Mehr Fläche, modernste Technik, niedrige Preise. Die Verzögerung bei der Elbvertiefung kommt Europas größtem Hafen entgegen. Ein Report.

Rotterdam. Als Hans Smits zum Antrittsbesuch in seiner neuen Funktion nach Hamburg kam, empfing ihn der damalige Wirtschaftssenator Gunnar Uldall (CDU) im Rathaus. Smits, der 2005 neuer Chef des Rotterdamer Hafenbetriebs geworden war, erinnert sich an den prachtvollen Konferenzsaal, in den Uldall ihn führte. Dort erläuterte ihm der Politiker die Prognosen zur Entwicklung des Containerumschlags. "Er sagte mir, dass Hamburg Rotterdam ja in den kommenden drei, vier Jahren beim Containerumschlag wohl überholen werde. Ich sagte ihm, dass ich Hamburg dafür viel Erfolg wünsche. Sportlicher Wettbewerb ist immer gut."

Smits, 62, erzählt die Geschichte frühmorgens in seinem Büro im 17. Stock des World Port Centers in der Innenstadt von Rotterdam. Durch die Fenster blickt man auf die Maas und auf den Beginn des größten europäischen Hafens. Mit dem Überholen ist es nichts geworden in den vergangenen sieben Jahren. Rotterdam führt den Containerumschlag in Europa mit zwölf Millionen Einheiten (TEU) im Jahr vor Hamburg mit neun Millionen TEU an. Und der Abstand dürfte in den kommenden Jahren noch deutlich wachsen.

Rotterdams Hafenchef ist ein hoch gewachsener, schlanker Mann mit gewählten Umgangsformen. Über das Verhältnis der beiden größten europäischen Hafenstädte berichtet er, auf Deutsch, nur Gutes. Denn er weiß, dass keine Stadt in Europa Rotterdam im Hafengeschäft mehr wird einholen können, auch nicht beim Containerumschlag. Europas größte Baustelle ist seine eigene. Auf der Maasvlakte 2 haben niederländische und belgische Spezialisten in den vergangenen vier Jahren ein neues Areal aus Meersand aufgespült, sie haben Deiche gezogen und den neuen Teil des Hafens wetterfest gemacht gegen die Gewalt der Nordsee. Die Maasvlakte 2 umfasst 20 Quadratkilometer, mehr als ein Viertel der Hamburger Hafenfläche. Im Frühjahr werden auf zwei neuen Terminals die ersten Containerbrücken installiert, nach mehr als 20 Jahren politischer Debatten, Planungen und Bauarbeiten. "Wir sind genau im Zeitplan", sagt Smits und blickt auf die Hafenkarte an der Wand neben seinem Schreibtisch.

Für Hamburg kommt diese Entwicklung zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Die Vertiefung und Verbreiterung der Elbfahrrinne, das wichtigste Projekt des Hamburger Hafens, wurde im Oktober vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gestoppt. Das Gericht will die Klagen von Umweltverbänden und anderen Beteiligten im Hauptverfahren eingehend prüfen. Dass dies nötig werden würde, hatte in der Hamburger Hafenwirtschaft und Politik kaum jemand erwartet. Womöglich dauert es bis Ende 2013, bevor das Gericht über die Zulässigkeit und Form der Baumaßnahmen entscheidet, vielleicht auch länger. Deshalb wägen die Reedereien für ihre größten Schiffe, die derzeit nur unter schwierigen Umständen nach Hamburg kommen, Ausweichhäfen an der Nordsee ab. Die wichtigste Alternative ist Rotterdam, dessen Hafen mit 20 Meter Wassertiefe von allen gängigen Schiffen ohne Beschränkungen beim Tiefgang angelaufen werden kann. 2014 bringt Rotterdam zudem zwei neue, hochautomatisierte Terminals mit einer jährlichen Umschlagkapazität von insgesamt fünf Millionen Containereinheiten an den Markt.

Die Debatten zwischen Hafenwachstum und Umweltschutz sind Smits vertraut, es gab sie in Rotterdam ebenso wie in Hamburg. "Die Umweltorganisationen und die Bürgerinitiativen wurden hier vom ersten Tag an eng mit einbezogen", sagt er. "Bis heute gibt es einen permanenten runden Tisch für Themen wie die Minderung von Emissionen beim Bau und Betrieb der Maasvlakte 2, den Lärmschutz, die Architektur des neuen Hafenteils."

Womöglich hätte mehr Diskurs zwischen allen Beteiligten auch das Projekt Elbfahrrinne erleichtert. Nun aber liegt es beim Gericht, zu entscheiden. Smits vermeidet jeden Eindruck, Rotterdam könnte die schwierige Lage in Hamburg auszunutzen versuchen. Dabei sucht der Hafenbetrieb permanent die Offensive. Anfang November kündigte Rotterdam an, 2013 erneut die Hafengebühren zu senken, die einen Teil der Hafenkosten für die Reedereien ausmachen. Hamburg zog am vergangenen Freitag nach, obwohl Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) einen solchen Schritt zunächst nicht für nötig gehalten hatte. Besonders große Schiffe bekommen von 2013 an deutliche Nachlässe beim Hafengeld, wenn sie die Hansestadt anlaufen. So sollen die Reedereien trotz der Restriktionen durch die Verschiebung der Elbvertiefung an Hamburg gebunden werden.

"Wir senken die Hafengebühren, weil unsere Kunden, die Reedereien, derzeit in einer schwierigen Situation stecken", sagt Smits. Rotterdam kann sich das besser leisten als Hamburg, denn der Hafenbetrieb der niederländischen Stadt arbeitet mit einem anderen System und besseren Einkommensquellen als die öffentlich-rechtliche Hamburg Port Authority (HPA). Bei der HPA kneift es finanziell, vor allem in Zeiten schwachen Hafenwachstums wie derzeit. Rotterdams Hafenbetrieb hingegen blieben von rund 588 Millionen Euro Umsatz im vergangenen Jahr gut 186 Millionen Euro Nettogewinn. "Wir haben Rücklagen", sagt Smits.

Damit organisiert der Hafenbetrieb nicht nur seinen Anteil von einer Milliarde Euro für den Bau der Maasvlakte 2. Rotterdam sondiert auch das europäische Inland permanent auf Wachstumsmöglichkeiten für den Containertransport, etwa in der Zusammenarbeit mit Europas größtem Binnenhafen Duisburg. Die neuen Hafenanlagen an der Maasmündung müssen ausgelastet werden. "Wenn man neue Terminals an den Markt bringt, bedeutet das zunächst immer erst einmal gewisse Überkapazitäten", sagt Smits über die Maasvlakte 2. "Aber man muss die Kapazitäten rechtzeitig anbieten, bevor das Wachstum beim Umschlag einsetzt. Vor etwa 100 Jahren wurde der Bau des modernen Rotterdamer Hafens begonnen. Wir bauen heute mit Blick auf die kommenden 100 Jahre."

Gut 40 Kilometer westlich arbeitet Frank Keizer auf der Maasvlakte 2 daran, Smits Worte in eine neue Hafenanlage zu übersetzen. Vor Kurzem hat der Hafenbetrieb die fertig präparierte Sandfläche und mehr als einen Kilometer Kaimauer mit einer Spundwand aus Betonsegmenten übergeben. Der Bauingenieur Keizer, Projektleiter des Terminalbetreibers Rotterdam World Gateway (RWG), errichtet nun mit 350 bis 400 Mitarbeitern die Logistikanlage. Aus einer Wellblechgarage holt er einen Geländewagen. "Hier stehen Firmenfahrzeuge und Privatautos", sagt er. "Ohne die Garage würden die Fahrzeuge im Sturm regelrecht gesandstrahlt."

Bei vielen Großprojekten hat Keizer gearbeitet, unter anderem beim Ausbau des Amsterdamer Flughafens Schiphol. Die Ausstattung eines Containerterminals ist dagegen vergleichsweise einfach. Rund 2,4 Millionen Containereinheiten soll das Terminal in der ersten Ausbaustufe jährlich umschlagen, annähernd so viel wie der neue JadeWeserPort in Wilhelmshaven. "Ich gebe das Terminal schlüsselfertig ab", sagt Keizer bei der Fahrt über die mehr als 100 Hektar weite Sandfläche. "Die große Herausforderung wird die Inbetriebnahme der Anlage Ende 2014 sein, vor allem das Zusammenspiel der hochkomplexen IT-Systeme."

In den kommenden Monaten wird Keizers Team die Leitungssysteme installieren, die Terminalfläche mit einer Asphaltdecke versehen und die Gebäude errichten. Die Fundamente für das Verwaltungsgebäude und für das Umspannwerk sind bereits fertig. Vom Frühjahr an kommen die Containerbrücken und die Kräne für die Containerlager. Nach der Rückkehr in die Baubaracke zeigt Keizer die Pläne für die Anlage. Die Konstruktion ähnelt dem des bislang modernsten Terminals, der HHLA-Anlage in Hamburg-Altenwerder. Den wichtigsten Unterschied und Vorteil im Wettbewerb allerdings kann man auf Keizers Schemazeichnung nicht sehen: "Rotterdam ist täglich 24 Stunden durchgehend erreichbar. Das unterscheidet diesen Hafen von den anderen großen Anlagen an der Nordsee."

Der niederländische Hafen ist Hamburgs wichtigster Konkurrent. Von den Beteiligten der Hafenwirtschaft wird der Wettbewerbsdruck gern heruntergespielt. Lieber verweist man auf die Vorzüge der Hansestadt, die Lage im Inland mit den guten Anbindungen an Straße und Schiene, den hohen Anteil an Ladung, der in Hamburg zur Verarbeitung direkt in der Region angelandet wird. Seit dem Stopp der Elbvertiefung aber ist Rotterdam in Hamburg so präsent wie nie. Xu Lirong, Chef der chinesischen Schifffahrtslinie China Shipping, merkte dieser Tage an, dass die größten Containerfrachter des Unternehmens wegen der Verzögerung der Elbvertiefung nach Rotterdam umgeleitet würden. "Die Schiffe werden immer größer", sagte Xu bei der Konferenz "China meets Europe" in der Hamburger Handelskammer. "Für die Wettbewerbsfähigkeit Hamburgs ist wichtig, wie tief das Wasser ist." So deutlich hatte zuvor kein anderer Topmanager einer Reederei das Argument Rotterdam öffentlich vorgetragen.

Auch Gunther Bonz, Präsident des Unternehmensverbands Hafen Hamburg, macht in der Debatte um die Elbvertiefung Druck: "An der Nordsee herrscht zwischen den Häfen ein brutaler Wettbewerb. Die Umweltverbände, die gegen den Ausbau der Elbe und auch der Weser klagen, betreiben die Sache der Häfen in Belgien und in den Niederlanden", sagt er. "Ohne die Elbvertiefung werden die großen Schiffe, von denen immer mehr an den Markt kommen, einen wachsenden Teil ihrer Ladung in Rotterdam löschen und laden."

Diesen Trend will Frank Tazelaar unterstützen. Auf der Maasvlakte 2, gegenüber von RWG, errichtet der Projektleiter mit seinem Team das modernste Containerterminal der Welt. Gebaut und betrieben wird die Anlage von APM Terminals, Tochterunternehmen des dänischen Konzerns A.P. Moller Mærsk und Schwesterunternehmen der weltgrößten Reederei Mærsk.

"Wir arbeiten seit Jahren hart daran, diese Anlage zu realisieren", sagt Tazelaar, 44, in der Baubaracke von APMT. Das Projekt markiert einen technologischen Sprung. Auf den Containerbrücken werden keine Fahrer mehr sitzen. Stattdessen steuern Experten die großen Kräne von einem Leitstand aus. Die Ladegeschirre der Brücken können deutlich schneller hin- und herfahren als auf bemannten Anlagen. Die schnellen Lösch- und Ladebewegungen, die mit den neuen Brücken vorgesehen sind, würden Fahrer in den Kanzeln körperlich zu sehr belasten.

Ferngesteuerte Brücken will auch RWG auf seinem Terminal installieren, ebenso Batterie betriebene, automatisch gesteuerte Transportfahrzeuge auf dem Terminal. Aber APMT plant obendrein noch einen automatischen Umschlag vom Containerlager auf die Güterbahn. 30 bis 40 Prozent mehr Durchsatz als herkömmliche Terminals soll die neue Anlage ermöglichen.

Sie ist perfekt abgestimmt auf eine neue Generation riesiger Containerfrachter, die Mærsk von 2013 an in Fahrt bringt. Bis zu 18 000 Containereinheiten sollen die 400 Meter langen, 59 Meter breiten Frachter tragen können. Wohl nirgends wird man sie so schnell be- und entladen wie bei APMT in Rotterdam. "Der Einsatz der neuen Schiffe", sagt Frank Tazelaar lächelnd, "kommt uns natürlich sehr entgegen."