Drohung: Daschner beruft sich auf Polizeigesetz, sein Kommissar will den Entführer gar nicht genötigt haben

Frankfurt. Wolfgang Daschner (61) wählt sofort große, schlichte Worte: "Hohes Gericht, wir wollten und wir mußten das Leben Jakobs retten." Der Mann fühlt sich im Recht, das wird schon in den ersten Minuten der Aussage klar, die er zu Prozeßbeginn vor dem Landgericht Frankfurt abgibt.

"Ich habe zu keinem Zeitpunkt die Androhung oder Anwendung von ,Folter' veranlaßt."

Gleich darauf schildert er die Vorgänge nach der Entführung des Bankierssohns Jakob von Metzler (» 11), die eine beispiellose Diskussion um die Grenzen staatlichen Handelns angesichts schwerer Verbrechen ausgelöst hatten. Gegen den Widerstand anderer hochrangiger Polizisten hatte Daschner, damals Vize-Chef des Frankfurter Polizeipräsidiums, durchgesetzt, daß der Jura-Student Magnus Gäfgen mit Gewalt bedroht werden sollte.

Schmerzen, wie er sie noch nie erlebt hatte, sollten den notorischen Lügner zur Wahrheit zwingen. Schmerzen, die ihm - laut Anklage - ein Kampfsportler zufügen sollte. So hofften die verzweifelten Polizisten, daß der als Entführer und später auch als Mörder überführte Gäfgen sie an am 1. Oktober 2002 zu dem vielleicht noch lebenden Kind führe.

Auf dem üblichen Berichtsweg will Daschner am Vorabend einen Verantwortlichen im Innenministerium über seine Pläne informiert haben. Einen Namen nennt der Angeklagte auch vor Gericht nicht. Für sein Handeln fühle er sich allein verantwortlich, sagt er und bedauert, daß der Vernehmungsbeamte, der Gäfgen verhört hatte, mit in die Sache hineingezogen worden sei. Dem mitangeklagten 51jährigen Kriminalhauptkommissar wird Nötigung zur Last gelegt. Er behauptet, im Gespräch mit Daschner sei "von Folter oder ähnlich schwerwiegenden Maßnahmen nie die Rede" gewesen. Er habe allein mit Gäfgen gesprochen, an sein Gewissen appelliert und "dies gestisch unterstützt". Nach wenigen Minuten habe Gäfgen das Versteck der Leiche genannt. Als die Drohung bekannt wurde, legte der Polizei-Vize, der seine Anordnung selbst in einem Aktenvermerk dokumentiert hatte, in Interviews noch Details nach, wie man jemanden ohne Verletzungen zum Sprechen bringen könne. Heute spricht Daschner statt von Folter lieber von "unmittelbarem Zwang", mit dem jeder Schutzmann einen Randalierer ruhigstellen oder einen Betrunkenen zur Blutprobe zwingen kann. "Es war für mich nicht vorstellbar, die Vollendung eines Mordes an einem entführten Kind unter staatlicher Aufsicht zuzulassen", sagt der verheiratete Vater zweier Adoptivkinder. Wer das tue, mache sich sogar der unterlassenen Hilfeleistung oder der Tötung durch Unterlassen schuldig. "Ein bißchen Folter", so warnt die Gewerkschaft der Polizei (GdP), "kann es nicht geben, weil dann die Dämme des Rechtsstaats brechen". Für die hessische Landesregierung, deren Chef Roland Koch (CDU) stets menschliches Verständnis für den Polizeiführer betont hat, ist Daschner hingegen längst zum Problemfall geworden. Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth sagte, das international geltende Folterverbot müsse auch im Fall Daschner gelten. Das Urteil will die Richterin Bärbel Stock am 20. Dezember verkünden - nach acht Verhandlungstagen.