Reinhard Mohn, der Bertelsmann zum globalen Medienkonzern machte, ist tot. Ein Nachruf auf den großen Medienmacher.

Ein Mann der Öffentlichkeit war er nie, obwohl er Öffentlichkeit verkaufte, und das in großem Stil. Der Gütersloher Verleger Reinhard Mohn, Miteigentümer und jahrzehntelang Chef des Bertelsmann-Konzerns, ist am Sonnabend nach langer Krankheit im Alter von 88 Jahren gestorben. Er sei auf seinem Hof in Steinhagen bei Gütersloh "friedlich entschlafen", ließ der Konzern wissen.

"Bertelsmann ist in tiefer Trauer um einen der größten Unternehmer unserer Zeit. Unser ganzes Mitgefühl gehört der Familie Reinhard Mohns, vor allem seiner Ehefrau Liz und seinen Kindern", sagte Bertelsmann-Chef Hartmut Ostrowski gestern. "Wie kein anderer verkörpert er, was Bertelsmann ist: ein weltoffenes und den Mitarbeitern verpflichtetes Unternehmen." Auch zahlreiche Politiker würdigten Mohn.



Neben Axel Springer war Mohn der bedeutendste deutsche Verleger der Nachkriegszeit. Die Gründerjahre der Männer zeigen Parallelen: Auf dem Fundament kleinerer Familienverlage bauten beide in der Zeit des deutschen "Wirtschaftswunders" ihre Medienkonzerne auf. Doch während Springer sich zu einem politischen Verleger wandelte und jahrzehntelang für die deutsche Einheit stritt, hielt sich Mohn im Hintergrund. "Ich bin kein Verleger, ich bin Unternehmer", sagte er zu seiner Profession.


Sein erster Coup gelang Mohn 1950 mit der Gründung des "Bertelsmann Leserings", dem späteren "Bertelsmann Buchclub", Treibsatz für den künftigen Großverlag. Das Prinzip war einfach und durchschlagend: Mohn umging mit der Direktvermarktung an seine Leser den etablierten Buchhandel und bot die Titel, wie später auch Schallplatten, günstiger an. Die Kunden des Buchclubs sind Abonnenten mit festen Mindestumsätzen.


Zum publizistischen Schwergewicht stieg Mohn Ende der 60er-Jahre auf, als Bertelsmann mit der schrittweisen Übernahme des Hamburger Verlags Gruner + Jahr (G+J) begann. Dort erscheinen Titel wie der "Stern", Geo", "Brigitte" und seit einigen Jahren auch die "Financial Times Deutschland". Indirekt ist Bertelsmann über G+J zudem am "Spiegel" beteiligt. Auch mit Axel Springer verhandelte Mohn Anfang der 70er-Jahre über eine Beteiligung an dessen Verlagshaus, in dem auch das Abendblatt erscheint. Selbst die Übernahme der Mehrheit bei Springer durch Bertelsmann schien denkbar. Doch die entsprechenden Pläne wurden nicht realisiert.

Mit seinen Tochtergesellschaften in der Musikindustrie, im Buch- und Zeitschriftenmarkt, im Fernseh- und Druckereigeschäft stieg Bertelsmann zeitweise zum größten Medienkonzern der Welt auf. Derzeit aber setzt die Wirtschaftskrise dem Unternehmen schwer zu. Rund 7,5 Milliarden Euro Umsatz machte Bertelsmann im ersten Halbjahr 2009, etwa 500 Millionen Euro weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Das Geschäft mit Zeitschriften leidet, erst recht aber das einstige Verlagsfundament, die Kette der Buchclubs, die Bertelsmann längst international betreibt. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres lief im Konzern ein Verlust von 333 Millionen Euro auf. Mit einem Sparprogramm in Höhe von 900 Millionen Euro allein in diesem Jahr will der Vorstand dagegenhalten.


In dieser schwierigen Zeit verliert das Unternehmen seinen Patriarchen. Zu den Grundsätzen, die Reinhard Mohn in den 60er-Jahren bei Bertelsmann etabliert hatte, zählen dezentral geführte Einheiten und eine Mitbeteiligung der Arbeitnehmer am Unternehmen, auch über Eigentum. Der "rote Mohn" nannten ihn die Mitarbeiter ironisch-lobend. Seine Mitarbeiter seien ihm wichtiger als Aktienkurse, sagte Mohn oft. Diese Grundhaltung, die seine Kritiker mitunter als antiquiert belächelten, klingt nach den Exzessen an den Kapitalmärkten heute umso moderner.


Trotz liberaler Führungsprinzipien gab die Familie Mohn die Kontrolle über das Unternehmen nie aus der Hand. Im Gegenteil: Mohn und seine zweite Ehefrau Liz drehten zu Beginn dieses Jahrzehnts eine entscheidende Entwicklung, die sie für bedrohlich hielten, wieder zurück.


Im Jahr 1998 übernahm Thomas Middelhoff den Vorstandsvorsitz bei Bertelsmann. Er beschleunigte die Expansion des Hauses deutlich, fokussierte den Konzern stärker auf elektronische Medien, unter anderem mit der Übernahme des Fernsehsenders RTL. Seinen größten Erfolg feierte Middelhoff, als er im Jahr 2000, auf dem Höhepunkt der "New Economy"-Euphorie, den Anteil des Unternehmens am Internet-Dienstleister AOL Europe für spektakuläre 15 Milliarden Mark verkaufte - ein Vielfaches dessen, was Bertelsmann in das junge Unternehmen investiert hatte. Derart motiviert, wollte Middelhoff von Gütersloh aus die Medienwelt neu vermessen und drängte auf einen Börsengang, um das nötige Kapital zu beschaffen. Die Kärrnerarbeit eines mühsamen Eigenwachstums, getragen von Printmedien, entsprach nicht seinen Visionen. Nicht zuletzt wegen seiner Börsenpläne, die die Familie Mohn Einfluss gekostet hätten, verlor er schließlich einen Machtkampf mit dem damaligen Chef des Bertelsmann-Aufsichtsrats, dem früheren G+J-Chef Gerd Schulte-Hillen. Mohn entließ Middelhoff im Jahr 2002. Später scheiterte Middelhoff, der sich bei Bertelsmann gern als Lichtgestalt der deutschen Medienwirtschaft gerierte, mit der Sanierung von Karstadt.


Gerade in seinen letzten Lebensjahren stellte Reinhard Mohn gemeinsam mit seiner Frau noch einmal entscheidende Weichen für Bertelsmann. "Die Familie Mohn hat immer großen Einfluss auf den Konzern gehabt, auch wenn das gelegentlich anders dargestellt wurde", sagte Vorstandschef Hartmut Ostrowski vor nicht langer Zeit. "Reinhard Mohn war und ist sehr präsent im Unternehmen."


Offizielle Funktionen benötigte Mohn dazu in seinen späten Jahren nicht mehr. Den Vorstandsvorsitz bei Bertelsmann hatte er bereits 1981 abgegeben. Bis 2004 legte er nach und nach auch seine Ämter in den Kontrollgremien des Unternehmens nieder. Lediglich im Kuratorium der Bertelsmann-Stiftung hielt er noch eine protokollarische Position. Gerade in dieser Phase allerdings erlangte die Familie Mohn in der Medienwirtschaft so viel Einfluss wie nie zuvor, betrachtet man die internationale Präsenz des Konzerns. Mehr als 100 000 Menschen in 50 Ländern arbeiten heutzutage für Bertelsmann. Im Jahr 2006 kaufte das Unternehmen für 4,5 Milliarden Euro vom belgischen Unternehmer Albert Frère 25,1 Prozent der eigenen Anteile zurück. Frère war über den Verkauf von RTL zu Bertelsmann gestoßen. Mit dem Rückkauf der Anteile waren die letzten Spätfolgen der Ära Middelhoff getilgt. Rund 77 Prozent der Konzernanteile hält nun die Bertelsmann-Stiftung, die übrigen 23 Prozent liegen bei der Familie Mohn - und die gibt im Konzern klarer denn je den Ton an.


Reinhard Mohn wurde mit dem Aufstieg von Bertelsmann zum Milliardär zu einem der reichsten Deutschen. Doch der Reichtum hat ihn nie verführt. Er selbst wie auch seine Frau profilierten sich vielmehr als Stifter, als Mäzene, als Privilegierte, denen das öffentliche Wohl am Herzen liegt. Die Bertelsmann-Stiftung, die Mohn 1977 mit seinem Aktienkapital gegründet hatte, konnte bis heute mehr als 800 Millionen Euro für Projekte im Bildungs- und Gesundheitswesen oder in der Gesellschaftspolitik ausgeben, finanziert durch die Ausschüttungen des Konzerns. Etliche Male wurde Mohn für sein Lebenswerk ausgezeichnet, unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz.


Der Patriarch lebte bescheiden. Anstelle von Luxusyachten kaufte er sich einen Bauernhof. "Reichtum war mir nie wichtig", sagte Mohn, der noch bis vor kurzer Zeit regelmäßig mit seinen Mitarbeitern in der Gütersloher Konzernkantine zu Mittag aß. Reichtum allerdings hat der "stille Mensch von Gütersloh", wie ihn Walter Kempowski einmal nannte, erlangt. Reichtum weit über das Finanzielle hinaus.