Radikalumbau trifft bundesweit 12 500 Mitarbeiter - davon 450 in Hamburg. Nicht nur dem Alsterhaus, auch der Karstadt-Filiale in Billstedt sowie 1500 Quelle-Shops drohen der Verkauf.

Der ehemalige Arcandor-Chef Thomas Middelhoff ließ sich gern feiern. Als er einmal zur großen Party unter der gläsernen Kuppel des Hamburger Alsterhauses lud, kamen nicht nur Ministerpräsidenten, sondern auch Schauspielerinnen und Fernsehmoderatoren. Gern glaubten sie dem hochgewachsenen Manager, dass sich die Karstadt-Warenhäuser nach Jahren der Sanierung auf einem guten Weg befanden. Ende Februar räumte Middelhoff dann seinen Chefsessel und ließ mit breitem Lächeln wissen, er übergebe das Unternehmen "gut geordnet und aufgeräumt".

Nur drei Monate später hat Middelhoffs Nachfolger Karl-Gerhard Eick einen gänzlich anderen Eindruck von dem Konzern. Arcandor, im Jahr 2005 als KarstadtQuelle schon einmal kurz vor der Insolvenz - steht jetzt erneut am Rande des Abgrunds. Im Handels- und Tourismuskonzern klafft eine Finanzierungslücke von bis zu 900 Millionen Euro. Zudem müsse das Unternehmen bis Jahresende über die Verlängerung von Darlehen in Höhe von 950 Millionen Euro mit den Banken neu verhandeln, sagte Eick gestern in Düsseldorf.

In seiner Not stellt der neue Konzernchef nun das letzte noch verbliebene Tafelsilber zum Verkauf. Mit Alsterhaus, Berliner KaDeWe und Münchner Oberpollinger stehen genau jene Luxuskaufhäuser zur Disposition, die Eicks Vorgänger noch mit Millioneninvestitionen modernisiert hatte. Die Häuser landen künftig in einer getrennt geführten Gesellschaft namens Atrys, in der all jene Aktivitäten gebündelt werden, die Eick nicht mehr als Kerngeschäft einstuft. Neben einem Verkauf prüft der Vorstand auch strategische Partnerschaften, Management-Buyouts, Sanierung oder Schließung. Insgesamt sind von der Ausgliederung rund 12 500 von 70 000 Konzernmitarbeitern betroffen. In Hamburg sind es mindestens 450 von rund 3000 Beschäftigten.

Nicht mehr zum Kerngeschäft zählen künftig auch acht Karstadt-Filialen in Hamburg-Billstedt, Kiel, Hanau, Kaiserslautern, Bottrop, Leipzig, Ludwigsburg und das Haus München am Dom, ebenso Karstadt Sports in Recklinghausen. Diese Häuser stehen ebenso zur Disposition wie 1500 Quelle-Shops und 115 Technikcenter des Versandhauses.

Ohne Abstriche erhalten bleibt hingegen das reine Versandhandelsgeschäft, das im Konzernbereich Primondo zusammengefasst ist, sowie die profitable Touristiksparte Thomas Cook.

Dem kriselnden Warenhausgeschäft will der Vorstandsvorsitzende nun durch die Rückbesinnung auf "Otto-Normalverbraucher" neues Leben einhauchen. "Die Kerngruppe ist vorwiegend weiblich und 35 bis 65 Jahre alt", beschrieb Eick den künftigen Karstadt-Kunden und gebrauchte dabei Vokabeln wie "familienorientiert", "bürgerlich" und "dem klassischen Wertesystem verbunden".

An der Börse und bei Handelsexperten stößt diese Neuorientierung hin zur "profilierten Mitte" allerdings auf wenig Begeisterung. Die Arcandor-Aktie sackte gestern um zehn Prozent ab.

"In der Mitte ist es für Kaufhäuser am schwierigsten, sich zu profilieren und unverwechselbar zu machen", sagte Handelsexperte Wolfgang Twardawa von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) dem Abendblatt. "Wirklich Zukunft haben Warenhäuser eigentlich nur dann, wenn sie ein besonderes Einkaufserlebnis wie etwa das Alsterhaus oder das KaDeWe bieten." Kurzfristig könne der Verkauf der Premiumhäuser dem Konzern vielleicht eine Atempause verschaffen. "Doch die Strukturprobleme sind damit nicht gelöst." Auch die Gewerkschaft Ver.di bezeichnete es als "Fehlentscheidung", sich von den Edelkaufhäusern zu trennen.

In Deutschland laufen den Kaufhäusern schon seit Jahren die Kunden davon. Lag ihr Marktanteil in den 60er-Jahren noch bei 30 Prozent, so ist er heute auf magere drei Prozent zusammengeschnurrt. Für Mode gehen die Kunden lieber zu Hennes & Mauritz, für Elektroartikel zu Media-Markt oder Saturn. Und wer alles zusammen sucht, landet meist im Einkaufszentrum. Die Shoppingcenter sind die großen Gewinner des Strukturwandels im deutschen Einzelhandel. Allein Marktführer ECE aus Hamburg betreibt heute 112 dieser Konsumtempel und ist weiter auf Wachstumskurs.

Wenig spricht dafür, dass die neue Führungsriege auf dieses Grundproblem eine schlagkräftige Antwort findet. Im Gegensatz zur ersten Sanierung von 2005 fehlen ihr dazu nämlich die Mittel. Den eigentlichen Schatz von Arcandor, die Immobilien, hatte nämlich das alte Management schon vor Jahren verkauft. Experte Twardawa meint daher: "Die nächste Krise ist schon programmiert."