Trotz intensiver Vorbereitung und Pauken: Nichts hilft gegen seine Unsicherheit. Er traut sich nichts zu, ist wie gelähmt und - erfolglos.

Für meinen Enkelsohn benötige ich dringend Rat und Hilfe. Er ist 20 Jahre alt und hat nur unter größten Schwierigkeiten seine Schulabschlüsse geschafft. Unser Frank hat große Prüfungsängste und versagt bei schriftlichen und mündlichen Arbeiten total. Auch sein erstes Zeugnis von der Berufsschule als Auszubildender ist eine Katastrophe. Das tut mir so Leid, da der Junge wirklich vor jeder Arbeit fleißig übt, mit seinem älteren Bruder den Schulstoff stundenlang durchgeht. Aber Frank findet keine Ruhe, steht vor jeder anstehenden Arbeit gegen 5 Uhr morgens auf, arbeitet noch einmal die Texte durch und macht sich dann auf den Weg zur Schule - total verunsichert und entnervt. Seine Hoffnung auf den Führerschein hat er nach drei durchgefallenen schriftlichen Prüfungen aufgegeben. Er bezeichnet sich als "totalen Versager". Aber er ist es nicht, ich kenne den Jungen und weiß, was in ihm steckt. Einmal war er zu einer Beratung. Im Gespräch mit dem Therapeuten fragte dieser, was er bei ihm wolle, und ging auf seine Ängste nicht weiter ein. Seitdem glaubt er, dass ihm niemand mehr helfen kann. Frank ist nicht lernbehindert, er lebt in einer normalen gut bürgerlichen Familie, hat Freunde und viele Hobbys. Was können wir noch für Frank tun? Unsere ganze Familie möchte ihm so gern helfen. Walter H. (69) Es antwortet Dr. Uwe Bösche- meyer, Leiter des Hamburger Instituts für Existenzanalyse und Logotherapie : Zu den vor allem für junge Menschen lästigen Problemen gehören Prüfungsängste. Ich habe sie anschaulich erlebt, als ich an der Hamburger Universität Studenten beriet. Um zu verstehen, was Prüfungsangst bedeutet, ist es zunächst wichtig, deren Folgen zu begreifen: Ängste haben bekanntlich unterschiedliche Wirkungen. Eine ist positiv. Sie macht wach und aufmerksam. Sie spannt an, wenn Anspannung erforderlich ist. Deshalb ist ein bekömmliches Maß an Angst ("Lampenfieber") in Prüfungssituationen wünschenswert. In aller Regel jedoch behindern Ängste das Leben. Sie verzerren den Blick für die Wirklichkeit, etwa dafür, dass den meisten Prüfern daran liegt - zu ihrem eigenen Vorteil - ihre Schutzbefohlenen so gut wie möglich durch den Stoffdschungel zu lotsen. Ängste beeinflussen auch die Motivation zum Lernen. Sie beeinträchtigen die intellektuellen Möglichkeiten und stärken die Konzentration, so dass auch auf die Prüfung gut Vorbereitete "ein Brett vor dem Kopf" zu haben scheinen. Vor allem aber bestimmen sie das Wertgefühl eines Menschen. Denn wer Angst hat, ist nicht bei sich selbst und hat deshalb zu wenig Stehvermögen, ganz besonders in Prüfungssituationen. Woher kommen übermäßige Prüfungsängste? Ich nenne nur die meines Erachtens wichtigsten Gründe: Nicht selten sind Prüfungsängste die schlichte Folge mangelnder Vorbereitung auf die Prüfung. Das trifft auf unseren jungen Mann nicht zu. Es kann sein, dass sich bereits während der Ausbildungszeit ein gestörtes Verhältnis zwischen Prüfling und Prüfer entwickelt hat und sich deshalb die Angst, der werde ihn "bestimmt reinlegen", ins Gigantische steigert. Es kann auch sein, dass Prüfungsängste die Folge eines viel zu hoch angesetzten Leistungsanspruchs seitens des Prüflings, vielleicht auch seitens seiner Umgebung sind. Wir leben ja in einer Zeit, in der Leistung für viele der höchste Wert im Leben zu sein scheint. Leider! Der Hauptgrund aber liegt meistens im Mangel an Selbstvertrauen. Wer daran leidet, neigt dazu, Sätze zu denken oder zu sagen wie diese: "Ich bin nichts wert." "Das kann ich nie." Oder auch: "Ich bin ein totaler Versager." Diese Sätze jedoch sind Selbstsuggestionen und treiben den, der sie zulässt, dorthin, wohin er nicht will: in eine noch tiefere Unsicherheit. Was kann man gegen Prüfungsängste tun? Ich nenne drei Möglichkeiten, die sich mir in der Praxis als hilfreich erwiesen haben. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Prüfling nicht erst eine Woche vor dem gefürchteten Datum mit den Hilfen beginnt: 1. Wenn die Angst noch in milderen Bahnen verläuft, kann es eine großartige Hilfe sein, sich den Satz einzuverleiben - er stammt von dem berühmten Seelenarzt Viktor E. Frankl: "Ich lasse mir von mir selber nicht alles gefallen!" Einverleiben bedeutet: ihn sich immer wieder kommen zu lassen, vor allem dann, wenn sich das Angstgespenst wieder einmal nähert. 2. Nachweislich ist das autogene Training geeignet, Prüfungsängste überwinden zu helfen, besonders dann, wenn der Trainierende mit bestimmten "Vorsatzformeln" arbeitet. 3. Dem jungen Mann empfehle ich dringend Psychotherapie, schon deshalb, weil die Jugendjahre die schönsten im Leben sein können. Ließe er sich darauf ein, wäre er nicht nur von seiner gegenwärtigen Not befreit. Ihnen empfehle ich, sich an die Ärztekammer oder an unser Institut zu wenden. Wir arbeiten inzwischen ja auch in Hamburg (Tel. 0431/40 38 44). Buchempfehlung: Sich selbst bejahen, Dr. Uwe Böschemeyer, Ellert& Richter-Verlag; 7,50 Euro.