Die rätselhafte Mimik auf Frauenporträts, der unheilige Ausdruck von “Johannes dem Täufer“ beflügeln die Phantasie. Aber da Vinci malte keine Suchbilder: Er wollte entschlüsseln.

Behutsam wendet die schöne Cecilia Gallerani den Kopf nach rechts, als wäre sie gerade vom Nahen einer Person überrascht worden. Ist es der Herzog Ludovico Sforza, ihr langjähriger Geliebter, den sie nun über die Schulter anblickt, oder wendet sie ihre Aufmerksamkeit einem anderen zu? Leonardo da Vinci, der "Die Dame mit dem Hermelin" wahrscheinlich zwischen 1488 und 1490 in Mailand auf eine Walnußholzplatte gemalt hat, verrät es uns nicht.

Wie viele seiner Bildnisse gibt auch das berühmte Krakauer Gemälde der Nachwelt eine Menge Rätsel auf. Zum Beispiel stellt sich die Frage, was der anmutige Hermelin in den Armen der Schönen bedeutet. Ist er hier als Symbol der Reinheit zu verstehen, oder soll das griechische Wort gale für Hermelin auf den Familiennamen Gallerani hinweisen? Ist das Tier zahm, oder bedeutet seine gefährliche Schnauze so dicht am Hals der jungen Frau vielmehr eine Gefahr, die - wie ein Kunsthistoriker mutmaßt - Galleranis latente Bedrohtheit als Favoritin am Hof andeuten soll?

Leonardos Bild ist nicht nur ein perfekt gemaltes Porträt, es gibt nicht nur die Schönheit einer jungen Frau wieder, sondern auch deren Gemütsbewegung, freilich ohne sie wirklich zu offenbaren. Der Betrachter spürt sehr genau: Da ist etwas, er bekommt aber nicht die Chance, es zu erfahren.

Dan Brown hätte sicher keine Probleme, eine spannende Geschichte um Haß und Verschwörung darum herumzustricken, um Geheimbünde und, wenn es denn sein muß, auch um ein brisantes Geheimnis, dessen Enthüllung dunkle Mächte seit Jahrhunderten zu verhindern suchen. Nur mit Leonardo und seiner Kunst hätte dies nichts zu tun.

Denn nach allem, was wir über diesen großartigen Künstler und Universalgelehrten des 15. und 16. Jahrhunderts wissen, ging es ihm eben nicht darum, Dinge zu ver schlüsseln, sondern zu ent schlüsseln. Leonardo war vor allem darauf aus, die Welt, die Natur, den Körper, die physikalischen Gesetzmäßigkeiten zu verstehen und darzustellen. Als Renaissance-Mensch gab er sich mit der biblischen Welterklärung allein nicht zufrieden.

Deshalb mußte er aber keineswegs in Konflikt mit der Kirche geraten. Selbstverständlich gehörten biblische Szene zu den Motiven, die er immer wieder gestaltete - schon weil kirchliche Institutionen zu den wichtigsten Auftraggebern im 15 und 16. Jahrhundert gehörten. Dabei waren dem damaligen Publikum die Geschichten aus dem Alten und Neuen Testament ebenso vertraut wie die antiken Stoffe, die ebenso zu Leonardos thematischem Repertoire gehörten.

In jener Zeit hätte es sich kaum angeboten, versteckte Anspielungen oder gar Häresien und Verhüllungen darzustellen, die ein geheimes Wissen voraussetzen. Der Leipziger Leonardo-Experte Frank Zöllner, der 2003 das in jeder Hinsicht gewichtige Buch "Leonardo da Vinci - Sämtliche Gemälde und Zeichnungen" (Taschen Verlag Köln) herausgegeben hat, hält derartige Verschlüsselungen für ausgeschlossen. In einem Interview sagt er: "Bilder der Renaissance wollen verstanden werden, sie enthalten deshalb keine geheimen Botschaften. Es gibt auch kein Geheimnis der Mona Lisa, nur jede Menge unsinniger Theorien, die vor allem seit dem 19. Jahrhundert kursieren. Kunstgeschichte ist keine Geheimwissenschaft, auch wenn das in den Schriften mancher Kollegen unseres Faches so erscheint."

Daß uns die schöne Cecilia Gallerani mit ihrem Hermelin dennoch auf eigentümliche Weise geheimnisvoll erscheint, widerspricht dem nicht. Ist es doch ein Geheimnis, das sich mit keinem Code knacken ließe.