Egon hauste auf einem Bauernhof im düstersten Ostfriesland. Dort hatte man immer das Gefühl, es sei Nebel, selbst wenn die Sonne mal schien.

Egon sammelte Mercedes-Automobile, fast ausschließlich die sogenannten Flossen, aber auch einige Pontons waren darunter, und sehr stolz war er auf die ersten verrosteten Strich-Achter. "Die A-A-Achtundsechziger und Neunundsechziger sind a-a-alle hin", sagte er. "Italienisches Blech. Mussten sie dazukaufen damals. Gab einen Streik in der Stahlindustrie."

Egon stotterte ein wenig. Schlimm waren alle Wörter, die mit einem Vokal und darauffolgendem Konsonanten begannen, bedauerlicherweise also auch sein eigener Vorname. Er war außerdem klein und huschte stets gebeugt durch die Welt seiner Autowracks. Alle seine Bewegungen waren plötzlich und schnell, verzackt, könnte man sagen. Das gab ihm etwas Greisenhaftes, obwohl er allerhöchstens Mitte dreißig war. Er trug eine verfilzte grünlich-graue Jacke über dem fleckigen Overall. Auf dem Kopf ruhte eine ebenfalls filzige Schirmkappe. Egon liebte Dieselmaschinen. Von ihm lernte ich zum Beispiel, was ein Schwingsaugrohr war. Das Schwingsaugrohr ist zwar inzwischen der technischen Entwicklung beim Motorenbau zum Opfer gefallen, aber für mich ist es unsterblich.

Neben den Dieselmaschinen liebte Egon Zeitungen und Zeitschriften, obwohl er niemals welche las. Er sammelte sie seit vielen Jahren, alle seine Bekannten belieferten ihn. Innen im geräumigen bäuerlichen Anwesen, das leider in einem bedauernswerten baulichen Zustand war, folgte man schmalen Canyons. Links und rechts waren Berge aus Zeitungen und Mercedesteilen. Egon hatte die Türrahmen und Zwischenwände des Gehöfts zum großen Teil "herausgenommen", wie er sagte, das heißt, er hatte mit einem schweren Vorschlaghammer Platz geschaffen. Im Zentrum des Labyrinths befand sich Egons Wohnhöhle. Hier schlief er, hier machte er sich auf einem Propangaskocher Dosen warm: Ravioli, Hühnersuppe, Königsberger Klopse, Ravioli. Ein Werkstattofen heizte im Winter, vermutlich vergebens, gegen die Kälte an. An der Peripherie der Höhle hing, ähnlich wie beim "armen Poeten" von Spitzweg, ein Regenschirm vom Dach herab. Allerdings zeigte der Schirm mit dem Griff nach oben und diente auch als Trichter. Das Leckwasser sammelte sich unter der Schirmspitze in einem alten Eimer.

Der gesamte innere Bereich war für die Schweine tabu. Wenn wir dort saßen und Bier tranken, schaute gelegentlich eines der Tiere vorbei, blieb aber genau an der Grenze des Wohnbereichs stehen. Jedes Schwein trug einen Namen, aber ich erwähne hier lediglich den geilen Ferdinand, einen jungen Eber, der immerzu auf den Säuen ritt. Außer den Schweinen gab es noch drei Pferde auf dem Gelände. Die Tiere machten, was sie wollten. Niemals sah ich, dass Egon sie gefüttert hätte, aber dennoch war das gesamte Außengelände hoch verkotet. Auch im Innenraum, von der Wohnhöhle abgesehen, lagen gelegentlich frische Schweineexkremente, die vom Geruch her stark an Mensch erinnerten.

In der Nähe von Egons Schlafstätte lagen die Dieselmaschinen auf Paletten, blank gekärchert, eine neben der anderen. Als ich Egon kennenlernte, waren es zwölf Stück, ein OM 636 mit unten liegender Nockenwelle aus dem Ponton, Baujahr 1955. Wenn Egon voller Zartheit mit der Hand über das silbrige Schwingsaugrohr strich, ahnte man etwas von der ganzen Tragik seines Daseins. Der Rest waren OM 621 und OM 615 aus der Flosse und dem Strich-Achter. Viele der Lieblinge waren seit mehreren Jahren nicht mehr gelaufen und deswegen sehr gefährdet.

Egon hatte einen Entschluss gefasst und in der "Nordsee-Zeitung" eine Kleinanzeige geschaltet, übrigens in der Rubrik "Bekanntschaften": "Verleihe gute Mercedes-Dieselmaschinen, Flosse und Strich-Achter, für Urlaubsfahrten. Kostenlos. Nur an Liebhaber."

Ich suchte damals vor allem eine Frau, deswegen überflog ich die Bekanntschaftsanzeigen und stieß auf Egons Anzeige, die mich sogleich elektrisierte. Das zweite große Problem in meinem Leben war nämlich die abgefahrene Maschine meiner 190er Diesel-Flosse. Durch den vergangenen Winter war ich gekommen, indem ich nach kalten Nächten das Kühlwasser abließ, auf dem Herd aufkochte und vorsichtig wieder einfüllte. Die schwere Batterie heizte ich über Nacht im Backofen auf 50 Grad hoch. Die Öffnung für den Ölmessstab musste ich mit einem Weinkorken abdichten, um zu verhindern, dass das Öl rausgedrückt wurde. Und bald sollte es losgehen nach Portugal, sechs Wochen Strand, Baden, Sonnen und Trinken. Umgerechnet fünfzig Pfennig kostete der Liter Diesel in Spanien, vierzig in Portugal. Aber mit dieser Maschine? Freund Wilhelm, mein ständiger Reisebegleiter, sagte, ich solle nicht so viel Geschiss machen, wir sollten einfach losfahren.

"Wenn der Diesel läuft, dann läuft er", sagte er.

Er hatte noch weitere Weisheiten von dieser Sorte zu bieten. Dieses Mal sollte übrigens seine Freundin Charlotte mitkommen. Sie war ganz nett, hatte praktisch überhaupt keine Titten, aber einen harten flachen Bauch und einen fantastischen Arsch. Diese Kombination tritt ja bei Frauen ziemlich häufig auf. Ich hasste es jedoch, auf engstem Raum mit aktivierten Paarbeziehungen konfrontiert zu werden. Schon mich selbst ertrug ich kaum als Bestandteil einer solchen Anordnung. Daher wohl meine ganze Misere mit den Frauen. Überdies sagte Charlotte unfassbare Sätze, etwa: "Ich habe schon über ein Jahr an dieser Beziehung gearbeitet." Ganz ernsthaft sagte sie so etwas. Einen weiteren dieser Sätze will ich noch zitieren. "Weißt du", sagte sie einmal, "mit dreißig will ich meine Familie zusammen haben." Übrigens wollte sie tatsächlich ihr Federbett mit nach Portugal nehmen.

Wilhelm war begeistert von Charlotte. Ständig fummelte er an ihr herum. Ich hingegen sah uns mit verreckter Maschine auf der spanischen Hochebene gestrandet, ölverschmiert und völlig erschöpft. Auf der Rückbank lag Charlotte. Sie bekam ihre Tage, hatte Hunger, Bauchschmerzen und Blasenentzündung. Deswegen konnte sie nur unter dem Federbett liegen und darauf warten, dass die Männer irgendwie die Situation klärten.

Ich nahm sofort Kontakt mit Egon auf. Ein erster Besuch zeigte, dass wir beide einander sympathisch waren. Auch die hofansässigen Pferde und Schweine schienen mich zu akzeptieren. Meine profunden technischen Kenntnisse imponierten Egon, und er war bereit, mir eine seiner besten OM 621 Maschinen für die Fahrt zu leihen. Einzige Bedingung: Gutes frisches Öl müsse rein, außerdem natürlich ein frischer Ölfilter, und nach der Reise müsse die Maschine selbstverständlich wieder "umgehängt" werden. Ehe der Umbau losging, musste ich noch einige Male zu Egon kommen. Manchmal saßen wir zu zweit in der Wohnhöhle, dann gab es gelegentlich quälend lange Gesprächspausen. Wenn seine Kumpels kamen, Zeitungen und Bier mitbrachten, wurde es laut und lustig. Alle kannten sich mit alten "Daimlers" aus, alle wussten die Geschichte des Motors zu erzählen, den Egon mir lieh.

"Vom Bürgermeister gefahren", sagte Fred, Egons bester Freund, im landschaftsüblichen näselnd-heulenden Singsang. Manchmal schaltete er einen leisen Klagelaut zwischen zwei Sätze, wahrscheinlich um Zeit zu gewinnen. Das klang dann ein wenig wie ein kleiner Hund, der den Mond anheult. Fred war Stammgast und sah aus wie Egon, nur ein bisschen länger war er.

Der Bürgermeister hatte seine Flosse im Suff in den Graben gefahren. Totalschaden, Lappen weg. "Steht draußen, der Dunkelgrüne ist das! Stell dir vor: LEDER! NIVEAU! Uuuuhhhhhhhhh. ALLES hatte der!" Fred schrie jetzt, die Flasche Bier in der Hand. "Das Maschinchen ist NEU!"

Mit den Bierflaschen in den Händen gingen wir nach draußen. Der geile Ferdinand lief vor uns her durch die Canyons, wobei mir auffiel, wie hässlich so ein Hausschwein eigentlich ist. Und trotzdem waren sie scharf, ich meine: die Schweine aufeinander. Ich wusste nicht, ob Ferdinand noch übte. Jedenfalls war er immer ziemlich lange am Werk, offenbar bedingt durch die Duldungsstarre der Säue, die ich mir auch bei gewissen menschlichen Frauen gewünscht hätte. Wenn schon nichts Ordentliches abging, hätte man sich wenigstens in aller Ruhe visuell, haptisch, olfaktorisch und sonst wie bedienen können, so wie Ferdinand das tat. Kaum waren wir draußen, steckte er schon wieder seine Steckdose zwischen die Hinterbeine einer in der Nähe herumlungernden Sau.

"Mensch, Egon", sagte Fred, "der erledigt das mit den Weibern wohl für dich mit? Maaaaaaann! Wird langsam Zeit für dich, meins nich? Kann auch mal Ordnung machen, so eine. Is ja schlimm hier."

"P-Perspektivisch lass ich mir eine einfliegen", sagte Egon. "Thailand oder so. S-Sollen willig sein."

Wir besichtigten meinen Daimler, öffneten die Haube und ließen den Motor an. "Ow, ow, ow!", sagte Fred. "Nix mehr los mit! Hörst du! Viel zu weich, der Klang! Kein Druck mehr!"

"Tjow", sagte Egon, "fertig, das Ding." Er zog noch den Korken vom Ölmessstab ab, die Brühe schäumte ihm entgegen. Zu dritt, unter die Haube gebeugt, warteten wir in stiller Friedhofsandacht noch ein paar Minuten ab.

"Iuuuhhh", machte Fred, "kann ja sein, dass er noch hinläuft. Wenn er erst mal läuft, läuft er ja."

Am folgenden Samstag regnete es in Strömen. Unter der Reckstange mit dem Flaschenzug kamen wir tief im nassen Dung zum Stehen und begannen mit den Arbeiten. Wilhelm, im Grunde ein stinkfauler Kerl, hatte noch während der Fahrt zu Egon mehrfach die angeblich souveräne Leistungsentfaltung meiner alten Maschine gelobt, um die ganze Sinnlosigkeit der geplanten Maßnahme zu unterstreichen. Weil die Wagenheber langsam in der Scheiße versanken, befand ich mich in sehr bedrängter Situation, als ich schließlich unter dem Wagen lag, um die Motorschrauben zu lösen. Eines der Pferde stand über meinen hinausragenden Unterschenkeln und fing an, auf meine Beine zu pissen. Erst am späten Nachmittag war die Leihmaschine, mit frischem Öl versehen, erfolgreich auf die Motorlager abgesenkt. Das alte, schwarze und zähe Öl stand in einem Eimer neben dem Reck. Wilhelm und ich lagen wieder unter dem Wagen, als wir, durch die Geräusche des Regens hindurch, ein lautes Schlürfen und Schlabbern hörten. Ein, zwei Minuten lang lauschten wir, dann erst schob ich mich unter dem Wagen hervor. Vor dem Altöleimer stand Ferdinand und schaute mich an. Von seiner schwarzen Schnauze tropfte das Altöl. Er hatte gut zugelangt. Während es mir gelang, ihn in einem kurzen, heftigen Ringkampf in den Dung zu drücken und ihm mit einem Lappen seine Schnauze abzuwischen, glich Wilhelm den Ölstand im Eimer durch frisches Motoröl aus, rührte es mit der restlichen alten Pampe zusammen und brachte den Eimer zu Egon, "damit er nicht umfällt und das Grundwasser verschmutzt oder so was".

Drei Stunden später sprang die Maschine an. Egon und Fred lauschten ergriffen dem perligen Sound, und auch Wilhelm musste zugeben: Das war etwas ganz Anderes! Mit einem 1957er Zweizylinder Güldner-Schlepper zog Egon uns gegen 22 Uhr aus der Scheiße raus, und schon am übernächsten Tag starteten wir Richtung Portugal. Neben ihrem Federbett und einem gewaltigen Koffer trug Charlotte auch einen Bastkorb ans Auto, der einen festen, geflochtenen Henkel von fünfzig Zentimetern Höhe hatte, drinnen allerlei Weiberkram, Schminkzeugs, Strickutensilien, Kerzen, Pflegeartikel und so weiter. Sie hatte allen Ernstes geplant, diesen Korb auf der Rückbank meines Wagens zu stationieren. Die entstandene üble Stimmung hielt lange an. Im Tal der Loire mussten wir einen Kühlerschlauch ersetzen. Charlotte lag auf der Rückbank in ihrem Federbett, hatte Blasenentzündung, bekam ihre Tage und wollte unbedingt ein heißes Bad - oder zumindest eine Dusche. Auf der spanischen Hochebene fiel uns der Auspuff ab. In der Werkstatt, die wir fanden, war Charlotte plötzlich topfit, humorvoll und sexy, litt gar nicht mehr unter der Verstopfung, über die wir vorher mehrfach informiert worden waren, und flirtete, unter Wilhelms Augen, mit dem hübschen jungen Mechaniker.

Schließlich hatten wir unsere Zelte am Strand aufgebaut. Die Umstände wären etwas unbequem, alles war voller Sand, und Charlotte verließ kaum noch das Zelt. Auch trank sie nicht mit uns.

"Sie lässt sich nicht mehr ficken", brüllte Wilhelm schließlich.

Zwei Wochen waren rum, wir schwammen gerade weit draußen in der Brandung. Trotz des Getöses verstand ich ihn. Das Wort "ficken" hat eine elementare akustische Durchschlagskraft! - Die Nachricht bereitete mir allerdings nur noch geringe Freude, denn mein anfänglicher heftiger Sexualneid war längst abgeklungen.

Übrigens: Selbstverständlich ging Charlotte nicht ins Meer, das Wasser war ihr zu kalt. Nachts hatte sie Angst vor Schlangen, pinkelte direkt neben unsere Zelte, und eines frühen Morgens trat ich mit nacktem Fuß in frische Exkremente, die offenbar von Menschenhand mit Sand getarnt worden waren. Alles war also noch viel schlimmer geworden, als ich es befürchtet hatte! Das Zeug drückte sich durch meine Zehen, und dies vermieste mir schlagartig Charlottes letzten Trumpf, nämlich ihr fulminantes Gesäß, dessen Ansehen sowieso schon stark gelitten hatte. Letztlich zählen eben doch die inneren Werte, sogar bei einer Frau.

Nach vier Wochen gaben Wilhelm und ich auf und traten die Heimfahrt an. Es hatte keinen Sinn mehr. Charlotte schwieg die ganze Fahrt über, sieht man von rein vegetativen Meldungen ab, dass sie Hunger hatte oder aufs Klo musste. Wir setzten sie zusammen mit ihrem Gepäck und dem Federbett zu Hause ab, und genau in diesem Augenblick war die Paarbeziehung mit Wilhelm zu meiner großen Erleichterung offiziell gescheitert.

Der geile Ferdinand hatte leider nicht überlebt. Noch am Tag unserer Wegfahrt war er verschieden. Als wir die Leihmaschine wieder ausbauten, sahen wir das Misstrauen in Egons Augen.

"Der hatte Ö-Öl an der Schnauze", sagte er.

"Öl?", sagte ich. "Der mochte wohl den Geruch? Wie der Herr, so's Ge'scherr!"

"Nee, mal im Ernst, Egon, da war nichts. Der war kaum in unsrer Nähe."

"Na gut", sagte Egon. Er war nicht überzeugt, aber ein grundgütiger Mensch.

Neulich habe ich mit Google Earth Egons Hof besichtigt. Es sind deutlich ein paar Autowracks zu sehen, allerdings sieht alles irgendwie ordentlicher aus. Ob Egon immer noch im Labyrinth sitzt? Vermutlich ja. Was sollte er sonst tun?

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