Sietas, Nordseewerke, P+S: Der Hamburger Insolvenzverwalter Berthold Brinkmann ist für marode Schiffbauunternehmen oft die letzte Hoffnung.

Wolgast. Berthold Brinkmann spricht, den ganzen Tag lang, fast ohne Unterlass. Am Telefon, in Konferenzen, unter vier Augen. Seine Mitarbeiter stellen ihm Kaffee und Wasser auf den Tisch, wenn er mal sitzt. An diesem Tag spricht er zu einer Versammlung eines Gläubigerausschusses in einem Konferenzraum der Wolgaster Peene-Werft, bei einer Betriebsversammlung in einer kalten Werfthalle, in einer Pressekonferenz in der Kantine, einer Telefonkonferenz mit Journalisten, am Abend bei einer weiteren Betriebsversammlung auf der Stralsunder Volkswerft 50 Kilometer entfernt. Zwischendurch Dutzende Male am Mobiltelefon, im Gehen und Stehen auf vielen Fluren. Die beiden Schiffbaubetriebe sind insolvent. Und der Insolvenzverwalter Brinkmann, 63, will sie retten.

"Das Insolvenzrecht wurde in diesem Frühjahr reformiert", sagt Brinkmann in Wolgast auf dem Weg von einer Versammlung zur nächsten. "Die Beteiligten - der Richter, die Gläubiger, die Mitarbeiter und ihre Interessenvertreter sowie der Insolvenzverwalter - wirken jetzt viel stärker zusammen. Das ganze Geschäft beruht im Grunde auf Kommunikation, heute noch mehr als früher." Das kommt Brinkmann, dem geübten Kommunikator, sehr entgegen.

An den deutschen Küsten bangt der Schiffbau vor dem Niedergang, von Emden nahe der niederländischen Grenze bis Wolgast kurz vor Polen. Seit den großen Pleiten der 1980er- und 90er-Jahre erodiert die Branche beharrlich weiter. Die staatlich gestützte Werftenkonkurrenz in Südkorea, Japan und China ist dafür beileibe nicht der einzige Grund, obwohl man das im deutschen Schiffbau gern behauptet. Auch Missmanagement, technologische Ignoranz und Fehleinschätzungen des Marktes haben heimische Werften an der Nord- und Ostseeküste in die Insolvenz oder in den Untergang getrieben. Im August zum Beispiel die P+S Werften, deren Management vor dem Insolvenzverfahren mehr als 500 Millionen Euro Verbindlichkeiten angehäuft hatte.

Wenn es eng wird, wenn ein Unternehmen seine Rechnungen nicht mehr zahlen, keine Kredite mehr aufnehmen und somit nicht mehr produzieren kann, muss der Insolvenzverwalter ran. Er muss Kassensturz machen, die Beteiligten an einen Tisch bringen, sich einen Überblick verschaffen und den Betrieb währenddessen provisorisch weiterführen. Bevor er das Unternehmen verkauft. Oder es, im Interesse der Gläubiger, lieber abwickelt, damit überhaupt etwas verwertet werden kann.

Im deutschen Seeschiffbau wurde in den vergangenen 15 Jahren wohl niemand so oft zur letzten Hilfe gerufen wie der Jurist und Wirtschaftsprüfer Brinkmann. Die Doppelinsolvenz der P+S Werften in Stralsund und in Wolgast sind sein neunter und sein zehnter Fall in der Branche. Parallel arbeitet er derzeit noch am Verkauf der Sietas-Werft in Hamburg und an der Rettung der Nordseewerke in Emden. Deren Eigner, die Siag-Gruppe, suchte für die damalige, wirtschaftlich angeschlagene Werft seit 2010 eine Zukunft beim Bau von Stahlfundamenten für Windkraftwerke auf See. Im Oktober meldeten die Nordseewerke Insolvenz an.

An diesem Morgen tagt auf der Peene-Werft zunächst der Gläubigerausschuss der insolventen P+S Werften. Vertreten sind die Ansprüche von Banken, Zulieferern, Kunden und Dienstleistern der beiden zahlungsunfähigen Unternehmen. Im Konferenzraum sitzen aber auch die Hoffnungen der Mitarbeiter, in Gestalt von Gewerkschaftern und Betriebsräten. Auch der zuständige Amtsrichter ist dabei, Dirk Müller-Koelbl aus Stralsund.

Brinkmann eröffnet die Sitzung und verbreitet erst einmal Optimismus. Für die Peene-Werft hat er drei seriöse Angebote, noch für Dezember erwartet er einen Verkauf. "Ich gehe davon aus, dass sich der Gläubigerausschuss heute hier auf der Peene-Werft zum ersten und zum letzten Mal trifft", sagt Brinkmann. Vor jedem der rund 25 Teilnehmer liegt ein dicker Aktenordner, der den Stand der Dinge enthält. Später, hinter verschlossenen Türen, erläutert der Insolvenzverwalter den Anwesenden, warum die Lage bei der größeren Volkswerft in Stralsund weitaus komplizierter ist als bei der Peene-Werft.

Das Wolgaster Unternehmen, das einst das Zentrum des DDR-Marineschiffbaus war, ist mit der Fertigung und der Reparatur schwimmender Militärfahrzeuge nach wie vor gut ausgelastet. Doch die Insolvenz des Gesamtunternehmens P+S zwingt auch die Peene-Werft unter die Kontrolle des Verwalters. Rund 400 Mitarbeiter arbeiten in Wolgast an den Schiffen, vor der Insolvenz Anfang November waren es etwa 500. Die übrigen wechselten in eine Transfergesellschaft, in der sie, finanziert von der Arbeitsagentur, für neue Tätigkeiten qualifiziert werden.

Brinkmann schätzt, dass rund 300 Schiffbauer in Wolgast nach dem Verkauf der Peene-Werft ihren Arbeitsplatz behalten, dass der künftige Eigner auch die meisten der 66 Auszubildenden vor Ort übernehmen wird. Wie viele der einst 1260 Stellen in Stralsund gerettet werden können, ist zu diesem Zeitpunkt völlig offen. Alle Mitarbeiter sind in eine Transfergesellschaft gewechselt, 200 von ihnen halten den Notbetrieb auf der Werft in Gang. "Stralsund macht uns wirklich Sorgen", sagt Brinkmann öfter an diesem Tag.

Nach der Sitzung des Gläubigerausschusses verlassen die Teilnehmer den Konferenzsaal. Richter Müller-Koelbl geht mit dem Aktenordner unter dem Arm zum Fahrstuhl. Auf die Frage, ob das Verfahren bislang in seinem Sinne laufe, blickt er wortlos zurück. Einen deutschen Richter bittet man während eines laufenden Verfahrens nicht um einen Kommentar dazu. Doch die Strenge in seinem Blick wirkt durchaus zufrieden. Am Ende des Verfahrens wird auch der Richter an Erfolg oder Misserfolg gemessen werden, denn er hat zu Beginn den Insolvenzverwalter bestellt.

Am Mittag steht eine Betriebsversammlung in einer der Werfthallen auf dem Programm. "Wir haben uns dafür starkgemacht, Brinkmann als Insolvenzverwalter einzusetzen", sagt Guido Fröschke auf dem Weg über das Werftgelände. Der 1. Bevollmächtigte der IG Metall Stralsund-Neubrandenburg ist bei der Gewerkschaft für das Insolvenzverfahren der P+S Werften zuständig. "Er bringt viel Erfahrung gerade auch aus der Werftbranche mit, und seine Kanzlei ist groß genug, um so einen komplexen Fall zu bearbeiten."

Brinkmann genießt in der Wirtschaft hohen Respekt, und das nicht nur im Schiffbau, dessen wechselnde Krisenherde er seit Jahren betreut. Die Wadan-Werften in Wismar und Rostock rettete er vor dem Untergang ebenso wie die Hamburger Sietas-Gruppe. In allen Unternehmen existieren heute weniger Arbeitsplätze als vor der Insolvenz. Aber sie existieren. Die Sietas-Tochterunternehmen Norderwerft und Neuenfelder Maschinenfabrik sind an neue Eigner veräußert. Über den Verkauf der Sietas-Werft, des ältesten deutschen Schiffbauunternehmens, verhandelt Brinkmann schon seit Monaten mit dem niederländischen Werftbetreiber VeKa. "Nach der Insolvenz der Sietas-Gruppe war es das gemeinsame Ziel von Berthold Brinkmann und mir, die drei Teilunternehmen der Gruppe am Markt zu halten und ihren Betrieb fortzuführen", sagt der frühere Sietas-Geschäftsführer Rüdiger Fuchs. "Das ist uns gelungen. Wir haben das Maximale in dieser Situation erreicht."

Bei der Betriebsversammlung in der Wolgaster Werfthalle steht Brinkmann im schwarzen Anzug und Mantel am Mikrofon. Vor ihm warten die meisten der Mitarbeiter. "Guten Tag, meine Damen und Herren, kommen sie heran, es gibt gute Nachrichten", sagt der Insolvenzverwalter. Nur einige der Männer und Frauen treten näher zum Mikrofon. Die Arbeiter tragen Blaumänner. "Es kommt ein neuer Eigentümer, wir werden im Dezember einen Kaufvertrag abschließen", sagt Brinkmann. "Der Großteil der Arbeit ist getan."

Gerüchte kursieren, die Bremer Yacht- und Marinewerft Lürssen sei der Favorit bei den Bietern. Brinkmann kommentiert das nicht. Wenn der Verkauf im Dezember gelingt, war es ein kurzes Insolvenzverfahren für die Peene-Werft. Doch fast die Hälfte der früheren Belegschaft wird gehen müssen. Die Werftarbeiter schauen Brinkmann an. Niemand stellt eine Frage, niemand applaudiert, als er die Rettung des Unternehmens in Aussicht stellt. Bald schon ist die Versammlung beendet.

Ein Insolvenzverfahren ist kompliziert, es kann Jahre dauern. Die Bezahlung - der Umsatz der jeweiligen Kanzlei in einem Verfahren - ist anhand der Vergütungsordnung und durch die Größe der Insolvenzmasse genau geregelt. Mit einem Fall wie P+S können Brinkmann und seine Mitarbeiter einige Hunderttausend Euro Vergütung erzielen, vielleicht auch mehr. Maximaler Umsatz und Gewinn scheinen aber nicht sein wichtigstes Motiv zu sein.

Heino Bade kennt Brinkmann seit vielen Jahren. Der Schiffbauexperte des IG-Metall-Bezirks Küste in Hamburg hat mit dem Insolvenzverwalter über viele Werftenpleiten konferiert. "Brinkmann hat sich immer gegen die leichte Lösung - Zerschlagung und Abwicklung - gewehrt. In der gebotenen Zeit versucht er immer, für ein insolventes Unternehmen eine industrielle Perspektive zu finden und Arbeitsplätze zu retten", sagt Bade. "Er agiert sehr professionell. Und sein Handschlag gilt."

Brinkmann, Mitbegründer einer Kanzlei mit inzwischen rund 450 Mitarbeitern und 28 Partnern, betreut ein breites Spektrum von Branchen. Kürzlich verkaufte er einen Safthersteller nach der Insolvenz an eine Handelskette. Jeder Wirtschaftszweig verlangt eigene Erfahrungen und Kenntnisse. Aber auch innerhalb einer Branche ist kein Insolvenzfall wie ein anderer. Der Verwalter muss, wenn er ein Unternehmen retten will, Gläubiger um Geduld bitten und die öffentliche Hand um Bürgschaften für Kredite. Er muss Zeit gewinnen, um Verhandlungen mit möglichen Investoren zu führen. Rund 200 Tage im Jahr ist Brinkmann unterwegs. Die Rechnung seines Mobiltelefons kennt er nicht. "Heutzutage gibt es ja zum Glück Flatrates", sagt er.

Am Nachmittag sitzt er in einem Konferenzraum, der oft vom früheren Eigner der P+S Werften genutzt wurde, dem Bremer Unternehmer Detlef Hegemann. An der Tür hängt ein Foto von Hegemann mit Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin hat ihren Wahlkreis in Stralsund. Nach der Insolvenz kam sie zu einer Betriebsversammlung auf die Volkswerft, als sie ohnehin in der Stadt war. Brinkmann telefoniert ab und zu mit ihr. Aber auch die Kanzlerin kann nicht viel für ein insolventes Unternehmen tun, dem die Aufträge fehlen.

Brinkmann nippt an einem Kaffee. "Bei der Volkswerft hatte ich zum ersten Mal Sorge, dass ich es bei einem Werftunternehmen nicht schaffe, und das will ich nicht zulassen." Die Peene-Werft ist im Kern gesund, die Volkswerft nicht. Brinkmann agiert in Stralsund als Manager, Geldbeschaffer und Kontaktmann für mögliche Käufer zugleich. Er muss zwei fast fertige Fähren neu verkaufen, die deren Auftraggeber in der Insolvenz rechtmäßig storniert hatte. Er will zwei andere Schiffe noch fertig bauen lassen, weil das unter Insolvenzbedingungen möglich ist. Aber sieben Aufträge hat die Werft mit der Eröffnung des Verfahrens verloren und damit einen Großteil ihres Wertes.

"Wir müssen die Werft wieder in Arbeit bringen, bevor wir sie verkaufen können", sagt Brinkmann zum Abschied. Bevor er weiter nach Stralsund fährt, macht er sich einmal kurz Mut: "Jede der Werften, die ich bislang betreut habe, ist noch am Markt", sagt er. "Darauf bin ich fast ein bisschen stolz."