Freezers: Heute startet das beste Eishockey-Team, das Hamburg je hatte - der Mann, der es formte, gibt sich selbst gerne hart. Dass Boris Capla zu den Fleißigsten und Erfolgreichsten seiner Zunft gehört, hat ihm Respekt eingebracht. Doch Emotionen liegen ihm fern: “Ich bin ein Neutrum . . . “

Hamburg. Wenn Boris Capla (43) in seiner Doppelhaushälfte in Poppenbüttel auf der Couch sitzt, schaut er auf seinen eigenen Grabstein. Die Granitplatte, die derzeit als Wohnzimmertisch dient, soll einmal auf seiner letzten Ruhestätte stehen. Damit der Stein ein Unikat ist, wenn er irgendwann zum Einsatz kommt, bittet Capla seine Freunde, sich auf dem Tisch zu verewigen. "Der Grabstein soll eine Geschichte über mich erzählen", sagt er.

Es gehört ein großer Schuss Sarkasmus dazu, sich in einer solchen Weise mit dem eigenen Tod auseinanderzusetzen. Vor allem, weil Capla gerade dabei ist, der Geschichte seines Lebens eine vielleicht entscheidende Wendung zu geben. Wenn die Hamburg Freezers, deren Geschäftsführer er ist, heute in Augsburg in ihre fünfte Saison in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) starten, dann ist das auch für ihn der Beginn einer neuen Zeitrechnung. Erstmals nämlich hat er das Gefühl, dass es "seine Mannschaft" ist, die um den Titel kämpft. Manager Max Fedra, der in der Anfangszeit in Hamburg für den sportlichen Bereich zuständig war, arbeitet längst in Augsburg. Sportdirektor Chris Reynolds musste vor der vergangenen Saison gehen, und Trainer Mike Schmidt, der als einziger Verantwortlicher neben Capla sportliche Kompetenzen hat, gilt als loyaler Teamplayer. "Welcome on Planet Ice", heißt der Werbeslogan der Freezers, "Welcome on Planet Capla" würde mittlerweile ebenso passen.

Viele Experten halten das neue Team für das stärkste, das je in Hamburg gespielt hat. Der Titelgewinn wäre der Triumph, auf den die vielen Fans so sehnsüchtig warten, und vielleicht wäre es für Capla der Schlüssel zu den Herzen der Menschen, den er bislang nicht gefunden hat. Wie kein anderes Mitglied des Klubs war Capla bislang den Anfeindungen der Anhänger ausgesetzt. Fragt man Capla nach der Einschätzung seiner Rolle, wiegelt dieser ab: "Wenn man Entscheidungen treffen muss, kann man es nie allen recht machen. Damit muss ich leben." Er legt jedoch Wert auf die Feststellung, Entscheidungen nie alleine zu treffen. "Ich bin guten Argumenten zugänglich, und deshalb bin ich auch niemals allein für den Erfolg zuständig, aber auch niemals allein für den Misserfolg."

Es kann niemand behaupten, dass die Freezers viel falsch gemacht haben, seit sie in Hamburg sind. Wie ein Naturereignis brachen sie im Herbst 2002 über die Stadt herein, die bis dato nie DEL-Eishockey erlebt hatte. Selbst der in den vergangenen beiden Jahren mäßige sportliche Erfolg hat den Zustrom der Massen nicht versiegen lassen. Im Schnitt kamen zu den Heimspielen der vergangenen Saison fast 12 000 Fans, was eine Auslastung der Color-Line-Arena von gut 90 Prozent bedeutete. Dennoch ist der Klub nur ein lokales Phänomen, überregional fehlt ein klar konturiertes Gesicht, und das liegt auch an der emotionsarmen Außendarstellung seines Geschäftsführers. "Ich bin ein Neutrum, für Emotionen sind die Spieler zuständig", sagt Capla zwar, dennoch wird man das Gefühl nicht los, dass dies eine Schutzbehauptung ist, weil er sich in der Öffentlichkeit unwohl fühlt.

Wohlfühlen, sagt er, könne er sich nur, wenn er Menschen um sich habe, denen er Blödsinn erzählen könne, ohne dass jedes Wort gegen ihn verwendet werde. Vielleicht erklärt sich daraus am besten sein Auftreten auf öffentlichen Terminen. Am Spielfeldrand steht er häufig mit unbewegter Miene und verschränkten Armen. Bei Interviews wirkt er oft so verkniffen, als hielte ihm jemand eine Pistole in den Rücken. Bei Pressekonferenzen wartet er im Hintergrund nahe der Tür, um schnell entwischen zu können. Wer ihn etwas fragt, muss auf eine patzige Antwort gefasst sein. Capla wirkt dann wie ein Habicht, der sich beherrschen muss, um nicht auf seine Beute einzuhacken. Ein schlichtes Ja hält er für eine erschöpfende Auskunft. Und er wittert hinter jeder Frage eine versteckte Anschuldigung. Selbst wenn man sich nur nach dem Wetter erkundigte, müsste man als Antwort ein "Es ist nicht unsere Schuld, dass es heute regnet!" einkalkulieren.

Man muss in die Vergangenheit schauen, um diese Abwehrhaltung zu verstehen. Der in Bratislava geborene Capla war schon als Vierjähriger von seinem Vater Josef, in der damaligen Tschechoslowakei ein Eishockey-Superstar, in die großen Hallen mitgenommen worden. "Seit ich auf der Welt bin, dreht sich alles um diesen Sport", sagt er. Die Bekanntheit seines Vaters jedoch war nicht immer förderlich für die Karriere. "Die Leute dachten immer, man bekommt alles geschenkt", sagt er. Um zu beweisen, dass es nicht so ist, arbeitete er immer etwas härter als andere. So einer ist selten beliebt.

Als Capla mit 26 Jahren wegen eines Halswirbelanbruchs seine Spielerkarriere beenden musste, konnte er nahtlos ins Geschäftsleben einrücken. Seine A-Trainerlizenz hatte er nebenbei absolviert, ebenso die Ausbildung zum Büro- und Verlagskaufmann. Doch als kleiner Angestellter zu wirken passte nicht ins Selbstbild des umtriebigen Managers. In seiner eigenen Sportmarketing-Agentur machte er die Erfahrung, "Fehler aus eigener Tasche bezahlen zu müssen". Dass Kritiker ihm vorwerfen, mit dem Geld früherer Arbeitgeber weniger zimperlich umgegangen zu sein, dass sie ihm ob seiner Körpergröße von 168 cm das "Little-Man-Syndrom" unterstellen, lässt ihn kalt. "Die Leute kennen nie die ganze Geschichte, sie sehen nur Ausschnitte. Ich weiß, was war, und ich weiß, dass meine Gedankenansätze richtig waren."

Für das, was er mit den Freezers einmal erreichen will, hat Capla eine klare Vision: "Die Freezers sollen eine international anerkannte Marke werden, die für Erfolg und gute Unterhaltung steht", sagt er. Dafür arbeitet er 24 Stunden am Tag. Das Handy wird selbst an den Bettchen seiner eineinhalb Jahre alten Zwillinge Dominic und Lena nicht abgeschaltet. Er wolle Beruf und Privatleben gar nicht trennen, "weil ich ja auch im Büro die Verantwortung für meine Kinder nicht abgeben will". Dass Freundin Maya, mit der er seit sechs Jahren liiert ist, für diese Einstellung Verständnis aufbringt, ist unabdingbar für eine funktionierende Beziehung.

Zur Entspannung treibt der Freezers-Boss am liebsten Sport, nichts zu tun falle ihm schwer. "Zum Ausruhen hat der liebe Gott den Tod erschaffen. Er hat uns 24 Stunden pro Tag gegeben, um Dinge zu erledigen, und die muss man nutzen." Das mag pathetisch klingen, ist aber genauso gemeint wie gesagt. Capla ist keiner, der mit seinen Worten viel Platz für Interpretationen lassen will. "Ich bin geradlinig, ehrlich, ein einfacher Mensch."

Auf die Palme bringen ihn Menschen, die "lügen, sich zu wichtig nehmen und faul sind". Viele seiner Kritiker werfen ihm jedoch gerade die ersten beiden Eigenschaften vor. Der Ausruf von Ex-Freezers-Stürmer Bobby House "Glaubt nichts von dem, was das verdammte Management euch erzählt" ist legendär und wird von vielen ehemaligen und aktuellen Profis mitgetragen. Ein Spieler erklärt Caplas Position so: "Alle haben großen Respekt vor seiner Arbeitsleistung, aber es gibt kaum jemanden, der privat mit ihm zu tun haben möchte."

Vielleicht beruht dies auf Gegenseitigkeit, weil Capla Abstand zu seinen Mitarbeitern pflegt. Und es ist besonders die Achtung vor seiner Arbeitsmoral, die in Gesprächen mit Wegbegleitern aus dem wirtschaftlichen Sektor deutlich wird. Andreas Mattner, Vorsitzender des Fördervereins "Hamburg Freezers e. V.", sagt: "Boris ist total verlässlich. Wenn es die Vorschriften nicht erfordern würden, würde ich mit ihm keine schriftlichen Verträge machen, weil sein Wort zählt." Marco Stichnoth, Manager von DEL-Konkurrent Hannover Scorpions, sagt: "Ich habe großen Respekt vor dem, was er aus dem Nichts in Hamburg geschaffen hat."

Vielleicht ist es Eishockey-Bundestrainer Uwe Krupp, der den Menschen Boris Capla am prägnantesten beschreibt: "Wir wissen alle, dass er manchmal nicht ganz einfach ist, aber ich arbeite hervorragend mit ihm zusammen, weil man sich auf ihn verlassen kann." Das wäre, in Vergangenheitsform abgewandelt, doch ein hübscher Satz für den Grabstein, der in einigen Jahrzehnten die Geschichte von Boris Caplas Leben erzählen soll.