Die Bullen sind los: Getränkehersteller Red Bull, Sponsor der Formel 1 und vieler Extremsportarten, will nun den deutschen Fußball erobern.

Flugzeug-Veteranen sind im Hangar 7 am Salzburger Flughafen aufgereiht, Formel-1-Rennwagen glänzen im Scheinwerferlicht. Das Gourmet-Restaurant heißt Ikarus, und manchmal steht der Chef selbst am Herd, der Sternekoch Eckart Witzigmann. Am Montagabend wartete ein neuer Star auf die 25 geladenen Gäste: "der Deutsche Dietmar Beiersdorfer", wie ihn die örtliche Presse nennt. Der ehemalige Sportchef des Fußball-Bundesligaklubs Hamburger SV soll einem Projekt Flügel verleihen, das trotz Millionen-Investitionen bisher nicht rundläuft.

Der österreichische Getränkehersteller Red Bull will auch dem Fußball seine Marke aufdrücken. Dafür wurde Beiersdorfer geholt. Er war der Wunschkandidat des Milliardärs Dietrich Mateschitz, dem Chef des weltweiten Imperiums, dessen süffig-süßer, aufputschend wirkender Trunk sich im vergangenen Jahr mehr als vier Milliarden Mal verkaufte.

Beiersdorfers Vertrag läuft bis Ende 2014. Am 1. November tritt er seinen Job an der Salzach offiziell an. Derzeit bereitet er seinen Umzug aus Hamburg-Winterhude vor. "Ich bin formal Sportdirektor bei Red Bull Salzburg, aber hauptsächlich werde ich die Fußballaktivitäten des Konzerns koordinieren. Ich bin eine Art Klammer", sagt Beiersdorfer. Red Bull besitzt Mannschaften in Salzburg (Bundesliga), São Paulo (2. Liga), New York (Major League Soccer) und Markranstädt bei Leipzig (Oberliga Nordost, Staffel Süd/5. Liga) und unterhält Fußball-Akademien in Brasilien und Ghana. Im Namen der Dose wurde bisher nur Salzburg Meister. Den Sprung in die Champions League verpasste das Team des ehemaligen HSV-Trainers Huub Stevens in der Qualifikation.

Es waren vor allem zwei Kriterien, die in der Vergangenheit die Werbeträger der Bullen zu erfüllen hatten. Sie mussten besonders nervenkitzelnd sein, wie die Formel 1 - oder besonders trendig. Das "Red Bull Air Race" verbindet beides. Bei diesen Luftrennen absolvieren die Piloten in einmotorigen Propellermaschinen mit fast 400 km/h einen halsbrecherischen Riesenslalom durch luftgefüllte Tore. Seit 2003 wird die WM-Serie weltweit ausgetragen. Das Finale lockte am Wochenende mehr als 800 000 Zuschauer an den Strand von Barcelona.

Etabliert haben sich auch die "Red Bull X-Fighters": Freistil-Motocross-Wettkämpfe, die passenderweise bevorzugt in Stierkampfarenen ausgefahren werden. Je jünger der Sport und je englischer dessen Name, umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass der rote Bulle mitmischt. Beim Wakeboarden (ähnlich dem Wasserskilaufen), Surfen und Cliffdiving (Klippenspringen) tritt der Konzern als Sponsor auf, obendrein unterhält er ein Skateboarding-Team. Auch rund 500 Einzelsportler dürfen sich über einen Schluck aus dem üppigen Marketing-Topf freuen, etwa Triathlonweltmeister Daniel Unger oder Drachenfliegerin Corinna Schwiegershausen. Fußballnationalstürmer Mario Gomez sucht für das "Red Bull Schützenfest" nach kuriosen Toren. Worauf es ankommt, macht der Bayern-Profi im szenigen Freizeit-Look auf dem Werbevideo vor. Die Botschaft ist stets die gleiche: Wer das Außergewöhnliche erleben will, kommt an der silbernen Dose nicht vorbei.

Rund 500 Millionen Euro jährlich lassen sich die Österreicher den weltweiten Werbeeinsatz ihres bulligen Emblems kosten und stehen kurz davor, Branchenführer Nike auf die Hörner zu nehmen. Der US-Sportartikelhersteller steckte 2008 etwa 550 Millionen Euro in Werbung und Sponsoring, vornehmlich auf dem amerikanischen Markt.

Auch die Formel 1 passte perfekt ins Portfolio der Extremsportarten, die Mateschitz bei Red Bull angesammelt hat. "Abenteuerlust" und "Risikofreude" gehören für den Leit-Bullen zum Image seines Unternehmens. Der Kauf des kriselnden Jaguar-Teams im November 2004 für den Schnäppchenpreis von einer Million Dollar war der ideale Einstieg in den Grand-Prix-Zirkus. Aus British Racing Green wurden die Hausfarben Blau-Rot-Gelb. Ein Jahr später schlug Mateschitz noch einmal zu und erwarb das chronisch erfolglose Minardi-Team, das seither "Red Bull" auf Italienisch heißt: Toro Rosso. Ein B-Team für die Bullen. Anfangs wurden die Neulinge als Spaß- und Partytruppe belächelt. Um Siege oder gar Titel ging es zunächst nicht. Aufmerksamkeit erregten Äußerlichkeiten. Weil ihre Rennfahrer David Coulthard und Mark Webber als Gentleman-Piloten galten, wurden die Boliden im Nadelstreifen-Muster lackiert. In Monaco tauchte Coulthard sogar mit Superman-Umhang in der Fürstenloge auf.

Doch als Marketing-Gag, nur für das Mitrollen und ein paar nette Fotos in der Fachpresse, war Mateschitz die Formel 1 dann doch zu teuer. Ein bisschen Erfolg wäre auch nett, dachte sich der smarte Unternehmer. Er ahnte die Wirtschaftskrise voraus und ging, als die Konkurrenz verzweifelt nach Einsparmöglichkeiten suchte, in die Vollen. Die Fabrik in Milton Keynes in Mittelengland zählt zu den innovativsten der Branche. Da war das Beste gerade gut genug. Der größte Coup war die Verpflichtung des Designer-Genies Adrian Newey. Der kauzige Brite mit der hohen Stirn, der immer noch lieber am Zeichenbrett als am Computer arbeitet, hat schon für Williams und McLaren weltmeisterliche Rennwagen gebaut. Jetzt kassiert er im Bullen-Stall 15 Millionen Euro und verleiht dem Gefährt von Sebastian Vettel Heck- und Frontflügel. In nur fünf Jahren ist Red Bull an der Spitze angekommen. Den ersten Sieg fuhr Vettel 2008 in Monza für das B-Team Toro Rosso heraus. In dieser Saison ist der "Red Bull RB 5", wie Vettels Arbeitsgerät heißt, das schnellste Auto. Neweys Stochern im Grenzbereich führt indes dazu, dass der Rennwagen gelegentlich streikt.

Mit Funkgerät und Stoppuhr sieht man Dietrich Mateschitz nicht an den Boxen. "Dafür habe ich meine Experten", sagt der Herr der Dosen. Sein Statthalter im Motorsport ist Helmut Marko, Doktor der Rechtswissenschaften und selbst Anfang der 70er-Jahre Formel-1-Fahrer, gleichsam der Beiersdorfer der Formel 1. Marko sagt aber, dass sein Chef kein ahnungsloser Mäzen sei, der sich nur im Glanz der Erfolge sonnen wolle: "Er weiß genau, was wo wie läuft."

Ein Engagement im Fußball hatte Mateschitz lange ausgeschlossen. Es passte nicht zu der etwas anderen Marke. Als sich vor vier Jahren sein Heimatverein Austria Salzburg finanziell ins Abseits gekickt hatte und vor der Insolvenz stand, mochte Mateschitz nicht wegschauen. Er half und stieg gleich global ins Fußballgeschäft ein. "Halbe Sachen gehören nicht zu den Unternehmensgrundsätzen. Bei Red Bull heißt es, entweder wir machen etwas ganz oder gar nicht", weiß Beiersdorfer. Dependancen in Ghana, Brasilien, New York und Leipzig wurden gekauft. Synergien zwischen den Standorten zu schaffen ist nun eine der Aufgaben des 45 Jahre alten Hamburgers. Bislang kam erst ein Wechsel innerhalb des Netzwerks zustande. Der österreichische Mittelfeldspieler Ernst Öbster (25) wurde im Sommer aus Salzburg nach New York transferiert.

Das ehrgeizigste Projekt verfolgt Red Bull in Leipzig. Die Österreicher übernahmen den Spiel- und Sportverein Markranstädt. Der Ort liegt südwestlich im Speckgürtel der sächsischen Metropole. In fünf, spätestens in zehn Jahren soll der Klub von der Fünften in die Bundesliga aufsteigen. Rund 100 Millionen Euro, heißt es, stehen bereit - für ein zweites Hoffenheim. Der Dorfklub war mit dem Geld des Software-Milliardärs Dietmar Hopp in zwei Jahren von der Dritten in die Erste Liga geschossen, war 2008 Herbstmeister der Bundesliga. Der kleine Unterschied: Die TSG 1899 Hoffenheim ist Hopps Heimatverein.

Die Anfänge sind gemacht. Nach acht Spieltagen führt Rasen-Ballsport Leipzig die Staffel Süd der Oberliga Nordost an. Die Namensgebung Red Bull Leipzig verbieten die Statuten des Deutschen Fußball-Bundes. Bayer Leverkusen, Wacker Burghausen und Carl Zeiss Jena sind die einzig akzeptierten Ausnahmen. Sie sind der Tradition geschuldet.

Durchschnittlich 2500 Zuschauer besuchen die Spiele der Rasenballsportler im beschaulichen Stadion am Bad, das Lokalderby gegen Lok Leipzig lockte bereits 12 000 Fans ins Zentralstadion. Die Leipziger WM-Arena, Fassungsvermögen: 44 000 Zuschauer, soll nach dem Aufstieg in die Dritte Liga Spielstätte des ehrgeizigen Vereins werden. Die Voraussetzungen sind geschaffen. Red Bull pachtete das Stadion bis 2030 und erwarb die Namensrechte.

Der Filmhändler und Fußball-Investor Michael Kölmel hatte das Leipziger Stadion im Jahr 2000 gekauft und zur Fußball-WM 2006 für 36 Millionen Euro umgebaut. Ohne regionalen Profiverein konnte er es nicht kostendeckend betreiben. "Fußball war in Leipzig aus eigenen Kräften nicht mehr zu managen. Ich habe es versucht, doch niemand hat mich unterstützt", sagte Kölmel dem Abendblatt. Deshalb habe er außerhalb Sachsens gesucht - und Red Bull gefunden. Das gefiel nicht jedem. Vor dem ersten Pflichtspiel der Bullen hatten Unbekannte die Grasnarbe mit Unkraut-Ex bearbeitet, in die Mitte des Platzes ein Holzkreuz gerammt und die Bandenwerbung mit schwarzer Farbe beschmiert. Beim ersten Auswärtsspiel wurde der Bus mit Dosen beworfen. Die Front bröckelt. 75 Prozent der Leipziger, so eine Umfrage, begrüßen den Einstieg des Brausebrauers. Die Politik tut es ohnehin. "Endlich wird unsere hervorragende sportliche Infrastruktur genutzt. Das stärkt den Standort Leipzig", sagte Steffen Jantz, Sprecher des Oberbürgermeisters Burkhard Jung (SPD), dem Abendblatt.

Niemand müsse Red Bull fürchten, betont Beiersdorfer, schließlich sei es das Ziel, die Talente in der Region zu halten. Das war hier lange Zeit keinem Verein gelungen. Die größten Begabungen wanderten stets zu den Bundesligaklubs ab. Auch Beiersdorfer gehörte zu den Wilderern. Da war er Sportchef des HSV.