Bereits nach drei Seiten ärgert einen Karl-Heinz Otts zweiter Roman "Endlich Stille". Aber man kann ihn schon nicht mehr weglegen. Er belagert einen, man wird ihn nicht los, denn er setzt sich in den Gedanken fest und berührt dabei frech unangenehme Gefühle.

Der Roman ist wie Friedrich Grävenich. Wie der Mann, der auf dem Straßburger Bahnhof ganz unvermittelt neben dem Erzähler steht und ihm von Stund an nicht mehr von der Seite weicht. Nach einer gelungen geglaubten Flucht des namenlos bleibenden Erzählers in der ersten Nacht ihrer Bekanntschaft hat ihn der angebliche Musiker Grävenich nach wenigen Wochen in Basel ausfindig gemacht, nistet sich bei ihm ein und bestimmt über ein subtil eingeflößtes schlechtes Gewissen fortan sein gesamtes Leben.

Der gewissenhafte Philosophie-Professor verlottert zusammen mit seiner besetzten Wohnung. Er versäuft die Nächte eingelullt in die Monologe seines ungebetenen Gastes in einer Kaschemme, verschläft die Tage, was sein Peiniger tadelnd kommentiert, und gerät über den ungeübten Lebenswandel in einen lähmenden inneren Aufruhr.

Ott entlarvt in seinem Roman die menschliche Schwäche, manchmal aus Bequemlichkeit nicht nein sagen zu können, obwohl es unbedingt notwendig wäre. Indem er eine ganz banale Situation eskalieren läßt, fängt er seinen Leser in dem gesteigerten schlechten Gefühl der unangebrachten Höflichkeit: Der Leser wird an Situationen erinnert, in denen ein Mensch ganz genau weiß, daß er gerade nicht so handelt, wie er es eigentlich tun sollte.

Als der Erzähler schließlich seine ruhige Gewißheit entwickelt, wie er die Freiheit zurückbekommen kann - in seinem Leben, seinen Gedanken und seinem Gewissen - fiebert der Leser ungeduldig dieser Emanzipation entgegen. Und fühlt sich, als es endlich soweit ist, geradezu euphorisch erleichtert: Endlich Stille.

Karl-Heinz Ott: Endlich Stille. Hoffmann und Campe, 207Seiten; 17, 95 Euro.