Vater war einer der wenigen, der Hannes Köm auf seiner letzten Reise begleitete, er war einer der wenigen, die seinem Sarg hinterhergingen. Hannes war Beamter gewesen, er hatte für die Staatseisenbahn gearbeitet. Und er hatte Wiene geheiratet. Sie hatten einen Sohn. Dieser hieß Hans-Karl.

Wiene hatte der Krieg, der Luftkrieg verrückt gemacht. Herabfallende Bomben gingen über ihre Kräfte, sie fielen und fielen, immer wieder, jahrelang, Tausende von Bomben, Hunderttausende Spreng-, Brand- und Phosphorbomben. Sie stürzten sich auf Wienes Nervenkostüm, sie sprengten es, sie zerrissen, zerfetzten und verbrannten es. Hannes hatte die Dachziegel seines Hauses abgedeckt, und während der Fliegerangriffe lief er anstatt in den Keller aufs Dach hinauf. Dort legte er nasse Lappen auf Brand- und Phosphorbomben, auf kleine, handliche Stäbe, die er auf die Straße hinunterwarf. Das wurde Wiene zu viel. Sie hockte im Keller, in der Falle, in der Kellerfalle und drehte durch. Sie wurde in ihrer Angst und Ohnmacht vom Wahnsinn ergriffen. Der Krieg, der Luftkrieg ließ sie nicht mehr los. Er wütete in ihr weiter, bis weit über das Kriegsende hinaus, bis weit in die Friedenszeit hinein. Bis zu ihrem Tod hörte sie die schreienden Sirenen, sie hörte die Bomben pfeifen und explodieren, sie spürte die Druckwellen, Tag für Tag, Stunde für Stunde ...

Auch das Haus erholte sich nicht wieder. Es hatte durch die Explosionen runde Wände bekommen, es war das einzige Haus in der Straße, das stehen blieb, die anderen versanken in Schutt und Asche. Später ärgerte sich Hannes über die Mühen, über den Mut und das Risiko, das er eingegangen war, um das Haus zu retten, denn Ruinenbesitzern, Ausgebombten half Vater Staat beim Wiederaufbau. Schließlich hatte dieser den Krieg angezettelt und verloren. Nun stand er - wenigstens mit Geld - dafür gerade. Hannes bekam nichts, keinen Pfennig, er blieb auf einem Haus mit runden, rußgeschwärzten Wänden sitzen, er blieb darauf und darin sitzen, während überall: in der Straße, in der Stadt, im ganzen Land Neubauten wie Frühlingsblumen aus dem Boden sprossen.

Hannes schickte Züge allen Katastrophen zum Trotz pünktlich auf die Reise, und sei es an die Front oder ins Vernichtungslager. Die Zeit ging, und mit ihr gingen Krieg und Nazis. Hannes Köm aber blieb. Er sorgte für Wiene, er besuchte sie in ihrer Tollkiste, in ihrem Käfig, in dem sie bis zu ihrem Ende hocken musste. Hannes pflegte auch seinen schwächelnden Sohn, er pflegte Hans-Karl, der sich ohne fremde Hilfe nicht zurechtfand im Leben. Es wunderte niemanden, dass er bald nach seinem Vater starb. Hannes Köm rettete seinen Lebensstil über alle Epochen, bis in sein Pensionszeitalter hinein. Morgens hetzte er aus dem Schlafzimmer, er flitzte aus dem Federbett in die Küche, ins einzige geheizte Zimmer im Haus. Dann ging er Züge pünktlich machen. Und nach dem Dienst hockte er sich in die Kneipe, in immer dieselbe.

Eines Tages hörte das alles auf, eines Tages fand er sich in einem Sarg wieder. Vater und ein paar andere: anverwandte Rentner sowie die Trinkerschwadron seiner Stammkneipe begeleiteten ihn auf seiner letzten Reise.