Zehn Monate nach einer Prügelorgie im Berliner U-Bahnhof Lichtenberg leidet das Opfer noch immer unter Angstzuständen. Ein normales Leben ist unmöglich.

Berlin. Im Prozess gegen die vier mutmaßlichen Schläger vom Berliner U-Bahnhof Lichtenberg sind am Donnerstag die beiden Opfer vernommen worden. Der 30-Jährige, der vier Wochen im Koma lag, hat nur bruchstückhafte Erinnerung an die Tat vom 11. Februar. „Wegen der schweren Hirnverletzungen kann er nicht unterscheiden, was er wirklich erlebt, und was er in der Zeitung gelesen hat“, sagte ein Prozessbeteiligter nach der Vernehmung.

Der Prozess gegen vier Schüler im Alter von 15 bis 18 Jahren ist nicht öffentlich. Die Staatsanwaltschaft wirft den Jugendlichen mit ausländischen Wurzeln Mord aus Hass auf Deutsche und Freude an der grundlosen Misshandlung Schwächerer vor. Das Quartett hat bisher geschwiegen. Nach Angaben von Verteidiger Dirk Lammer waren die Angeklagten im Vorfeld geständig, hätten aber einen Tötungsvorsatz bestritten.

Der Maler war kurz vor Mitternacht mit einem Kollegen auf dem Heimweg. Bei einem der brutalsten Übergriffe im öffentlichen Nahverkehr der Hauptstadt wurde der Mann gequält, bis er reglos am Boden lag. Notärzte retteten sein Leben.

Eine Narbe am Hinterkopf ist bis heute sichtbar. Zu seinem Schutz möchte der Berliner kaum etwas von sich preisgeben. „Was Vernünftiges“ war sein einziger Kommentar zu seiner Erwartung über den Ausgang des Prozesses. Körperlich geht es ihm besser, sagte sein Anwalt Christian Joachim. Der 30-Jährige könne aber noch nicht arbeiten. Mit den psychischen Folgen werde er noch lange kämpfen. Die Ärzte wissen nicht, ob Schäden bleiben, erklärte Joachim. Die Aussage im Prozess sei ein schwerer Schritt, aber auch eine Art Therapie zur Aufarbeitung der Tat.

Dem Kollegen des Malers geht es nach Auskunft seiner Anwältin Elke Zipperer „ganz gut“. Der Handwerker erlitt zahlreiche Blutergüsse. Der 30-Jährige konnte zunächst aus dem Bahnhof fliehen, wurde aber aufgespürt und nach einer Hetzjagd geschlagen.

Immer wieder kommt es im öffentlichen Nahverkehr zu erschreckender Gewalt. Bei dem bisher schlimmsten Fall starb ein 23-Jähriger, als er auf der Flucht vor Schlägern von einem Auto erfasst wurde. Im September wurde ein 18-Jähriger nach einem Überfall auf einen Installateur im U-Bahnhof Friedrichstraße zu zwei Jahren und zehn Monaten Jugendstrafe verurteilt. Auch sein Opfer erlitt schwere Kopfverletzungen.

Jugendliche Gewalt in Bahnhöfen

November 2011: Zwei Unbekannte schlagen eine 23 Jahre alte Frau auf dem U-Bahnhof Hermannplatz in Berlin-Neukölln zusammen und verletzen sie schwer. Sie stehlen ihr Handy und flüchten.

April 2011 : Im Berliner U-Bahnhof Friedrichstraße tritt ein 18-Jähriger auf den Kopf eines 29-Jährigen ein. Er stellt sich kurz nach der Tat, ebenso sein gleichaltriger Begleiter. Im September wird der Haupttäter zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilt, die Verteidigung legt Revision ein.

Februar 2011: Im Berliner U-Bahnhof Hansaplatz schlagen fünf bis sechs Jugendliche und Männer einen Obdachlosen krankenhausreif. Sie rauben ihm Zigaretten, Weinflaschen und einen Schlafsack. Die Täter können flüchten.

Mai 2010: Eine Gruppe Jugendlicher gerät im Hamburger S-Bahnhof Jungfernstieg mit einem 19-Jährigen in Streit. Ein 16-Jähriger tötet den jungen Mann mit einem Stich ins Herz. Im Dezember wird er wegen Totschlags zu sechs Jahren Haft verurteilt. Zwei Mitangeklagte werden wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Woche Jugendarrest beziehungsweise einer Arbeitsauflage verurteilt. Das Gericht bewertet die Tat als „vollkommen grundlos“.

Februar 2010: Vier angetrunkene 16-Jährige prügeln auf dem Hauptbahnhof im westfälischen Hagen einen 33 Jahre alten Mann krankenhausreif. Sie treten und schlagen noch auf ihr Opfer ein, als der Mann schon am Boden liegt. Die Jugendlichen sagen später, sie hatten sich „angemacht“ gefühlt, weil der 33-Jährige sie auf die Gefahren ihrer Bahnsteig-Rangeleien aufmerksam gemacht hatte. (dpa)