Jürgen Klinsmann sollte beim Fußball-Rekordmeister für einen positiven Image-Wechsel sorgen. Jetzt kämpft der “Liebling der Nation“ um seinen eigenen Ruf. Warum der 44-Jährige scheitern musste. Ein Porträt.

Jürgen Klinsmann ist ein Kämpfer. Das sagt er von sich selbst, das hat ihn immer ausgezeichnet, im Leben und auf dem Fußballplatz. Sein Talent war mäßig, sein Wille unbändig. Stur nannten ihn seine Wegbegleiter, von denen nur wenige seine Freunde wurden. Klinsmann ging stets eigene Wege, abseits der ausgetretenen Pfade, das Männerbündlerische der Branche blieb ihm suspekt. Statussymbole verabscheute er. Ein VW-Käfer durfte es zur Fortbewegung sein, ein Rucksack für Reisen. Lang hielt es ihn selten an einem Ort. Er lernte auf seinen Stationen durch Europa Italienisch, Französisch und Englisch, bis er sich in Kalifornien mit seiner amerikanischen Ehefrau Debbie niederließ. Die Familie hat zwei Kinder.

Mag es Neugier gewesen sein, die ihn durch die Welt trieb, die Suche nach sich selbst oder die Flucht davor. Jürgen Klinsmann hatte alle diese Fragen weggelächelt, er, der glänzende Verkäufer, dem es nie an Ausstrahlung mangelte, zuletzt aber an Ausbildung. Seinen Trainerschein erwarb er im Jahr 2000 bei einem Sonderlehrgang des Deutschen Fußball-Bundes in sechs Wochen. Jetzt musste er die erste große Niederlage seiner Karriere einstecken. Der FC Bayern München beendete die Zusammenarbeit mit dem Trainer Klinsmann nach nur zehn Monaten. Die Abfindung wird ihn trösten. Sie soll rund zehn Millionen Euro betragen. Für den Fall eines Rausschmisses hatte sich Klinsmann bei Unterschrift des Vertrages eine Extrazahlung ausbedungen. Sein Verhandlungsgeschick gilt als legendär.

Um 11.29 Uhr, als er wortlos mit seinem Großraum-Dienstwagen vom Klubgelände an der Säbener Straße fortbrauste, war das "Projekt Klinsmann" beendet. Im Büro des Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge hatte der 44-Jährige zuvor sein Entlassungsgespräch geführt. Als später Manager Uli Hoeneß darüber referierte, dass die Mannschaft des deutschen Rekordmeisters jetzt einen Fußballlehrer brauche, kam dies einem vernichtenden Urteil des "Lieblings der Nation" gleich. Klinsmann, dieser ewig junge Typ mit dem Lausbuben-Lächeln, der als dynamischer Motivator Fußball-Deutschland bei der WM 2006 ein Sommermärchen bescherte, war in diesem Moment nicht nur bei den Bayern gescheitert. Sein Ruf, den er sich auch als Weltklassestürmer aufgebaut hatte, scheint nachhaltig geschädigt. Er wird um ihn kämpfen müssen.

Die Geschichte eines Missverständnisses begann im Dezember 2007. Als die Bayern Klinsmann verpflichteten, waren sie in Panik. Ottmar Hitzfeld hatte seinen Abschied zum Saisonende verkündet, international renommierte Fachkräfte wie Arsene Wenger vom FC Arsenal London gab der Markt nicht her. Bayern München gilt unter den Toptrainern nicht als erste Adresse. Stuttgarts Meistercoach Armin Veh stand deshalb auf der Wunschliste von Manager Hoeneß ganz oben. Der VfB verweigerte die Freigabe. Da bot sich Klinsmann an.

Der ehemalige Bundestrainer, der Märchenprinz, stand für Aufbruch, Innovationen, für Fußball 2.0. Mit ihm wollten die Bayern Mut demonstrieren, ein Zeichen setzen, neue Wege gehen. Und sie konnten zeigen, dass sie gewillt waren, über ihren Schatten zu springen. Klinsmann war 1997 als Spieler von den Bayern im Unfrieden geschieden, und auch als Nationaltrainer war sein Verhältnis zu den Bossen belastet. Bayern-Präsident Franz Beckenbauer warf ihm den Boykott einer Tagung im Frühjahr 2006 vor, als fast alle Trainer der 32 WM-Teilnehmer nach Deutschland reisten, nur Klinsmann in seiner Wahlheimat Kalifornien blieb. Und die Degradierung Oliver Kahns zur Nummer zwei im Tor der deutschen Auswahl, den Zeitpunkt dazu, mitten im Meisterschaftskampf der Bundesliga, nahmen ihm Hoeneß und Rummenigge übel. Das alles aber schien vergessen, als Hoeneß und Rummenigge die Chance sahen, mit dem Engagement Klinsmanns auch einen Imagewandel des FC Bayern einzuleiten.

Die Verheißungen waren gewaltig bei seinem Amtsantritt. Jeden einzelnen Fußballer wolle er jeden Tag ein bisschen besser machen: "Wir werden ein Energiefeld aufbauen, das den Spielern viel Spaß machen wird", versprach Klinsmann. Doch der Trainerneuling, der nie eine Vereinsmannschaft geleitet hatte, erlebte schnell, wie schwer es ist, am Computer erstellte "Business-Pläne" in der täglichen Arbeit umzusetzen - und wie vielschichtig das permanente Führen einer Mannschaft ist, die Motivation eines Teams über die Höhen und Tiefen einer langen Saison. "Jürgen wollte Rom in zwei Monaten erbauen. Das ging nicht", stellte Hoeneß im vergangenen Winter fest.

Klinsmann galt bei den Bayern zu diesem Zeitpunkt längst als Auslaufmodell. Schon im September, erzählten Insider, hätten sich Topstars wie der Italiener Luca Toni und der Franzose Frank Ribéry wiederholt seinen Anweisungen widersetzt, hätten Termine mit der Mannschaft ausfallen lassen, ohne dass es zu Konsequenzen kam. Klinsmanns Autorität im Team war dahin. Schlimmeres kann einem Trainer nicht passieren. Zu reparieren war der Vertrauensverlust nicht. Klinsmann wurde von den Spielern als Träumer, als Fantast verspottet, der das Geschäft nicht versteht. Es war der Anfang vom Ende.

In erschreckend entlarvender Weise hatte schon Sönke Wortmanns Film über die WM 2006 die Defizite Klinsmanns aufgedeckt. Co-Trainer Joachim Löw hatte das fachliche Sagen: Taktik und Einstellung der Mannschaft waren Hoheitsgebiete des heutigen Nationaltrainers. Schon damals wurden mühsam die Unstimmigkeiten mit Spielern wie Michael Ballack oder Bernd Schneider unter Verschluss gehalten. Martin Vasquez, den Klinsmann als Co-Trainer verpflichten durfte, konnte diese Mängel nicht kompensieren. Zudem fehlte dem gebürtigen Mexikaner, der zuvor unter anderem die Frauenmannschaft "San Diego Spirit" trainiert hatte, jede Kenntnis der Bundesliga.

Gescheitert ist Klinsmann auch am Alleinherrscher des FC Bayern: Uli Hoeneß. Trainer hat der Manager stets als Handlanger seiner Pläne empfunden. Wenn etwas in der Mannschaft schieflaufe, würde er es schon richten. Das ist bis heute Hoeneß' Überzeugung. Er versuchte Einfluss zu nehmen, wann immer er konnte, er installierte ein System an Freunden und Zuträgern in der Mannschaft und deren Umfeld. Hoeneß wusste stets über alles Bescheid - und immer mehr als seine Trainer. Die spielten im System FC Bayern nie die dominierende Rolle. Hoeneß hielt die Fäden zusammen, und wenn die Trainer diese Strukturen verstanden, kooperierten sie mit ihm. Jupp Heynckes und Ottmar Hitzfeld wurden seine Freunde, Klinsmann nicht. Aber auch Heynckes und Hitzfeld entließ er vorzeitig; gegen seine Überzeugung, jedoch mit dem Gespür des Machtmenschen, weil Aufsichtsrat und Medien Handeln forderten. Auch gestern zog er die Notbremse.

Zu glauben, ein intelligenter Mann wie Klinsmann könne zeitgleich eine Vereinstrainer-Ausbildung durchlaufen und Erfolge feiern, war ein Systemfehler, den sich Hoeneß ankreiden muss, auch wenn der Manager gestern nachtrat: "Jürgen war angestellt, die Mannschaft so zu trainieren, dass sie Spiele gewinnt. Das ist eine Aufgabe, die nicht unmenschlich ist, ein ganz normaler Fragenkatalog." Und: "Das beste Konzept nützt nichts, wenn nicht irgendwann Ergebnisse kommen." Nicht einmal in dieser Saison an der Tabellenspitze zu stehen und vernichtende Niederlagen wie in der Champions League gegen Barcelona (0:4) oder in der Bundesliga gegen Wolfsburg (1:5) zu kassieren, ließen den Nimbus des über allen thronenden Branchenprimus bröckeln. Das wollte Hoeneß, dessen dunkelrote Gesichtsfarbe den nahen Untergang Klinsmanns ankündigte, nicht länger hinnehmen.

Und Klinsmann? Der geschasste Trainer verabschiedete sich über die Bayern-Homepage von den Fans: "Natürlich bin ich im Moment sehr enttäuscht. Trotzdem möchte ich mich von Herzen beim FC Bayern, seinen Fans, den Trainern, den Spielern und den Mitarbeitern für eine ereignisreiche Zeit bedanken. Wir haben den Grundstein gelegt für die Zukunft. Ich glaube weiter daran, dass die Mannschaft Meister wird." Sätze, die von wenig Erleuchtung zeugen. Einen Grundstein gelegt hat Klinsmann nur dafür, sich als Verlierer fühlen zu dürfen, sollten die von ihm befreiten Bayern-Profis unter Nachfolger Jupp Heynckes den Titel gewinnen.