HAMBURG. Moralisch gesehen müsste der Mann Ehrenmitglied auf Lebenszeit im Hamburger Renn-Club sein, mit persönlicher Loge und allen erdenklichen Privilegien. Denn urheberrechtlich geht alles auf ihn zurück, was bei einem solchen BMW Derbymeeting veranstaltet wird. Sein Name: Edward Richard William Stanley.

Sein Bruder Peter, der in Newmarket bei Cambridge ein Vollblutgestüt betreibt, und seine Freunde nennen ihn Teddy. Teddy ist 44 und lebt mit seiner Frau Cassie und den beiden Söhnen Edward (8) und Oliver (4) im Nordwesten von England, zehn Kilometer von Liverpool entfernt, sowie in London. In Hamburg-Horn weiß kein Mensch, dass es ihn gibt, und er war auch noch nie dort. Doch in seinem Namen findet das ganze Spektakel auf der Rennbahn statt, denn er ist der 19. Earl of Derby.

Lord Derby, wie die korrekte Anrede lautet, ist heute das Oberhaupt der pferdebegeisterten englischen Adelsfamilie, die 1779 zum Namenspatron für das neuerdachte klassischste der klassischen Rennen auf der ganzen Welt wurde.

Skurril genug, dass man auf die Idee kam, es nicht einfach Zuchtpreis der Dreijährigen zu nennen, sondern nach einer lebenden Person. Zwei Männer schienen prädestiniert zu sein, ihren Namen zu geben: Lord Derby und Sir Charles Bunbury. Bei einem abendlichen Dinner warfen sie in großer Runde eine Münze: Edward Smith Stanley, der 12. Earl, hatte mehr Glück.

In England wurden Galopprennsport und moderner Sport überhaupt erfunden. Mit zeitlicher Verzögerung kopierten die anderen Länder vieles. Auch die Idee eines alljährlichen Spitzenvergleichs für dreijährige Hengste und Stuten stets zu derselben Jahreszeit, über anderthalb Meilen derselben Bahn, mit langfristigem Nennungsschluss und nur einmaliger Startmöglichkeit (jedes Pferd kann nur einmal in seinem Leben im Derby starten) überzeugte die Nachahmer in Irland, Frankreich, Österreich, Deutschland und rund um den Globus. Viele kopierten gleich auch den Namen dafür.

Diesem geduldeten Namensdiebstahl folgten, unautorisiert, weitere, vor allem in Deutschland, wo dem 1869 gegründeten Norddeutschen bzw. Deutschen Derby ein Traberderby, das Spring- und Dressurderby und zahlreiche andere Wettbewerbe mit dem Namensbestandteil Derby nachempfunden wurden.

Meistens weiß bei den Veranstaltern heute niemand, wo der Ursprung dafür liegt. Besonders grotesk ist es, wenn etwa eine American-Football-Begegnung zwischen Frankfurt Galaxy und Düsseldorf RheinFire als "das Deutsche Derby" angekündigt wird oder Rundfunkreporter die Bundesliga-Begegnung zwischen Borussia Dortmund und Schalke 04 als die Mutter aller Derbies betiteln, ähnlich dem Münchener Derby zwischen den Bayern und den Löwen von 1860.

Der Hamburger Renn-Club hat nie etwas gegen die ausufernde Abkupferei unternommen, was nun auch zu spät sein dürfte. Ob er das Recht dazu gehabt hätte, ist unklar. Die Familie Derby hat bisher ebenfalls alles geduldet, eine Einladung nach Hamburg zum nach ihr benannten Rennen aber ausgeschlagen. Es dürfte jedoch wohl kaum damit zusammenhängen, dass der 17. Earl als britischer Botschafter in Paris 1919 mit zu den Vätern des Versailler Vertrages gehörte.

Der 19. Earl, ein allseits beliebter, als locker beschriebener Mensch, hat in London offenbar genug mit seinen Geschäften als Banker zu tun und seinen zahlreichen Ehrenämtern. Er sitzt in 110 Vereinsvorständen, vom Museum Liverpool bis zum Profi-Golfverband. Außerdem betreibt er in der Nähe seines Stammsitzes den größten Safaripark des Landes mit jährlich über 500 000 Besuchern.

Durch die ganze Welt führten ihn in den letzten Jahren Reisen mit seiner Klassestute Ouija Board, einer siebenfachen Gruppe I-Siegerin. "Sie hat mein Leben verändert", sagt er heute. Anders als seine Vorväter hat er stets nur eine kleine Zahl an Rennpferden. Weltchampion Ouija Board war zeitweise das einzige. Erkennen konnte man sie an einer weltweit geschützten Rennfarbenkombination: Weiße Kappe, ansonsten alles schwarz, bis auf einen weißen Knopf.

Diese Verrücktheit ließ man eintragen, als die Familie mit Hyperion in den 30er Jahren im englischen Derby siegte. Dabei hatte Jockey Tommy Weston seinen Renndress schlecht zugeknöpft, ein Stück vom Unterhemd schaute hervor. Rennsport-Aberglaube führte hinterher zu der Annahme, das sei der Glücksbringer gewesen.