung hat nach eigenen Angaben den Mitarbeitern am 25. und 26. Oktober ein umfangreiches Paket an Vorschlägen unterbreitet. "Leider wurde dies mit einer weiteren Radikalisierung durch die IG BCE beantwortet", lässt sich Krüger durch einen Sprecher zitieren. Die Gewerkschaft sieht das anders. Aus ihrer Sicht habe das Unternehmen alle Bemühungen um einen Tarifvertrag boykottiert. Ein ganzes Jahr lang sei erfolglos verhandelt worden. Die Mitarbeiter stehen hinter der IG BCE. Rund 80 Prozent der Beschäftigten beteiligen sich nun an dem Arbeitskampf.

Plötzlich ertönen laute Buhrufe und Trillerpfeifen. Ein Mann verlässt das Firmengelände. "Einer der wenigen Streikbrecher", raunzt ein Mitarbeiter. Kurz darauf verwehren die Streikenden einem Lastwagen die Einfahrt in das Werk. "Natürlich lassen wir ihn nachher noch rein, aber eben etwas später", sagt Günes. Die Zeit spielt in diesem Fall ohnehin kaum eine Rolle, da Neupack wegen der streikenden Mitarbeiter nur wenige Maschinen anfahren kann. Während die Beschäftigten draußen mit ihren Trillerpfeifen Lärm machen, ist es im Werk ziemlich still.