Ist es nicht ungemein schwierig, eine Bewertung vorzunehmen? Wer ist arm? Was ist heutzutage arm? Armut riecht nach Kohlsuppe möchte man sagen und denkt dann an gebohnerte, dunkle Nachkriegstreppenhäuser, aus denen der Geruch von Kohl auch im Sommer nicht weicht. Das Bild ist richtig, weil es mal so war. Und falsch. Weil Armut heute anders aussieht. Was früher der Eintopf war, ist heute die x-te Variation von Reis oder Nudeln. Spaghetti riechen nicht nach Armut. Sie machen satt, ausgewogene Kost sind sie nicht.

Wenn Menschen früher arm waren, dann lag das am Krieg, an Schicksalsschlägen, an der schlechten wirtschaftlichen Lage. Sie schlugen sich so durch. Mit harter Arbeit, für die sie nicht oder schlecht bezahlt wurden. Sie flickten die Löcher in ihren Kleidern, schneiderten aus alten Gardinen Röcke, denen man das ansah. Im Winter musste der Sommermantel reichen und das Schuhwerk hielt hoffentlich noch. Die gar nichts mehr hatten und konnten, bettelten um ein Stück Brot oder ein wenig Geld an den Häuserecken. Oft waren das Kriegsversehrte. Menschen, die einmal etwas geleistet haben für ihr Land oder ihre Stadt. Die für etwas gut waren. Und denen man das auch in ihrer Armut nicht vergaß. Wer arm war, musste seine Würde nicht verlieren.

Heute laufen arme Menschen nicht in Lumpen herum, auch nicht in Gardinen. Aber ihre Würde zu behalten ist für sie ein täglicher Kampf. Auch weil die Gesellschaft - also wir - es ihnen nicht einfach macht. Armut erhält kein Ansehen. Wie demütigend es sein kann, arm zu sein, haben wir von einer fünffachen Mutter aus Farmsen erfahren, die heute nicht weiß, wie sie morgen das Essen auf den Tisch bringen soll. Dass Eltern sich schämen, weil ihre Söhne und Töchter nur in der Arche eine warme Mahlzeit und einen neuen Pulli ab und an bekommen, hat unser Reporterteam in Jenfeld erlebt. Und dass Frauen und Männer in dieser Stadt um Gottes willen nicht möchten, dass irgend jemand ahnt, wie wenig sie haben, das lernt, wer sich in Hamburg mit dem Thema Armut beschäftigt. Scham und das Gefühl ausgeschlossen zu sein, sind ständige Begleiter derjenigen, die sich überhaupt nichts leisten können. Ist das nicht eine Schande?

Ihre Stephanie Nannen