Erneut Tränen im Gerichtssaal und zwei Versionen der schrecklichen Geschichte: Kaltblütiger Mord oder furchtbares Versehen?

Pretoria. Fünf Tage nach dem Tod der Freundin von Sprintstar Oscar Pistorius sind erstmals Details zum Hergang bekannt geworden. Der beinamputierte Sporter soll die 29-jährige Reeva Steenkamp durch die Badezimmertür hindurch erschossen haben. Die Staatsanwaltschaft wertete die Tat beim Haftprüfungstermin am Dienstag als Mord. Pistorius sprach hingegen von einem furchtbaren Versehen.

Staatsanwalt Gerrie Nel klagte den 26-jährigen Athleten an. „Sie konnte nirgendwo hingehen“, erklärte er, „das muss grauenhaft gewesen sein“. Das 29-jährige Model sei nach einem Streit im Schlafzimmer ins Bad gelaufen und habe sich eingeschlossen.

Pistorius habe dann seine Prothesen angelegt, sei die sieben Meter vom Bett zum Bad gelaufen und habe durch die Tür geschossen, beschrieb der Staatsanwalt seine Fassung des Tathergangs. Steenkamp sei dreimal von den Schüssen getroffen worden. Danach sei die Tür aufgebrochen worden. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft ermordete Pistorius seine Freundin vorsätzlich und kaltblütig nach einem handfesten Streit.

Pistorius: „Sie ist in meinen Armen gestorben“

Dessen Anwalt Barry Roux bestand hingegen darauf, dass es sich bei dem Todesfall um einen Unfall gehandelt habe. Sein Mandant habe gedacht, dass ein Einbrecher eingedrungen sei. Mit Blick auf die aufgebrochene Tür stellte Roux die Frage, ob es darum gegangen sei, sie zu töten oder nicht vielmehr darum, sie aus dem Bad zu befreien. Von Mord könne keine Rede sein.

Pistorius wirkte zu Beginn der Anhörung sehr ernst und düster. Während einer Diskussion seines Anwalts mit Staatsanwalt Nel aber brach er zusammen und weinte leise, den Kopf in den Händen verborgen. Er blieb in seiner Aussage unter Eid dabei, dass er seine Freundin aus Versehen getötet habe, weil er sie für einen Eindringling in seinem Haus hielt. Er habe sich in der Annahme eines Einbrechers in seinem Badezimmer verwundbar gefühlt, weil er seine Beinprothesen nicht trug und habe daher auf die Badezimmertür geschossen.

Erst, als er schon geschossen hatte, sei ihm aufgefallen, dass Steenkamp nicht in seinem Bett lag. „Das hat mich mit Horror und Angst erfüllt“, sagte er. Er habe dann seine Prothesen angezogen und versucht, die Tür einzutreten. Als dies nicht gelang, habe er einen Cricket-Schläger genommen und die Tür eingeschlagen. In der Toilette fand er Steenkamp zusammengesackt. Er habe ihren blutverschmierten Körper in seine Arme genommen und versucht, sie nach unten zu tragen, um medizinische Hilfe zu rufen. Aber da sei es schon zu spät gewesen. „Sie ist in meinen Armen gestorben“, sagte der Athlet.

Sponsoren wenden sich ab - lebenslange Haftstrafe droht

Die Schüsse in den frühen Morgenstunden am 14. Februar fielen nach Angaben der Polizei, nachdem Nachbarn einen lauten Streit gehört hatten. Das Paar war erst seit etwa drei Monaten zusammen. Der 26-Jährige erschien in grauem Anzug und blauem Hemd vor Gericht. Er ist seit Freitag auf einer Polizeiwache in Pretoria inhaftiert und wurde von Beamten durch einen Hintereingang in das Gericht geführt.

Die Anhörung musste zeitweise unterbrochen werden, als Pistorius erneut in Tränen ausbrach, als sein Anwalt aus seiner Erklärung vorlas. Darin schildert der Sportler, wie Steenkamp ihm ein Geschenk zum Valentinstag kaufte, es ihn aber nicht in der Nacht davor öffnen lassen wollte. „Bewahren Sie die Fassung“, forderte der Richter ihn auf. „Sie müssen hier ihre Gedanken darlegen.“

Erstes Ziel der Verteidigung ist die Freilassung gegen Zahlung einer Kaution. Sollte Pistorius am Ende wegen „vorsätzlichen Mordes“ verurteilt werden, könnte er den Rest seines Lebens in Haft verbringen. Schon jetzt haben sich mehrere Sponsoren von ihm losgesagt, deren jährliche Einnahmen für ihn auf eine Million Dollar geschätzt wurden. Auch eine Pro-Homo-Kampagne wandte sich am Dienstag von Pistorius ab. Ein Kosmetikhersteller strich Pistorius komplett aus seiner aktuellen Werbekampagne für ein Parfum.

Erschossene Reeva Steenkamp war eine glanzvolle Persönlichkeit

Die tödlichen Schüsse am Valentinstag waren ein Schock, nicht nur für die Menschen in Südafrika, auch für viele weltweit, für die Pistorius ein Idol dafür war, wie man trotz Hindernissen ein Sportchampion werden kann. Der „Blade Runner“ genannte Athlet schrieb Sportgeschichte nicht nur durch seine Siege bei den Paralympics, sondern auch als erster beinamputierter Teilnehmer bei den Olympischen Spielen in London.

Auch Reeva Steenkamp war in ihrer südafrikanischen Heimat eine glanzvolle Persönlichkeit. Das Model mit dem Juraabschluss rief auf ihrem Twitterprofil dazu auf, gegen häusliche Gewalt aufzustehen, und sich am „Schwarzen Freitag“ aus Protest gegen Verwaltigungen zu beteiligen. Zwei Tage nach ihrem Tod wurde die erste Folge einer Reality-Show im Fernsehen ausgestrahlt, in der auch Steenkamp mitgemacht hatte.

Eidesstaatliche Bekundungen von Freunden von Pistorius und Steenkamp, die Anwalt Roux vortrug, beschrieben die zwei als bezauberndes, glückliches Paar. In der Nacht vor den Schüssen hätten sie alles andere abgesagt, um gemeinsam die Nacht vor Valentinstag in seinem Haus in Pretoria zu verbringen. Die junge Frau wurde am Dienstag in ihrer Heimatstadt Port Elizabeth beigesetzt.