Tiflis. Der 30 Jahre alte Patrick Milchraum spielte als bisher einziger deutscher Fußballprofi in Georgien und wurde dort 2013 sogar Meister.

Von welcher Liga träumen junge Fußballer, in der sie später einmal kicken wollen? Der englischen Premier League oder spanischen Primera División? Ganz sicher. Eine Karriere in der Umaghlessi Liga schwebte auch Patrick Milchraum, 30, nicht wirklich vor. Trotzdem war der langjährige Zweitligaspieler in der Saison 2012/2013 erster und bislang einziger deutscher Profi, der in die Erste Liga Georgiens wechselte und je eine Halbserie für den FC Sestaponi sowie Dinamo Tiflis auflief.

In der Hauptstadt, in der am Sonntag (18 Uhr MESZ/RTL) die deutsche Nationalmannschaft um Punkte für die EM-Qualifikation spielt, wurde Milchraum sogar Meister und Pokalsieger. Der 30-jährige Akteur der Stuttgarter Kickers spricht im Abendblatt über …

... seine Motivation, nach Georgien gegangen zu sein:

„Ich wollte schon immer mal im Ausland spielen. Das war nach meiner Station in Karlsruhe gar nicht mehr so einfach, ich kam dort kaum noch zum Einsatz. Dann hat mich aber mein damaliger Teamkollege Alexandre Iaschwili gefragt, ob ich mir nicht Georgien vorstellen könnte.“

... das Abenteuer FC Sestaponi:

„Es ist nicht das klassische Ziel für einen Profi. Aber ich wollte lieber irgendwo um die Meisterschaft spielen, als in der Zweiten Liga zu kicken. Sestaponi war Titelverteidiger, daher habe ich mir Hoffnungen auf den Meistertitel gemacht – nach dem Wechsel zu Dinamo Tiflis hat das ja auch geklappt.“

... die Fußballeuphorie im Kaukasus:

„Die ist eher klein, Rugby ist hier groß und Ringen natürlich. Wenn man sich die Eintrittspreise anschaut, bekommt man die Armut vorgeführt.“

... die Ticketpreise:

„Ach, das sind zwei Euro – jedoch viel Geld für die Georgier. Sestaponi hat ein Stadion, das 8000 Zuschauer fasst. Wenn da mal ein paar Zuschauer hinkamen, war das immer noch stimmungsvoller als in Tiflis, wo 2000 vielleicht zugeschaut haben, aber 55.000 hineinpassen.

... Fußball-Kneipen:

„Die gibt es eher nicht, denn teilweise geht das Niveau in der Ersten Liga verglichen mit Deutschland bis in die Oberliga runter. Das ist nicht so attraktiv. Und manchmal haben wir auch mehr auf einem Sportplatz als in einem Stadion gespielt. Aber in Tiflis gibt es tatsächlich ein Hofbräuhaus. Dort wurde englischer Fußball gezeigt, und auch die Champions League.“

... den Anteil der Profispieler:

„In Tiflis gab es nur Profis. In meiner Mannschaft waren noch sechs Spanier, ein Mazedonier und ein Tscheche. Auch das Trainingsgelände war vom Feinsten. Dinamo hatte allein acht Leute, die sich 24 Stunden nur um die Profimannschaft gekümmert haben.“

... die Herkunft des Geldes dafür:

„Das kommt vom Präsidenten. Roman Pipia ist mit der reichste Mann in Georgien, einer von ein paar Milliardären. Wenn es nicht läuft, zitiert der auch schon mal den Trainer zu sich, und Spieler bekommen kein Geld. Das war bei mir aber nie der Fall.“

... die Ambitionen des früheren Hertha-Kapitäns Lewan Kobiaschwili, der Verbandspräsident werden möchte:

„Er hat auf jeden Fall einen guten Ruf dort und wäre gemeinsam mit Iaschwili und Nationaltrainer Kachaber Zchadadse der richtige Mann, um Professionalität in den Verband zu bringen. Wichtig wird es sein, die Nationalmannschaft nach vorn zu bringen und den Vereinsmannschaften zu helfen, auf ein höheres Niveau zu kommen – nicht nur in Tiflis. Aber dort sollen jetzt auch keine Ausländer mehr spielen, sondern nur junge Georgier.“

... die dafür nötigen Einrichtungen für die Nachwuchsarbeit:

„Tiflis hat eine Jugendakademie, die Cristiano Ronaldo und Andrej Schewtschenko eröffnet haben. Auch die U-Nationalteams sind sogar recht gut. Das Problem ist, dass es nur zwei Mannschaften im Land gibt, bei denen das Niveau passt. Es können also nicht alle Spieler dort unterkommen. Wer eine Chance hat, geht nach Russland oder in die Ukraine. Für viele Familien geht es auch darum, mit dem Jungen Geld zu verdienen. Wenn ein Angebot kommt, sehen viele Eltern das schnelle Geld und achten nicht wie in Deutschland darauf, was Sinn hat.“

... den touristischen Reiz Georgiens und des Kaukasus:

„Meine Familie hat sich sehr wohl gefühlt, die war immer mal wieder für ein, zwei Monate bei mir. Es gibt dort wunderschöne Ecken, eine schöne Altstadt mit super Cafés. Das Wetter ist sehr mild, im Sommer scheint jeden Tag die Sonne. Meine Freundin sagte mehrmals, dass sie Tiflis vermisst. Wenn es am Meer läge, würde ich jedes Jahr dort Urlaub machen.“