Wie kann es sein, daß ein Mann grandiose Frauenrollen fürs Theater schreibt, aber privat auf die blasse Hausfrau pocht? Schiller tat beides - während ihn kluge Nicht-Hausfrauen protegierten. Auch seine Ehefrau Charlotte.

Maria Stuart" mit dem berühmten "Königinnen-Dialog" oder "Die Jungfrau von Orleans" - als Dramatiker hat Schiller großartige Frauenrollen geschaffen. Im Privatleben dagegen war der Freiheitsdichter "kein Vorkämpfer weiblicher Selbständigkeit", schreibt der Schiller-Experte Friedrich Dieckmann. Sein merkwürdig gespaltenes Frauenbild hatte Schiller schon früh in seiner "Verschwörung des Fiesco zu Genua" umschrieben: Leonore, die Gattin des Helden, ist blaß, sanft, treu, "nicht blendend"; im Gegensatz zu der "koketten" Gräfin Julia, die dem Fiesco den Kopf verdreht: "gros, voll, Schönheit verdorben durch Bizarrerie".

Als junger Militärarzt und Dramenschreiber galt Schiller unter Freunden nicht als Kostverächter, was Abenteuer mit "Soldatenweibern" und Wirtinnen betraf. Nach seinem Sensationserfolg mit den "Räubern" eilte ihm ein hochromantischer Ruf voraus, die Fan-Gemeinde seiner gebildeten Bewunderinnen wuchs schnell. Auch Schiller selbst verliebte sich in Verlegerstöchter wie Margarete Schwan, in Schauspielerinnen wie Sophie Albrecht; in nervöse Feingeister wie Charlotte von Kalb und in Karoline von Beulwitz, seine schriftstellernde spätere Schwägerin. Sie waren alle keine Leonoren.

Was Schiller von einer Ehefrau erwartete, schrieb er seinem Freund Christian Gottfried Körner zu dessen Hochzeit:

" Glücklich macht die Gattin nur, die für dich nur lebet und mit herzlicher Natur liebend an dir klebet; die, um deiner wert zu sein, für die Welt erblindet und in deinem Arm allein ihren Himmel findet."

Eine Frau, die in Salons glänzt und womöglich selbst künstlerischen Ehrgeiz entfaltet, war anstrengend, kompliziert. Der ständig verschuldete Schiller suchte "häusliche Ruhe"; und eine Frau mit Geld. "Bei einer ewigen Verbindung, die ich eingehen soll, darf Leidenschaft nicht sein."

Der Vorsatz schien zunächst wieder gründlich danebenzugehen, als Schiller Ende 1787 in Rudolstadt zwei sehr belesenen, adligen jungen Damen begegnete: der 21jährigen Charlotte Lengefeld und ihrer 24jährigen Schwester Caroline, unglücklich verheiratete von Beulwitz. Die beiden, in dem Provinznest tödlich gelangweilt, verlieben sich sofort in den rothaarigen Schlaks. Auch Schiller fängt Feuer, aber nicht für die stille Charlotte, sondern wieder für die anspruchsvolle, temperamentvolle Caroline. Dabei hat er in Weimar schon eine verheiratete "Seelenfreundin": Charlotte von Kalb. Sie hatte ihm durch Beziehungen zum Titel eines "Sachsen-Weimarschen Rats" verholfen. Schiller weiß, daß sie seinetwegen ihren Mann verlassen will.

Statt dessen läßt er sich von Caroline Beulwitz in den Plan einbinden, die ledige Charlotte - "Lolo" oder Lotte - zu heiraten, damit seine liebste Caroline immer bei ihm bleiben kann, nach außen legitimiert als Schwägerin. Eine clevere Konstruktion, außerdem hat Lotte Lengefeld eine einflußreiche Patin: Charlotte von Stein, Goethes langjährige Muse und erfahrene Weimarer Karrierebastlerin. 1790 heirateten Schiller und Lotte, er ist 30, sie 23 Jahre alt. Und noch im selben Jahr bringt Frau von Stein den Herzog Karl August dazu, den Ehemann ihrer Patentochter zum Hofrat zu machen, mit 200 Talern Jahressalär. Später erreichen Charlotte und Lotte, daß Schiller geadelt wird.

An der Verquickung von Freiheits-Pathos und Zweckdenken in Schillers Leben, am Plan der Scheinheirat mit Charlotte haben sich frühere Schiller-Biographen nie gestört. War doch klar: Ein Genie braucht Frauen für den Geist und andere Frauen fürs Nützliche. Die Schillerforschung hat nur das Leonore-Bild von Charlotte überliefert: die brave, farblose, geistig unterlegene Ehefrau, eben "das uninteressante Lolochen" (Schiller-Freund Wilhelm von Humboldt). Christiane Vulpius, Goethes skandalös unstandesgemäßer "Bettschatz", war Weimars Klatsch-Thema Nummer eins. Lotte Schiller blieb fast unsichtbar.

Noch vor der Hochzeit schrieb Schiller an Lotte: "Was Caroline dir voraus hat, mußt du von mir empfangen; Deine Seele muß sich in meiner Liebe entfalten, und mein Geschöpf mußt du sein . . ." Sie selbst notierte: "Dichter mögen Frauen, die es ihnen bequem machen."

Sie erfüllte seine Erwartungen und "blendete" nicht, wie Eva Gesine Baur in ihrer neuen Charlotte-Biographie schreibt. Dennoch war Lotte weit mehr als Hausfrau und Mutter von vier Kindern. Als gut erzogene Tochter einer Hofdame war sie belesen in "Biographien, Epen, Dramen und Anthologien" und naturwissenschaftlichen Themen. Sie bewegte sich gewandt am Hof, managte Schillers Chaos-Haushalt, ließ ihm seine exzessiven Herrenabende, sprach gut Englisch und Französisch - Schiller selbst schweres Schwäbisch. Die "französischen Stoffe", die er den Verlegern Cotta und Unger für ihre Zeitungen verkaufte, hatte Lotte ins Deutsche übersetzt.

Schillers und Lottes umfangreiche Korrespondenz spiegelt, welche Abhängigkeiten an "Musenhöfen" wie Weimar herrschten, welche Doppelzüngigkeit die "hochempfindsame" Romantik-Szene hinter den Kulissen entfalten konnte. Die Briefe zeigen aber auch, wie kompetent gerade die Frauen Einfluß auf Schillers Karriere nahmen. Die "Lotten" haben ihn verwirklicht: Charlotte von Kalb, Charlotte von Stein, Charlotte Schiller.