Vor zwei Wochen hätte kaum jemand daran geglaubt - doch nun geht es für das Team von Heiner Brand um den Titel.

Wiehl. Die Helden waren müde, sie wollten ins Bett, aber daraus wurde erst mal nichts. Als die deutschen Handballer in der Nacht zum Freitag im Hotel zur Post in Wiehl eintrafen, wurden sie dort schon von 500 Fans erwartet. Mit Sprechchören und einem Feuerwerk feierten sie den 32:31-Sieg nach zweimaliger Verlängerung im Halbfinale der 20. Weltmeisterschaft gegen Europameister Frankreich. Es waren Szenen, wie man sie bisher nur von der Fußball-WM kannte. "Die Stimmung war wie damals beim Spiel um Platz drei in Stuttgart", berichtete Spielmacher Michael Kraus, "nur dass alle Winterjacken anhatten."

Die Kleidung täuscht. Es ist Handballfrühling in Deutschland, und er treibt jeden Tag neue Blüten. Am Donnerstag waren durchschnittlich 10,64 Millionen Fernsehzuschauer live via ZDF zugeschaltet, was einem Marktanteil von 41,3 Prozent entspricht. Eine solche Quote hat Handball noch nie verzeichnet, aber selbst dieser Rekord dürfte nur drei Tage Bestand haben. Am Sonntag stehen die deutschen Männer zum siebten Mal in einem WM-Finale (16.30 Uhr/ARD), dem "wichtigsten Spiels unseres Lebens", wie es HSV-Rückraummann Pascal Hens ausdrückte. Es wird ein Straßenfeger werden.

"Das sind Sachen, von denen man träumt", schwärmte Kreisläufer Christian Schwarzer. Von einem "Wunder" sprach gar Torhüter Henning Fritz, der gegen die Franzosen mit einer Parade Sekunden vor dem Ende zum Sieggaranten geworden war. Bundestrainer Heiner Brand drückte sich besonnener aus: "An diese Entwicklung hätten wir vor zwei Wochen nicht zu denken gewagt." Seiner Mannschaft gestand er am Freitag einen Ruhetag zu - sofern davon die Rede sein kann, wenn 150 Journalisten das Hotel belagern und Fähnchen schwenkende Schulklassen aufmarschieren. Für Sonnabendnachmittag ist eine leichte Trainingseinheit angesetzt.

Es gilt, die Lehren aus der 25:27-Vorrundenniederlage gegen die Polen umzusetzen, der einzigen, die der Gastgeber bei diesem Turnier hinzunehmen hatte. Sie ist aufgearbeitet, aber nicht vergessen. "Wir haben damals weder die Leidenschaft noch das Publikum auf unsere Seite gebracht", erinnert sich Fritz. Was den Finalgegner angeht, sieht sich Brand bestätigt: "Die Polen waren für mich immer ein Geheimfavorit auf den Titel." Seine Mannschaft habe jetzt eine "realistische Chance: Ich denke, sie ist in der Lage, noch einmal eine solche Leistung zu bringen."

Gegen Frankreich sei man der "glückliche, aber nicht unverdiente Sieger" gewesen. Auf die umstrittene Szene kurz vor Schluss, als dem französischen Linksaußen Michael Guigou ein offenbar einwandfreier Treffer aberkannt wurde, ging Brand am Freitagmittag nicht ein - er hatte erst die Hälfte der Partie auf Video studiert. Die Wut der Franzosen war am späten Donnerstagabend im WM-Quartier in Königswinter in einem Eklat gegipfelt. Ein Betreuer hat Augenzeugen zufolge dem norwegischen Schiedsrichter Kenneth Abrahamsson einen Fauststoß in den Rücken versetzt. Der Unparteiische wurde offenbar Opfer einer Verwechslung: Das Halbfinale war von den Schweden Patrick Hakansson/Maths Nilsson geleitet worden. Der Weltverband IHF quartierte daraufhin die verbliebenen fünf Schiedsrichtergespanne nach Bonn um. Auf diese Idee hätte man womöglich früher kommen können.