Hamburg . Die Hamburger starten am Mittwoch gegen Düsseldorf ins Viertelfinale. Dafür rüstet der Eishockeyclub seine medizinische Abteilung auf.

Es ist ein skurriles Szenario, das sich im dritten Stock des modernen Rotklinkerbaus in der Hafencity, vis-à-vis der Elbphilharmonie abspielt. Im Wartezimmer wird mehr über Eishockey gefachsimpelt, als über Krankheiten geklagt. Das „Therapiezentrum Hafencity“ gleicht in diesen Tagen eher einer zweiten Umkleidekabine für die Hamburg Freezers, denn einer Arztpraxis. „Die Jungs geben sich hier wirklich seit dem Trainingsstart Anfang August die Klinke in die Hand. 20 langfristige Verletzungen in einer Saison habe ich noch nie erlebt“, sagt Jan Schilling. Und er muss es wissen. Der 44-Jährige ist der dienstälteste Clubarzt im Hamburger Profisport. Seit 2002 betreut der Orthopäde, der auch für den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und den Deutschen Hockey-Bund arbeitet, die Freezers. Mit Volker Carrero und Timo Steigemann stehen ihm zwei Mediziner zur Seite.

Freezers nutzen in den Play-offs 18.000 Euro teures UItraschallgerät

An Arbeit wird es Schilling und den Kollegen in den kommenden Wochen sicher nicht mangeln. An diesem Mittwoch (19.30 Uhr, O2 World, ServusTV live) starten die Freezers in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) in das Play-off-Viertelfinale gegen die Düsseldorfer EG. Dann wechselt Schillings Arbeitsplatz vom Sandtorhafen hin zum Volkspark. Gemeinsam mit Freezers-Physiotherapeut Stefan Reuter ist der Mediziner für die Versorgung der „Eisschränke“ bei den Spielen zuständig. Für die Play-offs wird mit Robert Felbinger, der bei Schilling in der Hafencity angestellt ist, als Hilfe hinzugezogen. Zum Vergleich: Ligakrösus Red Bull München hat vier festangestellte Physiotherapeuten. Auch technisch rüsten die Freezers für den Kampf um die Meisterschaft auf. Das 18.000 Euro teure Ultraschallgerät aus Schillings Praxis wird bei den Heimspielen in der Arena eingesetzt. Die medizinische Abteilung ist für die Play-offs gerüstet. „Wir sind ein gut eingespieltes Team. Ich denke, ein Grund, warum wir medizinisch so gut aufgestellt sind: Die internen Abläufe. So lassen wir keine Zeit bei der Behandlung verstreichen“, sagt Schilling.

Es war in der Tat auffällig, wie häufig verletzte Profis vor ihrer prognostizierten Rückkehr wieder spielfähig waren. So kehrte beispielsweise Mittelstürmer Garrett Festerling nach seinem Handbruch zwei Wochen früher zurück, als geplant. Nur eines von vielen Beispielen. Zum einen gelten Eishockeyspieler als positiv verrückt, was das Spielen mit Schmerzen angeht, zum anderen haben sich die Freezers seit vier Jahren ein medizinisches Netzwerk aufgebaut, dass sich bewährt hat. Seit 2011 kooperiert der Eishockeyclub mit dem Marienkrankenhaus, wo vor der Saison die von der DEL vorgeschriebenen Medizinchecks (internistisch, orthopädisch, Gehirnfunktion) durchgeführt werden und operative Eingriffe durchgeführt werden. Vor zwei Jahren machte sich Schilling mit einer eigenen Praxis in der HafenCity selbstständig. Dort absolvieren die Rekonvaleszenten ihre Reha und haben die Möglichkeit, sich osteopathisch behandeln zu lassen. Ein Trend, der im Profisport immer mehr Einzug hält. Mit Katrin Weber und Felbinger sind zwei feste Physiotherapeuten für die Freezers-Spieler zuständig. „Bezugspersonen sind wichtig. Die beiden verfügen über viel Kompetenz, gerade bei Reha-Programmen für Eishockeyspieler“, sagt Schilling.

Bei besonders komplizierten Blessuren wie Schulterverletzungen oder Gehirnerschütterungen konsultiert Schilling Spezialisten in ganz Deutschland. So ließ sich Philippe Dupuis nach seiner Kopfverletzung beim Neuropsychologen Gerhard Müller in Würzburg behandeln, Jerome Flaake ließ seinen Labrumabriss in der Schulter in der renommierten ATOS-Klinik in Heidelberg operieren. „Natürlich gebe es auch kompetente Ärzte in Hamburg, die solche Verletzungen behandeln könnten, jedoch versuchen wir Spezialisten, die über viel Erfahrung mit derartigen Verletzungen im Profisport auskennen, mit ins Boot zu holen. Wir wollen optimale medizinische Bedingungen haben“, sagt Schilling.

Vertraglich sind die Freezers-Spieler nicht verpflichtet, sich von Schilling und seinem Team behandeln zu lassen. Auch für die Eishockeyprofis gilt die gesetzlich festgeschriebene freie Arztwahl. Das Vertrauen in den 44-Jährigen ist groß. Kein Spieler lässt sich außerhalb Hamburgs behandeln. In den Arbeitspapieren der Hamburger ist eine Klausel verankert, welche die ärztliche Schweigepflicht teilweise außer Kraft setzt. Durch diesen Passus dürfen Trainer und Medien über die Verletzungen informiert werden.

„Wenn die Jungs woanders hingehen würden, wäre es der Anfang vom Ende. Dann wäre es für mich als Leiter der medizinischen Abteilung unmöglich, alles zu koordinieren. Vertrauen ist ein Grundpfeiler“, sagt Schilling. Das Vertrauen muss aber auch auf Gegenseitigkeit beruhen. In der Vergangenheit gab es bei den Freezers immer mal wieder Probleme mit Medikamenten. Die nordamerikanischen Profis bringen von ihren Hausärzten in Übersee Präparate mit, die in Deutschland auf der Dopingliste stehen. „Wenn es Vorfälle gibt, ist es zumeist Dummheits-Doping, wenn Dinge genommen werden, ohne nachzudenken. Das ist im Eishockey kein strukturelles Doping.“

Bestes Beispiel ist Michael Davies vom Play-off-Gegner Düsseldorf. Der Abwehrspieler, nahm ein Nahrungsergänzungsmittel zu sich, informierte aber nicht die DEG. Am Dienstag hob die Nationale Antidoping Agentur (NADA) die Sperre auf, da der Spieler nur bedingt schuldfähig war. Damit das bei den Freezers nicht passiert, mussten die Profis vor der Saison ein Schriftstück unterschreiben, dass sie nur Mittel einnehmen, die freigegeben werden. „Hundertprozentige Kontrolle gibt es aber nicht. Ich kann und will nicht die Medizinschränke unserer Spieler kontrollieren“, sagt Schilling.