Welt AIDS Tag

Es gibt in der Therapie der HIV-Infektion zwei neue Hoffnungsträger. "Vor wenigen Wochen ist in der Europäischen Union ein neues Medikament zugelassen worden, das den Eintritt der Viren in bestimmte Immunzellen blockiert. Und voraussichtlich im nächsten Jahr wird ein weiteres Medikament zugelassen, das verhindert, dass sich die Erbsubstanz des HI-Virus in das menschliche Erbgut einbaut", sagt Prof. Andreas Plettenberg, Arzt und Geschäftsführer des ifi-Institutes für Interdisziplinäre Medizin. "Das bedeutet, dass wir innerhalb von wenigen Monaten zwei Medikamente aus ganz neuen Wirkstoffklassen zur Verfügung haben. Ich betrachte das als einen Meilenstein in der HIV-Therapieforschung", so Plettenberg, der zusammen mit seinen Kollegen in der Einrichtung auf dem Gelände der Asklepios-Klinik St.Georg mehr als 1200 Patienten pro Jahr mit HIV und Aids behandelt.

Das gerade zugelassene Medikament blockiert den sogenannten CCR5-Rezeptor auf der Zelloberfläche, sodass die Viren nicht in die Zelle eindringen können. Denn damit das Virus dort andocken kann, muss es Kontakt zu zwei Oberflächenmolekülen haben, dem CCR5-Rezeptor und dem sogenannten CD4-Rezeptor. Es gibt allerdings auch Patienten, bei denen noch ein weiterer Rezeptor auf den Zellen vorhanden ist, der anstelle des CCR5-Rezeptors verwendet werden kann. Bei diesen Patienten würde die Blockade von CCR5 den Viruseintritt in die Zelle nicht hemmen. "Deswegen muss vor Therapiebeginn ein spezieller Bluttest durchgeführt werden, mit dem die Art der Rezeptoren beim Patienten analysiert wird. Mit dem neuen CCR5-Hemmer sind nur Patienten zu behandeln, bei denen der erforderliche Rezeptortyp vorliegt und somit der Viruseintritt in die Zelle auch wirklich verhindert werden kann."

Das zweite Medikament, das den Einbau des Viruserbgutes verhindert, ist ein sogenannter Integrasehemmer. "Es zeichnet sich durch eine sehr hohe Wirksamkeit aus. Wir haben damit in Studien eine Reihe von Patienten erfolgreich behandelt, bei denen bisher keines der bereits üblichen Medikamente die Vermehrung der HI-Viren ausreichend verhindern konnte", berichtet Plettenberg. Mit diesen beiden Medikamenten stehen den Ärzten zwei neue Angriffspunkte gegen die Infektion zur Verfügung. Das ist auch deswegen so wichtig, weil es immer mehr HI-Viren gibt, die gegen die herkömmlichen Medikamente resistent sind. "Die Resistenzen nehmen grundsätzlich zu. Menschen, die sich jetzt neu infizieren, haben in Deutschland ein etwa zehnprozentiges Risiko, dass die Viren schon Resistenzen haben", so Plettenberg.

Doch nicht nur die Medikamente ändern sich, auch in den Therapiestrategien hat sich ein Wandel vollzogen. "Zu Beginn der medikamentösen Mehrfachtherapie, auch HAART genannt, wurde die Behandlung oft schon in frühen Phasen der HIV-Infektion begonnen. Nachfolgend wurde dann der Zeitpunkt des Therapiebeginns hin zur fortgeschrittenen HIV- Infektion verschoben. Die Behandlung wurde erst begonnen, wenn bereits eine deutliche Immunschwäche vorhanden war. Neue Studienergebnisse haben nun gezeigt, dass die Therapie doch schon zu einem früheren Zeitpunkt begonnen werden sollte, also bevor eine relevante Abwehrschwäche vorliegt." Auch die Zeiten, in denen die Patienten zehn bis 15 Tabletten pro Tag schlucken mussten, sind vorbei. "Heute reicht es oft aus, wenn die Patienten zwei bis vier Tabletten pro Tag einnehmen."

Klar ist mittlerweile auch, dass die Therapie das Leben von HIV-Patienten deutlich verlängern kann. "Wie viel Lebensverlängerung sie wirklich bringen, kann man jetzt noch nicht beurteilen, weil es diese hochwirksame Therapie erst seit gut zehn Jahren gibt. Ich glaube aber, dass viele ein weitgehend normales Alter erreichen werden und letztlich nicht an der HIV-Infektion sterben", sagt Plettenberg, betont aber auch, dass nichtsdestotrotz nach wie vor Patienten an dieser Infektion sterben. Die Gründe dafür sind meist andere als zu Beginn der HIV-Epidemie. In den 80er-Jahren starben die Patienten vor allem an sogenannten opportunistischen Infektionen durch Keime, die für gesunde Menschen keine Gefahr sind, aber bei einer Immunschwäche lebensbedrohlich werden können. "Diese sind heute seltener geworden, die Patienten sterben eher am Herzinfarkt, an Tumorerkrankungen oder aber an schweren Leberschädigungen. Vor allem Gefäßerkrankungen sind viel häufiger geworden."

Auch bei der Therapie müssen die Ärzte gefährliche Nebenwirkungen im Blick behalten. "Alle diese Medikamente sind giftig für die Leber. Bei der Auswahl der Medikamente müssen wir sehr darauf achten, dass die Leber möglichst wenig Schaden nimmt. Das ist insbesondere bei den Patienten problematisch, die zur HIV-Infektion noch eine Virushepatitis haben", so Plettenberg.

Eine weitere Nebenwirkung, die für viele Patienten sehr quälend ist, ist die Fettumverteilungsstörung. Dabei kommt es vor allem zu einem Verlust von Fett im Gesicht, insbesondere im Bereich der Wangen, sowie an Armen, Beinen und am Gesäß. Andererseits kann eine vermehrte Fettansammlung auftreten, am Bauch oder im Nacken. "Die Ursache dafür ist nicht ganz klar, ein Zusammenhang mit der HIV-Therapie ist sehr wahrscheinlich", sagt der Infektiologe.

Aber auch bei der Therapie von Nebenwirkungen gibt es eine neue Entwicklung. "Mit genetischen Untersuchungen aus dem Blut kann man für einige Nebenwirkungen vorhersagen, ob ein Patient das Risiko hat, diese Nebenwirkungen zu bekommen oder nicht. Stellen wir ein solches Risiko fest, können wir statt des Mittels ein anderes einsetzen. Das sind die ersten Schritte auf dem Weg zu einer maßgeschneiderten Therapie."

Doch auch wenn vieles sich in eine positive Richtung entwickelt, ist der beste Schutz gegen die Infektion immer noch die Prävention. "Die wichtigste vorbeugende Maßnahme bleibt der Gebrauch eines Kondoms beim Geschlechtsverkehr, eine Vorsichtsmaßnahme, die leider wieder vernachlässigt wird, wie auch die ansteigenden Zahlen für andere sexuell übertragbaren Erkrankungen zeigen", sagt Plettenberg. Weltweit wird intensiv an anderen Präventionsmöglichkeiten geforscht. "So hat sich in Studien gezeigt, dass beschnittene Männer die Infektion viel seltener weitergeben als unbeschnittene Männer", sagt Plettenberg. Einen Rückschlag hat es bei der Verwendung von Mikrobioziden gegeben, die von Frauen intravaginal eingeführt werden und Substanzen enthalten, die Viren abtöten und Infektionen verhindern. "Bei einer großen Studie in Afrika mit über 2500 Frauen wurde bei einer Zwischenauswertung festgestellt, dass bei den Frauen, die die Substanz verwendet haben, HIV-Infektionen häufiger aufgetreten sind als bei den anderen, was sich bisher keiner richtig erklären kann."

Aber auch, wenn die Infektion gut zu behandeln ist, so tauchen doch immer wieder Phänomene auf, die neue Rätsel aufgeben. "So scheint zum Beispiel das Kaposi-Sarkom zurückzukehren, ein Tumor, der zu Beginn der Epidemie vor allem bei Patienten mit einer schweren Immunschwäche aufgetreten ist. Jetzt sehen wir diese Tumoren zunehmend bei Männern, die eine HIV-Therapie erhalten und ein gut funktionierendes Immunsystem besitzen", so Plettenberg. "Und wir wissen auch noch nicht, was geschieht, wenn jemand diese Medikamente 20 Jahre lang einnimmt."

Scheinbar hat die Infektion viel von ihrem Schrecken verloren, doch besiegt ist sie noch lange nicht, und zur Sorglosigkeit gibt es keinen Grund, zeigt die Krankheit doch immer wieder ein anderes Gesicht.