Der Glanz vom Wintermärchen 2007 ist verblasst: Die DHB-Auswahl ist nur Außenseiter. Gastgeber Spanien startet mit Kantersieg.

Granollers. Abwehrriese Oliver Roggisch zitterte, und auch Torhüter Silvio Heinevetter musste sich erstmal an die Bedingungen in der Kältekammer des „Palau d'Esports“ in Granollers gewöhnen. Die niedrigen Hallen-Temperaturen beim Abschlusstraining waren allerdings das einzige Problem am Tag vor dem WM-Auftakt gegen Brasilien am Sonnabend (16 Uhr/ARD) und die zweite Partie gegen Afrikameister Tunesien am Sonntag (17.20 Uhr/ZDF).

Die neu formierte Mannschaft von Bundestrainer Martin Heuberger fühlt sich wohl in der Rolle des Außenseiters. „Wir dürfen nicht vermessen sein, wir spielen nicht um Medaillen. Unser Ziel ist das Achtelfinale“, sagte Heuberger. Der 48-Jährige gab sich am Tag vor seinem zweiten großen Turnier als Bundestrainer entspannt. „Mir ist nicht bange. Der ein oder andere ist zwar etwas nervöser als sonst. Aber man spürt, dass die Mannschaft brennt und jeder dieses große Ziel vor Augen hat“, sagte Heuberger.

Favorit Spanien startet mit Kantersieg

Bereits am Freitagabend hatte Gastgeber Spanien im Eröffnungsspiel seine Titelambitionen eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Vor den Augen des spanischen Kronprinzen Felipe gewannen die Iberer gegen den sechsfachen Afrikameister Algerien mit 27:14 (14:5). Bester Torschütze vor 11.000 Zuschaueren in der „Caja Magica“ in Madrid war Rechtsaußen Victor Tomas mit acht Treffern. Vor allem in der Abwehr zeigte sich der Weltmeister von 2005 bärenstark. Der spanische Torhüter Jose Manuel Sierra wurde als bester Spieler der Partie, die vom deutschen Schiedsrichter-Gespann Lars Geipel und Markus Helbig geleitet wurde, ausgezeichnet.

Beim Deutschen Handballbund (DHB) sind die fetten Jahre hingegen vorbei. Sechs Jahre ist es inzwischen her, dass die deutschen Handballer mit ihrem WM-Titel ein ganzes Land in einen Freudentaumel versetzten und damit ihrer Sportart einen nie dagewesenen Boom bescherte. Doch dem triumphalen Gewinn der Heim-WM folgte der Absturz. 2009 landete die DHB-Auswahl noch auf Platz fünf, vor zwei Jahren reichte es gerade einmal zu Rang elf. Von der glanzvollen Weltmeister-Mannschaft ist nicht mehr viel übrig geblieben. Dominik Klein, Michael Haaß, Roggisch und Carsten Lichtlein sind die einzigen Akteure von damals, die am späten Donnerstagabend im dritten Stock des vornehmen Vier-Sterne-Hotels „Ciutat de Granollers“ ihre Zimmer bezogen. Die übrigen Spieler des glorreichen Teams haben entweder keine Lust mehr oder sind verletzt.

Achtelfinal-Teilnahme für Deutschland ein Muss

Und trotzdem ist die Zielvorgabe - zumindest die offizielle - in diesem Jahr so bescheiden wie niemals zuvor. „Die Qualifikation für das Achtelfinale ist aber ein Muss“, sagte der frühere Bundestrainer Heiner Brand, der als Vater des Wintermärchens von 2007 zur Lichtgestalt des deutschen Handballs aufstieg. Der jetzige DHB-Manager betonte aber auch: „Je besser die Platzierung in der Vorrunde ist, umso besser stehen dort die Chancen. Bei dem Modus ist einiges möglich.“ Und auch der deutsche Delegationsleiter in Granollers und DHB-Vizepräsident Horst Bredemeier erhöhte am Freitag den Druck auf das Team. „Du musst als Erster oder Zweiter in der Gruppe weitergehen, das wäre schon gut“, sagte Bredemeier vor dem Auftakt in der Gruppe A, in der Argentinien, Montenegro und Olympiasieger Frankreich die übrigen Gegner sind.

„Wir haben keine Riesen-Shooter dabei, die aus zehn Metern Tore machen, das wissen wir. Dementsprechend müssen wir spielerisch überzeugen. Und vor allem in der Abwehr“, sagte Heinevetter, der von Heuberger einmal mehr als „Eckpfeiler“ des Teams geadelt wurde. Zudem warnte der Keeper von den Füchsen Berlin noch einmal eindringlich vor den beiden Auftaktgegnern. „Die Brasilianer spielen eine ekelhafte Abwehr, und die Tunesier sind eine der schlimmsten Mannschaften, die es zu spielen gibt“, sagte der von einem Gerstenkorn genesene Heinevetter: „Die versuchen jeden Vorteil auszunutzen, bleiben fünf Minuten liegen, wenn überhaupt nichts ist, sind wehleidig, hauen aber hinten rein wie die Bekloppten. Wir müssen einen kühlen Kopf behalten.“

Die Rahmenbedingungen dafür sind in der katalanischen 60.000-Einwohner-Stadt im Westen Barcelonas bestens. „Ich habe in meiner Karriere noch nie so gute Voraussetzungen bei einer WM vorgefunden. Es passt alles. Wir sind gut gewappnet, jetzt kommt es nur noch auf uns an“, sagte Kapitän Roggisch. Sogar das Klimaproblem in der Halle soll am Spieltag gelöst sein.