Seit 2001 haben deutsche Herrenmannschaften keinen Titel mehr gewonnen. Die Bayern-Spieler drohen als Generation Vize in die Geschichte einzugehen.

Warschau. Es war fünf vor zwölf, als Mario Balotelli mit überdimensionalen Kopfhörern, einem etwas zu klein geratenen Louis-Vuitton-Täschchen und einem breitem Grinsen durch die Katakomben des Warschauer Nationalstadions schlurfte. Während 20 Meter weiter um 23.55 Uhr der Bus der deutschen Nationalmannschaft den Ort des Geschehens gerade verließ, musste "Super Mario" den italienischen Journalisten noch mal schildern, wie man als Stürmer zwei derartige Geniestreiche wie beim 2:1-Sieg der Squadra Azzurra zustande bringt. "Ich bin einfach ein Sieger", sagte das Enfant terrible der Italiener, "ich bin ein geborener Sieger."

Nun ist es müßig, geradezu grotesk, ernsthaft darüber zu philosophieren, ob Erfolg tatsächlich biologisch erklärbar ist. Dennoch wird das berühmt-berüchtigte Sieger-Gen seit Jahrzehnten in einigen Körpern von Fußballprofis vermutet - vor allem in denen des deutschen Rekordmeisters FC Bayern München. Doch nicht nur dort scheint es abhanden gekommen zu sein, sondern in ganz Fußball-Deutschland. Seit 2001 hecheln deutsche Männermannschaften internationalen Titeln hinterher. Glänzen konnten in der vergangenen Dekade nur der Nachwuchs und die Frauen: Während die U21- ebenso wie U17-Junioren 2009 die Europameisterschaft feiern durften, gewannen die Frauen 2003 und 2007 die Weltmeisterschaft und wurden siebenmal Europameister, zuletzt 2009.

Was aber bleibt von der EM? Es gab einige Enttäuschte bei dieser EM, wie zum Beispiel Per Mertesacker, der seinen Stammplatz langfristig an Mats Hummels verloren haben dürfte. Auch Lukas Podolski spielte eine verheerende EM-Endrunde. Der Kölner, der zur kommenden Saison zu Arsenal London wechselt, kam in Polen und in der Ukraine wohl nur noch deshalb zum Einsatz, weil er als Lieblingsschüler Joachim Löws Bonuszeit erhielt. In England wird er sich erheblich steigern müssen, will er sich gegen die starke Konkurrenz (Schürrle, Götze, Reus) behaupten.

+++ Joachim Löw: Der entzauberte Bundestrainer +++

Wer jedoch den Verlierer-Cup "gewann", sind unstreitig die acht bei der EM eingesetzten Spieler des FC Bayern, für die eine Saison des Grauens mit einem schmerzhaften Schlussakt endete. Ob in der Bundesliga, dem DFB-Pokal, der Champions League und jetzt bei der EM - in allen vier Wettbewerben war ein Titelgewinn zum Greifen nah. Aber fünf Wochen nach dem Drama beim "Finale dahoam" gegen den FC Chelsea London standen die Spieler wieder mit leeren Händen da. Mario Gomez erkannte schon so etwas wie System dahinter: "Jedes Mal, wenn wir knapp davor sind, wird es nichts."

Mit echten Bayern wie Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger sollte eine neue, "goldene Generation" nach der Oliver-Kahn-Ära entstehen. Vor dem Halbfinale glaubte Lahm noch, man sei dem Titel so nahe "wie noch nie". Zugleich sei er sich mit Blick auf die deutsche Fußballhistorie bewusst, "dass nur Titel zählen". Daran wollte sich der DFB-Kapitän messen lassen.

Unterm Strich lautet die Bilanz Lahms nun: Er kann nur zweite und dritte Plätze. Zwei verlorene Champions-League-Finals mit den Bayern, und mit der Nationalmannschaft einmal WM-Dritter 2006, Vizeeuropameister 2008, WM-Dritter 2010 und nun Halbfinalist. Gehen die Bayern als die Generation Vize in die Geschichte ein?

+++ Magath-Kolumne: Der Mannschaft fehlte Aggressivität +++

"Bei einem Turnier gibt es nur den Sieger", gestand Podolski, auch ein früherer Bayer, nach dem verlorenen Italien-Spiel ein. "Nur der Europameister kann am Ende zufrieden sein. Die Enttäuschung ist groß, aber im Sport muss man mit Rückschlägen umgehen."

Doch diese Fähigkeit war in Warschau nicht bei allen Spielern gleich ausgeprägt. Akteure wie Thomas Müller, Bastian Schweinsteiger oder Mesut Özil zogen es vor, nach dem Abpfiff wortlos die Mixed Zone zu passieren. Welch ein krasser Gegensatz zum Portugiesen Cristiano Ronaldo, der sich nach dem unglücklichen Scheitern im Halbfinale gegen Spanien der Öffentlichkeit stellte.

Mit Blick auf die gesteigerte Spielkultur und die 15 Pflichtspielsiege in den vergangenen zwei Jahren waren die Ansprüche enorm gestiegen. Ein Mario Gomez allerdings konnte, als es darauf ankam, keine internationale Klasse abrufen. Nachdem er bereits in der Liga gegen die Top fünf nicht getroffen hatte, blieb er auch bei der EM in der K.-o.-Runde torlos. Fast peinlich, dass er mit seinen drei Treffern (plus einer Torvorlage) in der Gruppenphase sogar noch Torschützenkönig werden kann.

+++ Debatte: Gut, dass der Rausch verflogen ist +++

Hoffnung machen derzeit andere Profis wie Mats Hummels und Mario Götze, die mit Dortmund schon Titel gesammelt haben; auch Sami Khedira und Mesut Özil, die bei Real Madrid in den kommenden Jahren weiter reifen werden. Und auch ein Jungbayer: Manuel Neuer, der nicht nur sportlich ein Großer werden kann, sondern auch eine starke Persönlichkeit ist ...