MTV, die Mutter des Musikfernsehens, mauserte sich einmal zum Trendsetter der “Generation MTV“. Inzwischen beschallen die Musiksender nur noch die “Generation Klingeltöne“. Ein Blick zurück in Wehmut.

Als MTV 1981 in den USA an den Start ging, galten Videoclips hierzulande noch als Luxus ganz großer Bands. Erst 1987 startete der Sender auch bei uns, zunächst mit nur wenigen Sendungen auf deutsch. Aber es war eine kleine Revolution: Was als Spartenprogramm begann, wurde weit mehr als nur ein Clip-Werbesender für die Plattenkonzerne.

Denn mitten in dem kommerziellen Konzept standen etwas ungelenk junge, meist völlig unerfahrene Moderatoren herum und präsentierten liebenswert-dilettantisch Musikneuigkeiten. Kristiane Backer, die erste deutsche, war knapp 20. Vanessa Warwick mühte sich mit blaugefärbten Haaren in "Headbanger's Ballroom" für die Metal-Szene ab, und der einzige Profi war Ray Cokes.

Aber schon die Werbepausen waren eine Augenweide. Für Calvin-Klein- oder Diesel-Jeans drückten sich schöne Menschen vieler Hautfarben aneinander, es gab Spots von "Peta"-Tierschützern oder Greenpeace und daneben Typen wie "Beavis & Butthead", vor denen uns unsere Eltern immer gewarnt haben. Neuschöpfungen wie die MTV Music Awards boten Vielfalt, Videos entwickelten sich zur Talentprobe für Jungregisseure. Und mit der Unplugged-Welle landete der Sender einen Coup. "Nirvana Unplugged" etwa war ein magischer Moment der Musikgeschichte.

Als Pionier des Musikfernsehens mußte MTV vieles erst erfinden und hat dabei Trends für die "MTV-Generation" gesetzt. Allerdings war der Sender fast zehn Jahre lang in Deutschland nur begrenzt zu empfangen. 1993 startete PopKomm-Geschäftsführer Dieter Gorny den Gegenangriff: mit VIVA . Der deutschsprachige Sender erreichte viel mehr junge Zuschauer, ging besser auf die hiesigen Musikvorlieben ein und führte deutsche Identifikationsfiguren ein. Girlie-Ikone Heike Makatsch und Stefan Raab ("Vivasion") halfen mit, daß MTV schon 1994 abgehängt wurde. Der Slogan "VIVA liebt dich" traf die 12- bis 16jährigen mitten ins Herz, vor allem Mädchen.

Deutsche Produktionen waren jetzt hip, viele Bands und Sänger/innen kamen erst durch VIVA groß raus - Tic Tac Toe, Sabrina Setlur, das Rödelheim Hartreim Projekt; vor allem lieferte VIVA neue Gesichter für Kino, Comedy und Fernsehen, von Stefan Raab bis Oliver Pocher. Der innovativere Ableger Viva 2 (ging 2002 in Viva Plus auf) gab Talenten wie Charlotte Roche ein Forum, die "Fast Forward" moderierte und 2004 den Grimme-Preis bekam. Auch die individualistische Show von Sarah Kuttner bewahrt das Programm mit exzellenten Quoten vor der Kinderecke. Noch.

Denn heute haben MTV und VIVA nichts mehr vom alten Charme. Seit dem Erfolg, den "The Osbournes" 2002 in den USA hatte, füllt MTV auch bei uns einen Großteil der Sendezeit mit Trash-Dokus wie "Jackass", wo Freiwillige in Gülle baden. VIVA zieht nach mit der Doku-Soap "Switched" oder der Pyromanenspielwiese "Brainiac". Wer die Fan-Chatseiten liest, findet Schimpftiraden. Der Mainstream habe gesiegt, "nur noch die Tops nudeln rauf und runter", vor allem die endlose Klingelton-Werbung erzürnt die Zuschauer.

Nachdem der MTV-Mutterkonzern Viacom VIVA geschluckt hat, stylt die neue Gesamtchefin Catherine Mühlemann die Sender neu durch, damit sie sich nicht gegenseitig Konkurrenz machen. Laut Viva Media AG soll MTV der "progressivere Trendsender" für Jungs von 16 bis 25 werden, "überwiegend Showformate und weniger Musik" senden: z. B. tägliche Zusammenfassungen von "Big Brother" und die Beziehungssendung "Liebe, Sex & Video". VIVA soll als "nationaler Jugendsender mit chartorientierter Musik und populären Unterhaltungsformaten" eher weibliche Zuschauer von 10 bis 34 erreichen. Für VIVA Plus sind "Hot Music, Games und Fun" geplant, MTV2-Pop soll "zum Musikkanal für die ganze Familie" werden.

Charlotte Roche warf aus Protest bereits das Handtuch, Sarah Kuttner darf nur noch zweimal wöchentlich senden. Für Experimente und schräge Vögel ist kein Platz mehr.