Abendblatt-Experte Christian Fitzek schreibt über die Handball-WM, die heute in Spanien beginnt. HSV-Star Mimi Kraus hätte er mitgenommen.

Sehen wir es doch einmal positiv: Die deutschen Handballer können uns bei dieser Weltmeisterschaft nur angenehm überraschen. Denn wenn man sich so umhört, erwartet offenbar niemand von dieser Mannschaft etwas anderes, als dass sie kläglich scheitert. Sollte es wirklich dazu kommen, dann wird es jedenfalls nicht am Erwartungsdruck gelegen haben.

Dabei halte ich es für durchaus angebracht, der Mannschaft einen gewissen Vertrauensvorschuss mit ins Turnier zu geben. Ihn zu spüren ist wichtig, um eine solche Aufgabe unbelastet anzugehen. Es stimmt schon: In unserem aktuellen Kader gibt es keinen Weltklassespieler. Torhüter Silvio Heinevetter bildet da keine Ausnahme, dafür waren seine bisherigen Turnierleistungen einfach zu wechselhaft. Und auf den anderen spielentscheidenden Positionen kann ich keine entscheidenden Verbesserungen erkennen. Unsere Spielmacher Michael Haaß und Martin Strobel haben ihre Stärken - körperliche Präsenz der eine, Schnelligkeit der andere. Ein Spiel auf höchstem Niveau zu lenken gehört leider nicht dazu.

Auch deshalb kommen unsere Kreisläufer viel zu selten ins Spiel. Wobei auch die ihre Schwächen haben. Patrick Wiencek hat zwar viel Talent, darf das beim THW Kiel aber viel zu selten ausspielen. Und Christoph Theuerkauf lässt es in der Deckung an Qualität vermissen. Er ist damit gewissermaßen der Gegenentwurf zu Oliver Roggisch.

Das wirft eine entscheidende Frage auf, die Bundestrainer Martin Heuberger möglichst früh beantwortet haben sollte: Wer kann die Mannschaft durch das Turnier führen? Das Anforderungsprofil kann Roggisch als reiner Abwehrspieler nicht erfüllen, auch wenn ihn Heuberger aufgrund seiner Erfahrung zum Kapitän ernannt hat. In unserem Rückraum aber wimmelt es nur so von Indianern. Einen Häuptling vermag ich bisher nicht zu erkennen.

Auch wenn es schwer fällt: Wir müssen uns wohl mit dem Gedanken anfreunden, dass der deutsche Handball nach der Generation Gold mit Spielern wie Baur, Stephan, Schwarzer, Kretzschmar, Fritz und Zerbe im Mittelmaß angekommen ist. Es ist müßig darüber zu klagen, dass es in Deutschland durchaus höher veranlagte Spieler gäbe als die, die uns in Spanien vertreten. Hätte ich entscheiden dürfen, wäre Michael Kraus vom HSV dabei. Ihn immer wieder auf die Waagschale zu legen und für zu leicht zu befinden wird einem Spieler seiner Klasse nicht gerecht.

Ich kann die Kritik an Kraus' Einstellung zwar verstehen. Aber Mimi ist einer der wenigen, die auch aus dem Nichts einmal ein Tor werfen können. Nur im Mainstream zu schwimmen führt nicht unbedingt ans Ziel. Man braucht dafür auch schräge Vögel.

Christian Zeitz wäre noch so einer. Er wird seine Gründe haben, warum er auf die Nationalmannschaft verzichtet, genau wie Holger Glandorf. Kommen Sie mir bitte nicht mit Ehre! Das müssen sich so verdiente Spieler nicht vorhalten lassen. Seien wir ehrlich: Handball ist ein Geschäft geworden, in dem es ums Geld geht. Das gilt für die Verbände, für die Vereine und selbstverständlich auch für die Spieler. Es ist nur legitim, wenn sie in einem gewissen Alter zu rechnen anfangen: Will ich die Zeit, die mir als Profi bleibt, aufs Spiel setzen? Oder die Belastung und damit das Verletzungsrisiko minimieren, indem ich mich auf meinen Verein beschränke, der ja mein Gehalt bezahlt?

Ich kann es niemandem übel nehmen, so zu denken. Nur sollten diese Spieler nicht die Kehrseite der Medaille verkennen. Es ist die Nationalmannschaft, die letztlich ihren Marktwert bestimmt. Und wer eine Reduzierung des Spielkalenders fordert, muss auch bereit sein, eine Reduzierung seines Gehalts hinzunehmen. Denn das wäre die Folge, wenn den Vereinen Einnahmen entgingen. Es wäre an der Zeit, dass sich alle Beteiligten einmal zusammensetzen und um eine Lösung dieses Problems bemühen.

Natürlich ist auch die Frage erlaubt, ob eine Weltmeisterschaft fünf Monate nach den Olympischen Spielen wünschenswert ist. Uns, die wir nicht für London qualifiziert waren, kommt sie vielleicht gelegener als anderen Nationen. Sie ist für einige die Chance, sich zu beweisen. Das gilt in erster Linie für die sechs Turnierdebütanten. Rechtsaußen Tobias Reichmann ist auf dem Weg zu einem Klassemann, auch Linksaußen Kevin Schmidt und der Halblinke Steffen Fäth haben sich gut entwickelt.

Entscheidend wird sein, dass die Mannschaft zu einer Einheit zusammenwächst und auch das Herz hat, bei den Gegenstößen konsequent nach vorn zu laufen. Bei der Europameisterschaft vor einem Jahr fehlte uns dieser Mut. Aber er unterscheidet ein gutes Team letztlich von einem mittelmäßigen. Aus dem Positionsangriff heraus werden wir es schwer haben. Dafür fehlen uns einfach Typen wie Lars Kaufmann, die den Ball auch mal aus zehn Metern ins Tor wuchten können. Trotzdem: Das Viertelfinale sollte drin sein.

Bliebe eine Frage: Wer wird Weltmeister? Oder anders: Wer soll die Franzosen stoppen? Ihre goldene Generation scheint auch nach fünf großen Titeln binnen sechs Jahren noch nicht genug zu haben. Schade nur, dass nach dem Rücktritt des früheren HSV-Kapitäns Guillaume Gille auch sein Bruder Bertrand aufgrund einer Verletzung nicht dabei sein kann.

Den Kroaten würde ich nach den vielen Medaillen einmal wieder eine goldene gönnen, schon weil sie mit Igor Vori, Blazenko Lackovic und Domagoj Duvnjak drei Hamburger im Kader haben. Europameister Dänemark mit HSVer Hans Lindberg oder Spanien als Gastgeber sind auch vorn zu erwarten.

Lassen wir uns einfach überraschen! Und bitte: positiv.