Für die Verkäufer von Süßwaren wird das Geschäft immer härter. Ein Besuch bei den Menschen, deren Leben der Rummelplatz ist.

Hamburg. Zuckersüße Gummischlangen, Schaumküsse und Lakritzkringel drängen sich in der Auslage des Zuckerschlosses auf dem Hamburger Dom dicht nebeneinander. "Die Sirupstangen und Bonbons machen wir noch selbst", sagt Ruth Frakowiak, die hinter dem Verkaufstresen steht. Manche Leckereien kauft sie zu, zum Beispiel Kokosflocken, wenn die gerade gefragt sind oder Lebkuchenherzen. Besonders die mit der Aufschrift "Ich liebe Dich". Die gehen besonders gut.

Ruth Frakowiak ist auf dem Jahrmarkt geboren worden, in einem Wohnwagen in Sörup bei Flensburg. Seitdem ist sie "auf Reisen", wie sie das Leben als Schausteller nennt. Sie kennt es nicht anders. Schon als Kind fuhr Frakowiak mit ihren Eltern durch die Lande, von einem Volksfest im Norden zum anderen. "Von März bis Dezember ist die Familie immer unterwegs, schon seit 1933", erzählt Ruth Frakowiak. Sie hat den Süßigkeitenwagen ihrer Eltern 1968 übernommen.

Im Wohnwagen hinter der Bude wartet bereits der Nachwuchs. Ruth Frakowiak hat vier Kinder. Sie alle sind hier groß geworden. Alle sind ebenfalls Schausteller geworden, mit Buden für Laugentaler, Flammkuchen oder Entenangeln. Die jüngste Tochter Désirée Frakowiak soll den Familienbetrieb einmal übernehmen. Sie hat einen Mann "von privat" kennengelernt, wie ihre Mutter sagt. Er ist kein Schausteller. Aber derzeit wohnen Tochter und Schwiegersohn auch auf dem Rummelplatz. Denn die beiden sind im Sommer Eltern von Drillingen geworden. Die jüngste Tochter ist noch im Krankenhaus. "Das ist hier ganz in der Nähe, so kann ich jeden Tag hinfahren", sagt Désirée Frakowiak. Sonst leben sie in einer Wohnung in Kaltenkirchen.

Das Leben der Frakowiaks spielt sich im Moment in zwei Wohnwagen auf dem Dom ab. Auf nicht einmal 20 Quadratmetern wird gekocht, gegessen, gewohnt, geschlafen und gebadet. Die beiden Babys Jayna und Jenna liegen in ihren Wippen auf der Couch. Auf dem Fenstersims stapeln sich drei Tragetaschen für die Kinder, auf dem Tisch stehen Schnuller und Fläschchen. "Aber wenn sie mal laufen können, ist es einfach zu eng hier", sagt Désirée Frakowiak. Sie will dann einfach zum Arbeiten auf den Dom oder auf ein anderes Volksfest fahren, wo das Zuckerschloss steht.

Désirée Frakowiak will die Familientradition fortführen, auch wenn das Geschäft schwieriger geworden ist. Laut den aktuellen Zahlen des Deutschen Schaustellerbunds (DSB), ist die Entwicklung der Besucherzahlen auf den Volksfesten in Deutschland grundsätzlich stabil, rund 150 Millionen Menschen vergnügten sich 2012 auf einem der rund 10.000 Volksfeste. Aber die Umsätze sind rückläufig. Setzte die Schaustellerbranche im Jahr 2000 noch 3,5 Milliarden Euro um, waren es zuletzt nur noch 2,45 Milliarden.

Den Betrieben machten vor allem die steigenden Kosten für Energie, Treibstoff und Standplätze sehr zu schaffen, so der Präsident des Verbands, Albert Ritter. Volksfeste seien kein Zuschussbetrieb, sondern ein Gewinn für die Städte, betonte Präsident Ritter bei der letzten Pressekonferenz im November. "Das Geschäft wird schwieriger", sagt Ruth Frakowiak. Das Benzin für den großen Lastwagen müssten sie trotzdem zahlen. Reparaturen am Wagen würden ebenfalls teuer zu Buche schlagen. "Wir können nicht alles selbst machen", so die Betreiberin. Funktionieren würde das alles nur, weil auf dem Rummelplatz jeder jedem hilft, wie sie sagt, "wie in einer großen Familie".

Die meisten der Läden bleiben über Generationen in der Familie. Neu einsteigen würde niemand mehr in das Geschäft, sagt Frakowiak. Somit seien die Stände und auch die Wohnwagen meist schon länger abbezahlt. "Heute könnte sich das ja keiner mehr leisten", so die Schaustellerin. Der Wohnwagen, in dem sie wohnt, ist 60 Jahre alt. "So ein Gefährt könnte sich heute keiner mehr kaufen." Besonders nicht, wenn das Geschäft zurückgeht. Früher hätten die Kinder ihr Taschengeld für ein paar Zuckerstangen auf dem Volksfest gespart, so die Dom-Schaustellerin. Heute würden sie sich lieber Handys oder Computer von ihrem Geld kaufen. Dennoch gibt es auf dem Dom insgesamt 39 Süßwarengeschäfte, alle paar Meter wartet also ein Laden mit Leckereien und gebrannten Mandeln auf die Besucher. Viele der Betreiber haben nebenbei noch einen zweiten Stand, so wie auch die Familie Friedrich. Neben ihrer Hamburger Zuckerbäckerei auf dem Dom betreiben sie gleichzeitig auch ein Fahrgeschäft für Kinder. "Das ist ein Vollzeitjob", sagt Christopher Friedrich. Der 18-Jährige wird den Wagen seiner Familie einmal übernehmen. Neun Stunden hinter dem Tresen und verkaufen. "Aber dann hört der Arbeitstag noch nicht auf", so Christopher. Rolläden reparieren, Kassenhäuschen streichen, Mandeln rösten. "Aber ich kann mir nichts anderes vorstellen", sagt der junge Schausteller. "Hier will keiner weg. Das sagen eigentlich alle", sagt Christopher Friedrich. Seine Oma hätte hier schon Zuckerwatte und Lebkuchenherzen verkauft, sein Vater macht die gebrannten Mandeln heute noch selbst.

"Aber wir müssen natürlich zusehen, dass wir weiter Geld verdienen", so Christopher Friedrich. Manchmal gebe es Versammlungen, auf denen sich die Schausteller untereinander austauschen würden, was sie tun können. "Aber mehr als Werbung machen, geht eigentlich nicht", so Friedrich. Heute kämen einfach weniger Kinder, das merkten alle Betreiber. Da hilft manchmal nur, kreativ zu sein.

So wie Monika Leuchtenberger. Sie betreibt ebenfalls einen Süßigkeitenstand auf dem Dom, Moni`s Zuckerlädchen. In dritter Generation taucht Leuchtenberger täglich Bananen, Trauben und Äpfel in Zartbitterschokolade und süß-klebrige Waldmeisterglasur ein. In den vergangenen Jahren hat Leuchtenberger viel experimentiert. Deswegen gibt es bei ihr jetzt auch Äpfel in fruchtiger Lemonglasur oder Trauben in Erdbeerschokolade. Farblich sortiert liegen die Früchte in Reih und Glied in der Auslage. "Das ist wichtig, dass das alles zusammenpasst", sagt Monika Leuchtenberger, die Besucher sollen sich angesprochen fühlen.

Am Tresen zum Verkauf stehen im Zuckerlädchen heute in Sohn und ihre Schwiegertochter, Yanine Clauß, die beide eigentlich Einzelhandelskaufmann und Schifffahrtskauffrau gelernt haben. Sie haben sich dennoch für die süßen Früchte entschieden. Seit 1956 gehört Leuchtenberger der Laden. "Wir überziehen die Früchte mit ganz viel Liebe." Das könne sonst keiner so.