Alle lieben ihn, kein Komponist wurde so schnell zum Pop-Star wie der lebenslustige Salzburger. Auftakt zu einer Abendblatt-Serie, in der viele prominente Künstler zu Wort kommen.

Alle Welt kennt Mozart. Und begnügt sich mit der kumpelig gemeinten Anrede Amadeus, wie bei Elvis oder Miles, oder, für die Jüngeren: bei Britney oder Kylie. Jeder, wirklich jeder mag diesen Amadeus. Und deswegen meinen alle auch flott erklären zu können, warum: Die Mitsummtauglichkeit der "Kleinen Nachtmusik" könnte es sein, vielleicht auch die versauten "Bäsle-Briefe". Oder auch nur die Mozartkugel, obwohl das Kaloriengranätchen erst ein Jahrhundert nach dem Ableben des Markenartiklers von einem Salzburger Konditor erfunden wurde. Egal: Irgendwas geht immer, was uns Johannes Chrysostomus Wolfgangus Theophilus Mozart, den Unfaßbaren, sofort ganz persönlich nah zu bringen scheint. Erst recht im Jubiläumsjahr, das schon jetzt mit akutem PR-Gedröhne und Merchandising-Blödsinn tiefe Schneisen in Festival-, Opern- und Konzert-Programme schlägt.

Schon toll, wie sehr man sich irren kann.

"Mit all unserem Wissen kommen wir zwar dem Rätsel näher, aber nicht der Lösung", kapitulierte selbst Wolfgang Hildesheimer, einer der schlauesten Mozart-Kenner der letzten Jahrzehnte. So viel Ehrlichkeit ehrt.

Viele Komponisten mußten sich ihre Wertschätzung durch die Nachwelt erst durch langes Vergessensein oder zumindest hartnäckiges Unterschätztwerden verdienen. Selbst Johann Sebastian Bach, längst heilig gesprochen und unantastbar, war da keine Ausnahme, während seine Söhne an ihren jeweiligen Wirkungsstätten für Einfallsreichtum und guten Geschmack von ihren Zeitgenossen gefeiert wurden. Mozart teilte dieses Fußnotenschicksal nicht. Mozart war immer da, der war immer populär, wurde immer geachtet, gefeiert und gespielt. Mag sein, daß auch deswegen so viele Interpreten so große Muffen vor einem Werk mit Köchelverzeichnis-Nummer in ihren Programmen haben. Vom nun wirklich nicht unbegabten Pianisten Wilhelm Kempff stammt der Ausspruch, Mozarts Sonaten seien "zu leicht für Amateure und zu schwer für Profis".

Bei keinem anderen auch nur halbwegs so populären Komponisten ist die Frage nach dem "Was wäre, wenn . . .?" so ergiebig für die Phantasie der Nachwelt wie bei Mozart. Was wäre gewesen, hätte nicht das "hitzige Frieselfieber" den 35jährigen am 5. Dezember 1791 dahingerafft? Was wäre aus Mozart geworden, hätte er tatsächlich das Angebot eines englischen Impresarios angenommen, für eine lukrative Konzertreihe den Karriere-Sprung über den Kanal zu wagen? Händels Kontostand und seiner Reputation hat's nicht geschadet, auch der Kollege Haydn hat dort einen sehr guten Schnitt gemacht. Welche Werke wären entstanden, wenn Mozart auf dem atemberaubenden Niveau seiner letzten Jahre weiterhin Opern komponiert hätte? Welche stilistische Entwicklung hätte die Wiener Klassik genommen mit den sich anheizenden Duo-Partnern Mozart, dem verspielten Form-Künstler, und Beethoven, dem revolutionären Idealisten? Die Konkurrenz hätte sich wohl warm anziehen müssen. Doch all das bleibt Gedankenspiel für theorieverliebte Musikwissenschaftler, und Glenn Goulds Bonmot, Beethoven sei zu früh gestorben und Mozart zu spät, bleibt in seiner respektlosen Spitzfindigkeit unwiderlegt.

Die tiefere Erkenntnis über Mozart ist, wie so oft in der Kunst, von Klischees umzingelt: Jede Ära hat sich von ihm ihr perspektivisch verzerrtes und mythenvernebeltes Bild gemacht. Stendahl las Melancholie und Trauer zwischen seinen Notenlinien, E.T.A. Hoffmann spürte romantische Dämonie. Für die Nazis war Mozart natürlich durch und durch Deutscher (genauso wie Hitler später für viele Österreicher). Falco, Mozarts Ururururerbe im Geiste, rockte sich mit "Amadeus" in die Pop-Charts, Milos Formans oscarüberschüttete Verfilmung von Peter Shaffers Theaterstück "Amadeus" brannte 1984 das Trugbild des Rokoko-Rüpels ins kollektive Pop-Gedächtnis - und stempelte den Hofcompositeur Antonio Salieri endgültig als ewigen Zweitklassigen und finsteren Genie-Vergifter ab.

Vielleicht sollte man gerade jetzt auf andere Jubilare des Jahres 2006 ausweichen und ausgiebig Musik von Schostakowitsch hören. Der hat auch viele spannende Sinfonien geschrieben - und auch kein einfaches Leben gehabt, damals in der Sowjetunion. Oder Schumann, den oft als rheinische Frohnatur unterschätzten Sinfoniker und Klavier-Maniker, der in geistiger Umnachtung starb. Um dann, vielleicht, nach einigen Monaten Mozart-Generalpause wieder ein offenes Ohr für und Neugierde auf seine Musik haben zu können.

Am Montag beginnt im Abendblatt eine sechteilige Serie zum Thema Mozart. Zu Wort kommen u. a. Nike Wagner, Jürgen Flimm und Simone Young. Vorgestellt werden außerdem viele neue Bücher und die beliebtesten Mozart-Mythen.