Mit dem pompösen Triumph von Conchita Wurst beim Eurovision Song Contest in Kopenhagen feiert Österreich erneut eine musikalische Thronbesteigung. Der Sieg der Dragqueen löste gemischte Reaktionen aus.

Hamburg. Conchita Wurst triumphiert beim Eurovision Song Contest. Als Vollbart tragende Frauenfigur konnte der 25-jährige Österreicher Tom Neuwirth mit der Ballade „Rise Like A Phoenix“ in Kopenhagen überzeugen. Die Reaktionen auf den Sieg des Travestie-Künstlers sind gemischt. Schmacht-Barde Julio Iglesias hat Grand-Prix-Siegerin Conchita Wurst ein hervorragendes Zeugnis ausgestellt. „Sie ist eine Super-Sängerin, ein großartiges Mädchen und sehr sensibel“, sagte Iglesias am Montag in London. Der 70 Jahre alte Spanier hatte sein Land im Jahr 1970 beim Grand Prix Eurovision de la Chanson vertreten.

Thomas D twitterte „Ich hab Tränen in den Augen, so schön war das! Gratulation Conchita Wurst!“ TV-Satiriker Oliver Kalkofe schrieb: „Gratulation an Lady Sausage aus Österreich! Ein klares Statement mit Stil hat gewonnen, das ist überaus erfreulich... Chapeau!“

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck hat den Sieg der österreichischen Vollbart-Dragqueen als Zeichen für Toleranz gewertet. „Es ist ein Signal, dass es in Europa eine starke Tendenz für Gleichberechtigung gegen Diskriminierung gibt“, sagte Beck am Montag im ZDF-„Morgenmagazin“. Teilnehmer, die eine gute Leistung zeigten, hätten offenbar eine faire Chance in dem Wettbewerb.

Der polnische Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski wiederum hat Wursts Sieg heftig kritisiert: „Das ist ein Beweis für den Verfall des modernen Europa“, sagte der nationalkonservative Ex-Regierungschef am Montag dem TV-Sender TVN24. „In Europa tun sich beunruhigende Dinge, die seine Dekadenz zeigen. Und diesen Trend sollten wir ablehnen“, forderte Kaczynski. „Alle Formen von Propaganda, die den Unterschied zwischen Mann und Frau verwischen und ein Lebensmodell entwerfen, in dem nicht einmal mehr das Geschlecht eindeutig bleibt, führen auf eine Bahn der völligen Zerstörung“, sagte er.

Auch bei in der russisch-orthodoxen Kirche stößt der Sieg von Conchita Wurst auf Kritik. Der Erfolg des österreichischen Transvestiten sei ein Zeichen für die „kulturelle Legitimierung der Sünde in der modernen Welt“, sagte ein Sprecher des Moskauer Patriarchats am Montag der russischen Nachrichtenagentur „Interfax“. Dies sei ein weiterer Schritt, das christliche Erbe in der europäischen Kultur abzustreifen.

Sido verteidigt sein schlechtes Wurst-Votum

Sido (33), Berliner Rapper und deutsches Jury-Mitglied beim Eurovision Song Contest, hat sich gegen Vorwürfe verteidigt, Wurst nur auf Platz 13 gewählt und damit die deutsche Punktzahl für die Dragqueen runtergezogen zu haben. Man werfe ihm zu Unrecht „fehlende Toleranz“ vor, schrieb er am Montag bei Facebook. Er habe jedem Kandidaten dieselbe Chance gegeben, „unabhängig von seiner Nationalität, seiner Religion oder seiner sexuellen Gesinnung“. Es sei um „Musik, die Komposition, die Stimme, die Performance“ gegangen. „Nichts anderes ist in meine Wertung eingeflossen.“ Die einzige zulässige Diskussion sei also, warum ihm die „Komposition und die Performance des Herren aus Österreich“ nicht gefallen habe, was „eine reine Geschmacksfrage“ sei.

Pop-Diva Cher (67) hat die Dragqueen Conchita Wurst in ihrem eigenen Freundeskreis verteidigt. „Einige Freunde haben sich über ihn lustig gemacht und ich hatte das Gefühl, ich musste mich für ihn einsetzen“, twitterte sie am Montag. „Das Aussehen von jemandem ist keine Bedrohung.“

Cher hatte auch ihren Sohn mehrmals gegen hämische Angriffe in Schutz genommen. Chaz Bono (45) kam als einzige Tochter der Musikerin und Schauspielerin zur Welt und änderte 2010 Geschlecht und Namen.

Die US-Sängerin gab der vielumjubelten Eurovision-Siegerin aus Österreich auch einen Ratschlag mit auf den Weg: „Du verdienst einen schöneren Namen und eine bessere Perücke.“

Wer ist der Mensch hinter Conchita Wurst?

Ein golden glitzerndes Abendkleid, lange braune Locken und dazu ein schwarzer Vollbart - als irritierend und polarisierend galt die mit der im James-Bond-Stil pompös inszenierte Hymne "Rise Like a Phoenix" angetretene Conchita Wurst bereits im Vorfeld des ESC-Finales. Doch wer steckt hinter der schillernden Kunstfigur, die am Sonnabend den ESC in Kopenhagen gewann?

Conchita Wurst wurde als Thomas Neuwirth geboren, wuchs in Bad Mitterndorf auf. „Schon mit vier Jahren trug ich gern Röcke“, erzählt die Dragqueen der „Bild“-Zeitung. Neuwirth studierte Modedesign in Graz und outete sich 2006 als homosexuell.

In Österreich ist der Travestie-Künstler schon länger ein Star. In der Casting-Show "Starmania" landete er 2006 auf dem zweiten Platz, danach sang er kurze Zeit in einer Boyband. Als Conchita Wurst trat Neuwirth zum ersten Mal 2011 auf – ebenfalls in einer Talentshow. Ein Jahr später machte Conchita Wurst den zweiten Platz im Wettbewerb um den österreichischen ESC-Teilnehmer.

Mancher deutsche TV-Zuschauer kennt Conchita Wurst als Teilnehmerin der gefloppten RTL-Doku-Soap "Wild Girls – Auf High Heels durch Afrika", wo sie vergangenes Jahr neben Kader Loth oder Sarah Knappik agierte.

Zahlreiche Anfeindungen gegen Wurst

Doch Wurst wurde nicht immer gefeiert. Vor ihrem Auftritt sah sich der Mann in Frauenkleidern zahlreichen Anfeindungen ausgesetzt. Neuwirths Art zu Leben sei „nicht natürlich“, sagte der im Vorhinein mit zu den Favoriten gezählte armenische Sänger Aram MP3. Der am Ende als Vierter mit deutlichem Punkteabstand hinter Conchita Wurst gelandete Aram MP3 entschuldigte sich zwar für seine Äußerung.

Conchita Wurst nutzte die Anfeindung aber zur selbstbewussten Feststellung, dass auch ein dummer Spruch verletzt. „Aber auch wenn er beteuert, dass er alles als Witz gemeint hat, muss man sagen, dass es einfach nicht lustig ist. Die Anfeindungen waren einfach geschmacklos“, sagte Neuwirth der österreichischen Nachrichtenagentur APA.

Dabei geht es Neuwirth gerade darum, in der Gestalt der Conchita Wurst deutlich zu machen, wie viel Freiheit der Einzelne hat. „Ich habe diese bärtige Lady erschaffen, um der Welt zu zeigen, dass du machen kannst was du willst“, sagt der 25-Jährige. „Solange du niemandem weh tust, kannst du alles mit deinem Leben machen, schließlich haben wir nur eines.“

Mit ihrem Kampf um die Freiheit der sexuellen Orientierung sorgt Conchita Wurst auch unter Homosexuellen für Diskussionen. Ihr Auftritt könne Menschen abschrecken, denen es schwer falle, ihre Homosexualität zu akzeptieren, wird kritisiert. "Ich will niemandem Angst machen", sagt Neuwirth. "Ich will ihnen vielmehr zeigen, dass sie in ihrer Art akzeptiert werden können. Sie haben das Recht, das zu tun, was sie wollen."