Leander Scholz ist ein Autor, der provoziert. In “Fünfzehn falsche Sekunden“ entwirft er eine Schöpfungsutopie mit finsteren Bildern. Als hätte Hitchcocks Horror Pate gestanden.

Keine Ahnung, wann ich zum letzten Mal geatmet habe." Mit diesem nebulösen Satz der weiblichen Hauptfigur Celeste beschließt Leander Scholz seinen Roman, der zwischen Wahn und Sinn, zwischen Halluzinationen und bewußt herbeigeführten psychischen Manipulationen pendelt.

Schon im Vorgängerroman "Rosenfest" (2001), in dem er die blutige RAF-Geschichte in ein Märchengewand kleidete, hat es der 36 Jahre alte Autor seinen Leser nicht leicht gemacht. Scholz schreibt alles andere als Mainstream-Literatur, Provokation und das künstlerische Experiment stehen auf seiner Prioritätenliste ganz oben.

Die Protagonistin Celeste befindet sich als Austauschstudentin in San Francisco, als in ihrem Umfeld plötzlich mysteriöse Dinge geschehen. Während ihres einjährigen USA-Aufenthaltes sterben ihre Eltern, und bei einem Wüstenausflug mit ihrem Nachbarn Christopher wird das Paar von einem gefährlichen Insektenschwarm überfallen. Bilder, wie wir sie aus Hitchcocks "Vögel" kennen, stellen sich sogleich bei der Lektüre ein.

Und ähnlich schaurig geht es weiter. Der Nachbar verschwindet, in seiner Wohnung stapeln sich voll gepackte Umzugskartons, und die eigene Wohnung findet Celeste wenig später völlig leergeräumt vor. Zurückgeblieben ist nur der Kühlschrank, in dem ein menschliches Gehirn lagert.

Befindet sich die Protagonistin in Trance, hat sie all diese Vorkommnisse nur halluziniert, oder mischen sich Realität und Imagination zu einem gefährlichen Komplott? Der Bruder des Verschwundenen betreibt nämlich ein finster gezeichnetes Forschungslabor, das den Namen "Paradise Engineering" trägt.

Jener Firmenchef Kornweil, Christophers Bruder, verkörpert auffällig viele Gemeinsamkeiten mit dem bekannten, aber umstrittenen amerikanischen Futurologen Ray Kurzweil, der unlängst in einem Interview mit der "Neuen Zürcher Zeitung" erklärt hatte: "Wir stehen am Anfang des großen Projekts, das menschliche Gehirn zu analysieren und seine Funktionsweise zu verstehen, um es schließlich nachzubauen."

In Scholz' Roman geht es zwar nicht um den Nachbau, dafür aber um eine geplante Gehirntransplantation, da der so plötzlich verschwundene Christopher an einer seltenen Krankheit leidet. Celeste scheint als Spenderin vom dunklen Zirkel auserkoren zu sein und wird in weiten Teilen des Romans als "Versuchskaninchen" für Psychopharmaka-Experimente mißbraucht. In diesen Passagen gelingen dem Autor bei der Schilderung des Schwebezustandes zwischen Wachträumen, Angstzuständen und Panikattacken eindrucksvolle Bilder. Dämmerung und grelles Sonnenlicht wechseln einander ab - als Metapher für Celestes schwankenden Gemütszustand. Die Protagonistin, die zuvor ihre Angstzustände stets damit bekämpfte, sich auf den Rücken zu legen und langsam bis fünfzehn zu zählen, verliert unter dem starken Medikamenteneinfluß zusehends ihr Ego ("Ich bin gut im Schlucken von Tabletten.") und verwandelt sich in eine willfährige Hülle.

Das Ende dieses Romans, der mit reichlich surrealen Elementen und Anleihen aus Horror-Filmen gespickt ist, und damit auch das Schicksal der beiden Hauptfiguren Celeste und Christopher, hält Leander Scholz bewußt in der Schwebe. "Es ist nicht ganz einfach für mich, nach all dem, was vorgefallen ist, die richtigen Worte zu finden", schreibt Celeste im Epilog in einem Brief an ihre Schwester Miriam. So ähnlich ergeht es auch dem Leser dieses Romans. Leander Scholz: Fünfzehn falsche Sekunden. Carl Hanser Verlag, 261 Seiten; 19,90 Euro.