Innenminister und Polizei sehen die Verantwortung vor allem bei den Organisatoren - die schieben die Schuld jedoch auf die Polizei.

Duisburg. Nach der Katastrophe bei der Duisburger Loveparade mit 21 Toten ist der Streit über die Verantwortlichen voll entbrannt. Innenminister Ralf Jäger (SPD) machte am Mittwoch dem Veranstalter Lopavent Vorwürfe. Er verwies auf den Bericht des Duisburger Polizeipräsidiums. Darin heißt es, die Organisatoren rund um den Fitnessunternehmer Rainer Schaller hätten Absprachen nicht eingehalten, wie der nordrhein-westfälische Polizeiinspekteur Dieter Wehe auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Minister berichtete.

So sei wegen des großen Besucheransturms vereinbart worden, die Eingangsschleusen, für die Ordner der Veranstalter verantwortlich waren, zu sperren. Dies sei jedoch nicht geschehen, so dass immer weitere Menschen in den engen Tunnel und auf die Rampe zum Festivalgelände drängten. Diese Darstellung steht im krassen Gegensatz zu Schallers Schilderungen. Der Veranstalter hatte erklärt, die Einsatzleitung der Polizei habe die Anweisung gegeben, alle Schleusen vor einem der Tunneleingänge am späteren Unglücksort zu öffnen.

In einer Erklärung Schallers für die Presse hieß es jetzt: "Die auf der Pressekonferenz ... vorgetragenen vorläufigen Ermittlungsergebnisse zu den Abläufen der Ereignisse werfen viele Fragen auf, die wir nicht kurzfristig mit Medienstatements beantworten wollen. ... Erstmals wurden heute auf der Pressekonferenz des Innenministeriums auch konkrete Vorwürfe erhoben, die ebenfalls sehr genau geprüft werden müssen."

Die Reaktion von Rainer Schaller im Wortlaut

Laut Polizei hatte sich der Druck auf Tunnel und Rampe zusätzlich verstärkt, als sich Menschen durch vorübergehende Lücken in Absperrzäunen zwängten. Zugleich habe der Veranstalter anders als angekündigt nicht dafür gesorgt, dass die Menschen, die bereits das Festivalgelände erreicht hatten, weitergingen und damit den Zugang für die folgenden Menschenmassen freimachten.

Und die Vorwürfe gehen noch weiter: Die Polizei habe über eine Stunde vor dem Unglück gefordert, eine weitere Zugangsrampe zum Festivalgelände zu öffnen, um die heranströmenden Menschenmassen bewältigen zu können, sagt Wehe. Dafür habe es aber keine ausreichende Zahl an Ordnern gegeben. So wie bereits am Morgen an den Eingangsschleusen.

Auch in den Medien werden immer mehr Details bekannt, was sich vor und während der Großveranstaltung abgespielt haben soll. So berichten mehrere Zeitungen unter Berufung auf entsprechende Protokolle, dass es rund vier Wochen vor der Loveparade während einer Sitzung der Verantwortlichen zu einem Streit über das Sicherheitskonzept gekommen sei. Der Sicherheitsdezernent der Stadt Duisburg, Wolfgang Rabe, habe dabei Forderungen der städtischen Genehmigungsbehörde vom Tisch gewischt, wonach der Veranstalter ein taugliches Konzept vorlegen müsse.

Polizei und Feuerwehr sollen Medienberichten zufolge zudem zum Teil bereits Monate vor der Loveparade Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) schriftlich ihre Sicherheitsbedenken mitgeteilt haben. Ihrer Ansicht nach soll das Festivalgelände um den alten Güterbahnhof zu klein gewesen sein. Außerdem kritisierten sie offenbar, dass nur ein Ein- und Ausgang vorgesehen war, der überdies sehr eng war.

Sauerland will jedoch von den Warnungen nichts gewusst haben. Rücktrittsforderungen aus Politik und Bevölkerung lehnt der 55-Jährige bislang ab – zu einem hohen Preis: Er erhielt bereits Morddrohungen und steht unter Polizeischutz. Seine Teilnahme an der Trauerfeier am Samstag hat er abgesagt. Er wolle „die Gefühle der Angehörigen nicht verletzen und mit seiner Anwesenheit nicht provozieren“, sagte ein Sprecher der Stadtverwaltung.

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Einer der führenden deutschen Konzertveranstalter, Marek Lieberberg, bringt auf den Punkt, was viele denken: „Befruchtet haben sich die Geltungssucht der Lokalpolitik, die Profitsucht der Veranstalter.“ Gleichzeitig gibt es Hinweise, dass auch von außen Druck auf die Stadt ausgeübt worden sein könnte, nach der Absage der Loveparade im vergangenen Jahr und gerade auch im Jahr der Kulturhauptstadt die Großveranstaltung durchzuziehen.

Welche Darstellungen, Vorwürfe und Mutmaßungen richtig sind, werden die Ermittlungsbehörden in den kommenden Wochen und Monaten untersuchen. Mit einer ersten falschen Darstellung wurde jedoch bereits aufgeräumt. So sollen mindestens 20 der 21 jungen Menschen, die durch die Katastrophe bei der Loveparade ihr Leben verloren, an Brustquetschungen gestorben sein und nicht mehrheitlich – wie von den Verantwortlichen zuvor angegeben – durch Stürze.

Diese Erkenntnis ist wesentlich mehr als ein Detail der Katastrophe. Sie zeigt, dass die Menschen nicht leichtfertig Treppen heraufklettern, die dafür nicht bestimmt waren. Vielmehr hat die Obduktion bestätigt, dass es zumindest an der Unglücksstelle viel zu eng für die vielen Menschen war, die einfach nur feiern wollten.