Tom Neuwirth aus der österreichischen Provinz erschuf Kunstfigur, die beim ESC siegte. Manager: “Der Song Contest ist nur eine Zwischenstufe. Das Ziel ist der Grammy. Man muss nach den Sternen greifen.“

Wien. In erster Linie ist Conchita Wurst die Erfindung eines einzelnen Menschen: Tom Neuwirth, der das aber selbst ganz anders beschreibt. Sie sei immer schon da gewesen, sagt Neuwirth über sein weibliches Alter Ego. Offiziell ist die bärtige Sängerin zwar „im kolumbianischen Hochland“ geboren, ihre Kindheit und Jugend dürfte sie aber auf dem Dachboden des Gasthauses von Neuwirths Eltern im steirischen Bad Mitterndorf verbracht haben, jenem Ort, an dem der heute 25-Jährige schon als Kind alles tun konnte, wofür er sonst ausgelacht wurde: malen, singen, nähen, Frauenkleider anziehen.

Der europaweite Erfolg von Frau Wurst hat jedoch ein paar Väter (und Mütter) – wenn auch nicht ganz so viele, wie sich derzeit in den Vordergrund drängen. Zu den wichtigsten zählt Manager René Berto, der Mann, der Conchita Wurst nach der Verkündigung ihres Sieges zurück auf die Kopenhagener Bühne führte und bei der Ankunft in Wien deutlich erschöpfter als seine prominente Klientin wirkte.

Berto sei „die Seele und der Motor des Projekts Song Contest 2014“, sagte ORF-Moderator Andreas Knoll. Er habe Tom Neuwirth bei mehreren ORF-Cas-tingshows „aufgelesen“ und die Zusammenarbeit mit dem ORF „eingetütet“. Berto betreute schon Alf Poier, der Österreich mit seinem sechsten Platz beim Grand Prix vor elf Jahren zur Abwechslung wieder zu einem einstelligen Ergebnis verhalf. Berto ist fest entschlossen, aus Frau Wurst einen Weltstar zu machen. „Ich denke immer global“, sagte der aus Wien stammende Endvierziger, der früher Musik- und Kulturfestivals organisierte. „Der Song Contest ist nur eine Zwischenstufe. Das Ziel ist der Grammy. Man muss nach den Sternen greifen.“

Kürzlich beschrieb Conchita Wurst die Vorgehensweise ihres Teams konkreter: „Wir haben internationale Marketinggurus kontaktiert, um beispielsweise zu erfahren: Wie funktioniert das Konzept Victoria Beckham?“, erzählte sie im Radio. Das Fazit, das das „Team Wurst“, dem mit der Stylistin Tamara Mascara auch eine weitere Dragqueen angehört, daraus gezogen hätte: Erfolg bedürfe harter Arbeit und penibelster Planung. Die scheint sich auch international bezahlt zu machen. Auf Gratulationen von Lady Gaga bis Russel Brand folgten erste Angebote von Fernsehproduzenten aus Los Angeles und der New Yorker Gay Pride Parade. Fest steht, dass Frau Wurst Ende Mai neben Bill Clinton und Ricky Martin beim Life Ball im Wiener Rathaus auftreten wird. Jetzt müsse man aber erst einmal alles setzen lassen, mahnte Berto nach der Rückkehr aus Kopenhagen. Frau Wurst zog es vor, den Rat zu ignorieren – und brachte sich für die Moderation des nächsten Song Contests, der ja in Österreich stattfindet, ins Spiel. Den Vorschlag richtete sie an ihre zweite große Unterstützerin: Kathrin Zechner, die berühmte energiegeladene Fernsehdirektorin des ORF. Sie soll die Idee gehabt haben, die öffentliche Vorentscheidung einzusparen und Wurst direkt für Kopenhagen zu nominieren.

„Für den ORF war das eine ungewöhnlich mutige Entscheidung“, sagt der Medienjournalist Harald Fidler von der Tageszeitung „Der Standard“. Nach seinen Informationen hat Zechner Frau Wurst aus einem knappen Dutzend Vorschlägen ausgewählt, bevor Generaldirektor Alexander Wrabetz seinen Segen gab. Für die Nominierung von Conchita Wurst erntete Zechner aber nicht nur Zustimmung. Zechner habe im ORF-Direktorium einen schwierigen Stand, weil sie sich politisch am wenigsten „punzieren“ – also prägen – lasse, sagt Anna-Maria Wallner von der „Presse“.

Bis zuletzt habe der ORF das Potenzial der eigenen Kandidatin falsch eingeschätzt, sagt Harald Fidler vom „Standard“. Für die Möglichkeit eines Sieges habe es offenkundig gar keine Planung gegeben – die Übertragung endete mit dem offiziellen Teil der Veranstaltung. Die Siegesfeiern übertrug dann die ARD.