Der DFB wertete Paolos Guerreros Foul als Tätlichkeit und beantragte eine Acht-Spiele-Sperre. Frank Arnesen legt Einspruch ein.

Hamburg. Das Telefax mit dem Briefkopf des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) traf am Montagvormittag früher als erwartet auf der Geschäftsstelle des HSV ein. Und das dreiseitige Schreiben, das von Robert Weise, dem Abteilungsleiter des DFB-Kontrollausschusses unterschrieben wurde, ließ keinen Raum für Interpretationen. "Unter Berücksichtigung der für und gegen Spieler Guerrero sprechenden Strafzumessungsgesichtspunkte beantragt der Kontrollausschuss des DFB, gegen Spieler Guerrero eine Sperre für sieben Wochen bis einschließlich 22. April 2012 auszusprechen, wobei in diesem Zeitraum acht Meisterschaftsspiele des Hamburger SV in der Bundesliga fallen", stand da etwas verklausuliert, aber in der Sache deutlich auf der dritten Seite geschrieben. Im Klartext heißt das, dass Paolo Guerrero nach seinem rüden Foul an Stuttgarts Torhüter Sven Ulreich dem HSV wohl bis kurz vor Saisonende fehlen wird.

"Ich bin sehr enttäuscht von dieser Entscheidung. Für mich ist es nicht nachvollziehbar, warum andere Spieler wie Berlins Andreas Ottl für vergleichbare Vergehen nur mit drei Spielen bestraft wurden", sagte Sportchef Frank Arnesen, der nach intensiven Beratungen mit seinen Vorstandskollegen entschied, fristgerecht vor 14 Uhr Einspruch gegen den Antrag einzulegen. "Ohne Frage war es ein böses Foul", sagte Arnesen, "aber Paolo ist ansonsten ein guter Junge. Er hat sich in den vergangen Monaten vorbildlich verhalten."

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Tatsächlich betonte auch der DFB in seiner schriftlichen Begründung, dass Guerreros Flaschenwurf vor zwei Jahren keinen Einfluss auf die Bewertung des Falls hatte: "Die sportgerichtliche Vorbelastung des Spielers Guerrero aus der Spielzeit 2009/2010 wurde gemäß der Spruchpraxis der DFB-Rechtsinstanzen nicht straferschwerend berücksichtigt." Für die Härte der Strafe war entscheidend, dass Guerreros Foul vom Kontrollausschuss als Tätlichkeit und nicht wie im Fall Ottls als grobes Foulspiel bewertet wurde: "Spieler Guerrero ist von hinten kommend mit dem gestreckten rechten Bein und der offenen Sohle voraus in den Stuttgarter Torwart Ulreich gesprungen." Zugunsten des Südamerikaners, dessen Nachname übersetzt "der Krieger" bedeutet, berücksichtigten Weise und Co., dass sich Ulreich dabei "glücklicherweise keine schwerwiegende Verletzung" zugezogen habe.

Hamburgs Sportchef ließ es sich nach den aus seiner Sicht enttäuschenden Neuigkeiten nicht nehmen, Guerrero persönlich am Telefon über das verhängte Strafmaß zu informieren. "Paolo war sehr niedergeschlagen", sagte der Däne, der bis Mittwoch mit einem erneuten Fax des DFB rechnet. Sollte der HSV-Einspruch wie erwartet abgelehnt werden, könnten sich die Hamburger überlegen, ob sie es auf eine mündliche Verhandlung in Frankfurt ankommen lassen. Guerrero selbst denkt weniger an Einspruch denn an Reue. "Ich akzeptiere die Strafe und bin froh, dass sich Sven Ulreich nicht verletzt hat. Ich möchte noch mal betonen, dass mir das Foul sehr leid tut", sagte der geläuterte Peruaner, der sich gestern auch Ulreichs Handynummer besorgte, um sich persönlich am Telefon zu entschuldigen.

Eine offizielle Entschuldigung des Vereins aufgrund des unangemessenen Verhaltens einiger Fans, die Stuttgarts Torhüter nach Guerreros Foul am Sonnabend lautstark beschimpft hatten, wird es dagegen nicht geben. "Eine Entschuldigung wäre wohl etwas überzogen, weil nicht jeder im Stadion die Schwere des Fouls sofort erkennen konnte", sagte Arnesens Vorstandskollege Oliver Scheel, "die Emotionen waren durch das Spielergebnis bereits sehr aufgeheizt, obwohl das eigentlich keine Ausrede sein darf." Auch Supporterschef Ralf Bednarek erklärte das unangebrachte Fanverhalten mit der eingeschränkten Sicht. "Im Stadion war die Schwere des Fouls nicht sofort zu erkennen. Ich bin mir aber sicher, dass sich alle, die Ulreich ausgepfiffen oder beschimpft haben, dies im Nachhinein gerne rückgängig gemacht hätten."

Mehr als über das Verhalten der eigenen Fans ärgerte sich Arnesen gestern noch immer über mehrere Kommentare einiger Bundesligagrößen, die öffentlich eine drakonische Strafe für Guerrero gefordert hatten. So hatte DFB-Sportdirektor Matthias Sammer Guerreros Foul bei "Sky90" als "unverzeihlichen Fehler" bezeichnet, Dortmunds Trainer Jürgen Klopp hatte im Sport1-"Doppelpass" eine "richtige Strafe" gefordert, dabei sogar von einer "wahnsinnigen Aktion" gesprochen. "In der Bundesliga sollte man sich kollegial verhalten. Ich kann nicht verstehen, dass Trainer, die nichts mit dem Vorfall zu tun haben, sich zu Wort melden", kritisierte Arnesen, der aber abseits von allen theoretischen Nebenkriegsschauplätzen am meisten den ganz praktischen Ausfall Guerreros bedauert: "Sportlich war Paolo in den vergangenen Wochen unser Bester."

Trotz der Entscheidung, mit Mladen Petric nicht zu verlängern (siehe Text links), erhofft sich Arnesen besonders von dem Kroaten eine Leistungssteigerung: "Ich erwarte von den Führungsspielern, dass sie immer vorn dabei sind. Ich hoffe, dass Mladen uns in dieser Situation zeigt, dass er uns helfen kann." Neben dem 31 Jahre alten Torjäger dürfen sich Heung-Min Son und vor allem Tolgay Arslan um die Rolle des Guerrero-Vertreters bewerben. Arslans Fußverletzung stellte sich nach einer ärztlichen Untersuchung als harmlos heraus. Aus HSV-Sicht war das gestern eine der ganz wenigen guten Nachrichten des Tages.