Schillers große Balladen handeln von Handschuhen, Tauchern, Glocken und Armbrustschützen. Wer kennt und liebt sie noch? Wir fragten Fachleute- unter anderem aus dem Textil-, Tauch- und Glöcknergewerbe.

Mal was anderes als Harry Potter "Mein Gehirn treibt wunderbare Blasen auf" (Don Carlos, II. Akt)

"Sire, geben Sie Gedankenfreiheit!" (Don Carlos, III. Akt)

Anne-Kristin Achtner (18), 13. Klasse, Wolfgang-Borchert-Gymnasium in Halstenbek :

"Schiller, das war ein ganz Großer. Wir haben im Deutsch-Leistungskurs den Don Carlos gelesen. Schillers altmodischer Stil war die totale Umstellung für mich, sehr anspruchsvoll, aber wunderschön. Das ist mal was anderes als Harry Potter. Im Buch geht es um die schöne Seele im Menschen. Don Carlos war so ein tragischer Held, was der alles durchleiden mußte, das hat mich schon berührt. Das rauscht nicht so einfach an einem vorbei, da ist es gut, wenn man sich mit anderen austauschen kann. Ich werde mir jedenfalls bald noch ein Schiller-Werk kaufen. Für abends, als Bettlektüre."

Inbegriff von der "Glocke"

Herbert Stuhr (67), Glockentechniker, hat die Michel-Glocke mit aufgehängt.

"Schiller ist für mich einfach nur der Inbegriff vom Lied von der Glocke:

"Fest gemauert in der Erden, Steht die Form, aus Lehm gebrannt. Heute muß die Glocke werden, Frisch Gesellen! Seid zur Hand . . ."

Der alte Band mit dem Gedicht, dunkler Rücken mit Goldprägung, steht bei mir im Schrank, ich hab' ihn von meinem Schwiegervater geerbt. Sieht ziemlich repräsentativ aus.

Die Methode des Glockengießens, die Schiller da beschreibt, mit dem ,Holz vom Fichtenstamme', wurde schon im finstersten Mittelalter verwendet - und ist heute noch die gleiche. Nur nimmt man kaum noch die alten Flammöfen, sondern sogenannte Kipp- oder Tiegelöfen.

Schiller hat extra in einer Glockengießerei zugeguckt, sonst hätte er das gar nicht so genau beschreiben können. Er hat im Ton genau die getragene Situation getroffen, die man erlebt, wenn eine Glocke gegossen wird, dann ist es nämlich an sich schon feierlich. Vor- und nachher werden Choräle gesungen, und es wird darum gebetet, daß das Werk gelingt.

Diese Stimmung kommt in der ,Glocke' schön raus."

Wenn auf Obst geschossen wird "Nun Tell! Weil du den Apfel triffst vom Baume auf hundert Schritte, so wirst du deine Kunst vor mir bewähren müssen - Nimm die Armbrust - Du hast sie gleich zur Hand - und mach dich fertig, Einen Apfel von des Knaben Kopf zu schießen - Doch will ich raten, ziele gut, daß du den Apfel treffest auf den ersten Schuß, Denn fehlst du ihn, so ist dein Kopf verloren." (Wilhelm Tell, 1804)

Heiner Conrad (45), Parkettleger und Armbrust-Weltmeister 1994 und 1996 :

"Schiller, das ist für mich die Frau, die mich in die Armbrust verliebt gemacht hat: Sieglinde Wagner, mehrfache Armbrust-Weltmeisterin und eine geborene Schiller. Sie gab vor etwa 15 Jahren in Hamburg-Meckelfeld den Anstoß für einen Tag der offenen Tür fürs Armbrustschießen und hat es damit nach Hamburg gebracht. Da hab' ich gemerkt: Das ist mein Ding! Zu Zeiten Wilhelm Tells, von dem der Landvogt verlangte, daß er einen Apfel vom Kopf seines Sohnes schoß, hatte man Armbrüste ja zur Verteidigung. Heute ist das ein Hightech-Sport. Mit den Möglichkeiten von heute kann ein guter Schütze auf 35 Meter ohne weiteres nicht nur einen Apfel, sondern sogar eine Kirsche treffen. Wilhelm Tell hätte gegen unsere Ausrüstung keinerlei Chancen. Das Gerät wird fast immer von Feinmechanikern und Handwerkern handgemacht. Der Bogen ist aus Holz oder Carbon oder einer Mischung von beidem, die Armbrust selber besteht aus Stahl oder Aluminium. Sie wiegt so sieben bis acht Kilo. Verglichen mit Tells Armbrust wäre sie ein Formel-Eins-Wagen gegenüber einem handelsüblichen PKW."

Schillers Pathos muß man brechen

Axel Schneider (38) ist Intendant des Altonaer und Harburger Theaters und der Hamburger Kammerspiele. Er inszenierte vor drei Jahren in Altona Schillers "Wallenstein"-Trilogie.

"Wir handeln, wie wir müssen.So laßt uns das Notwendige mit Würde, mit festem Schritte tun."- Wallensteins Tod, II, 2 Wallenstein

"Schiller gestaltete seine großen Themen - Aufklärung, Humanismus und Freiheit - in den Figuren seiner Dramen mit hoher Intelligenz und großer Leidenschaftlichkeit, ohne je zu dozieren. Sie haben Kraft und Saft. Allerdings ist es schwierig, seine wunderschöne Sprache mit Leben zu füllen. Trotz der klaren Ausgestaltung der Figuren ist er kein psychologischer Dramatiker wie etwa Gerhart Hauptmann. Eine Gefahr ist jedoch das Pathos seiner gehobenen Sprache. Das muß man als Schauspieler brechen, um Schillers Gedanken und Gefühle mit Ehrlichkeit und Emotionalität zum Ausdruck zu bringen."

Ist "Der Handschuh" heute eigentlich noch angesagt?

Ingrid Ozolins (60) ist Kauffrau für Handschuhe und Accessoires.

"Ach, Schiller. In der Schule haben wir ,Die Glocke' gelernt, aber seitdem habe ich nichts mehr von ihm gelesen. Als Berufstätige habe ich sowieso wenig Zeit, weil ich abends todmüde nach Hause komme."

Mit folgenden Zeilen endet Schillers Ballade "Der Handschuh", nachdem Ritter Delorges in den Raubtierzwinger gesprungen ist, um den von Fräulein Kunigunde willkürlich dahingeworfenen Handschuh zu erheischen.

". . . Und gelassen bringt er den Handschuh zurück. Da schallt ihm sein Lob aus jeder Munde, Aber mit zärtlichem Liebesblick - Er verheißt ihm sein nahes Glück - Empfängt ihn Fräulein Kunigunde. Und er wirft ihr den Handschuh ins Gesicht: ,Den Dank, Dame, begehr' ich nicht!' Und verläßt sie zur selben Stunde."

Frau Ozolins findet: "Das ist für die heutige Zeit nicht mehr angebracht, weil die Männer nicht mehr so mutig sind. Mein Mann würde sagen: ,Kauf dir einen neuen Handschuh!'"

Tauchen ist ein Rausch, dem man sich nur schwer entziehen kann

Karsten Schulz (39) ist Berufstaucher und Tauchlehrer bei der Hamburger Feuerwehr.

"Eigentlich bedeutet mir Friedrich Schiller nicht besonders viel. Aber seine Ballade ,Der Taucher' spricht mich sehr an. Vor allem der Mut des jungen Mannes, ein zweites Mal nach dem Becher zu tauchen.

"Da ergreift's ihm die Seele mit Himmelsgewalt, Und es blitzt aus den Augen ihm kühn, Und er siehet erröten die schöne Gestalt Und sieht sie erbleichen und sinken hin - Da treibt's ihn, den köstlichen Preis zu erwerben, Und stürzt hinunter auf Leben und Sterben."

Das ist eine Sehnsucht, eine Leidenschaft, die ich gut verstehen kann. Schon als Kind war es mein Traum, Taucher zu werden. Ich wollte nach Schätzen und Wracks in der Tiefe suchen. Ich habe zwar keinen Becher gefunden wie der Jüngling, dafür aber einen Stockanker aus dem 18. Jahrhundert, der jetzt im Marine-Stützpunkt in Neustadt ausgestellt ist. Auch das Wasser als wildes und ungestümes Element ist im ,Taucher' so wiedergegeben, wie es in der Wirklichkeit ist. Tauchen ist ein Rausch, dem man sich nur schwer entziehen kann. Ich bin schon 60 Meter tief im Meer getaucht. Angst habe ich keine, weder vor der Schwärze des Meeres, noch wenn ich in der Elbe nach Leichen suche. An Schillers ,Taucher' fasziniert mich vor allem sein Stolz, seine Ehre und die Dramatik."