Hunderte Beschäftigte stimmten Aufhebungsvertrag zu. Vereinbarte Summen dürften durch Insolvenz schrumpfen.

Hamburg. Er hat mit spitzem Bleistift gerechnet. Damals, als im Herbst 2008 der zum Arcandor-Konzern gehörende Versandhändler Quelle ihm ein Abfindungsangebot unterbreitete. Vor allem ältere Mitarbeiter wurden angesprochen, damit sie das Unternehmen verlassen. Die Unterschrift unter den Vertrag sollte mit einer Abfindungszahlung vergoldet werden, die 30 Prozent über der Summe lag, die Quelle laut Sozialplan hätte zahlen müssen. Der 59-Jährige beeilte sich mit der Unterschrift, schließlich hatte der Versender das Angebot nur bis zum 12. Dezember befristet. Später wurde es verlängert - bis in den April 2009 hinein, obwohl da schon bekannt war, dass Arcandor wieder hohe Verluste erwirtschaftet hatte. 91 000 Euro sollte der 59 Jahre alte Quelle-Mitarbeiter bekommen. Die Summe hielt er für angemessen, die Zeit bis zur Rente könnte er mit dem Geld überbrücken.

Obwohl der Mann unterschrieb, hat er das Geld bis heute nicht gesehen. Denn offiziell läuft sein mit der Unterschrift im Jahr 2008 beendeten Arbeitsvertrag wegen Kündigungsfristen, die Quelle einhalten wollte, erst Ende Juni aus. Der Abfindungstopf für die Mitarbeiter war voll. Sogar für den ausgeschiedenen Konzernchef Thomas Middelhoff wurden aus ihm 2,3 Millionen Euro entnommen und an den Manager ausgezahlt. Einfache Mitarbeiter wie der 59-Jährige müssen dagegen jetzt um ihr Geld bangen. Inzwischen ist Arcandor, die Mutter des Versenders, insolvent. Überweisungen verlassen das Konto des Unternehmens nur noch mit Zustimmung des Insolvenzverwalters. Doch der muss alle Gläubiger des Unternehmens befriedigen. Allein dem Mann, der sich mit seinen Sorgen ans Abendblatt wandte, sind gut 350 Fälle von Kollegen bekannt, die das gleiche Problem haben wie er.

"Im Rahmen unseres Sanierungspaktes wurden viele Aufhebungsverträge unterschrieben", bestätigte Manfred Gawlas, Sprecher vom Versender Primondo, zu dem Quelle gehört, dem Abendblatt. Auch eine 55 Jahre alte Halbtagskraft, die 17 000 Euro erhalten sollte, bangt nun um ihr Geld, während ihr 55 Jahre alter Kollege auf 200 000 Euro wartet, und ein anderer, 56 Jahre alter Mann auf 140 000 Euro.

"Wir kennen dieses Problem", sagte Thomas Schulz, Sprecher vom vorläufigen Arcandor-Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg. "Wir haben umgehend ein Expertenteam abgestellt, das sich mit dem Thema befasst." Ob dieses Team den betroffenen Mitarbeitern zu ihrem Geld verhilft? Das zu kommentieren, sei noch zu früh, so Schulz.

In der Regel werden die Forderungen der Mitarbeiter eines Unternehmens im Falle einer Insolvenz bevorzugt bedient, sagt der Hamburger Arbeitsrechtler Christian Oberwetter. Doch ein Insolvenzverwalter könne an die Gläubiger nur das Vermögen verteilen, das er vorfindet. Wenn beispielsweise die Verbindlichkeiten nur zu zehn Prozent bedient werden, bekommen auch die Mitarbeiter nur ein Zehntel ihrer Forderungen ausgezahlt. "Wenn Aufhebungsverträge unterschrieben werden und es gleichzeitig absehbar ist, dass dem betreffenden Unternehmen Schwierigkeiten drohen könnten, drängen wir im Auftrag unserer Mandanten darauf, dass ihre Forderungen aus dem Aufhebungsvertrag zum Beispiel durch Hinterlegung einer Bürgschaft abgesichert werden", so Oberwetter.

Der Quelle-Mann und seine Kollegen haben in ihren Gesprächen mit der Quelle-Personalabteilung nicht auf eine solche Klausel gedrungen. "Wir haben uns auf Zusagen des Managements verlassen, wonach das Geld sicher sei", sagt er. Am 1. Juli, so fürchtet der 59-Jährige, gilt er nicht mehr als Mitarbeiter des Versenders und bekommt noch nicht einmal mehr Insolvenzausfallgeld. "Dann muss ich mich arbeitslos melden", sagt der Mann. Er hat sich jetzt einen Anwalt genommen.