ABENDBLATT: Herr Baur, wie haben Sie nach dem Halbfinaldrama gegen Frankreich geschlafen?

MARKUS BAUR, Kapitän der deutschen Handball-Nationalmannschaft: Sehr gut. Ich bin spät eingeschlafen - und zur gleichen Zeit aufgewacht wie immer.

ABENDBLATT: Waren Sie gar nicht aufgewühlt?

BAUR: Ich war ziemlich entspannt. Wir haben gewonnen, da fällt es leichter, so ein Spiel zu verarbeiten.

ABENDBLATT: Sie haben große Teile des Spiels von der Bank aus erlebt. Leidet man außen mehr als auf dem Parkett?

BAUR: Es ist von Vorteil, wenn man überhaupt zur Mannschaft gehört, weil man weiß, dass man unter Umständen etwas bewirken kann. Viel schlimmer ist es, hinter der Bank zu sitzen.

ABENDBLATT: Ist das Halbfinalspiel mit dem Viertelfinale bei Olympia 2004 zu vergleichen, als Sie gegen Spanien erst im Siebenmeterwerfen gewannen?

BAUR: Manchmal hatte ich tatsächlich das Gefühl: In diesem Film waren wir doch schon mal! Es war ein supergeiles Handballspiel, ich konnte es richtig genießen. Nach der ersten Auszeit habe ich zu den Jungs auf der Bank gesagt: ,Hey, Männer, schaut euch das an, wir dürfen hier dabei sein. Und es gibt nur einen, der dieses Ding gewinnen kann, und das sind wir.' So ist es am Ende auch gekommen, wenn auch vielleicht etwas glücklich.

ABENDBLATT: Waren Sie sich wirklich so sicher?

BAUR: Ich habe es eben gefühlt. Nach der ersten Verlängerung hatte ich ein Gespräch mit dem französischen Abwehrchef Didier Dinart. Er meinte, wir hätten keine Chance. Ich habe ihn dann gefragt, ob er sich an unser WM-Viertelfinalduell in Frankreich 2001 erinnert: ,Damals habt ihr gewonnen. Jetzt sind wir, glaube ich, in Deutschland.'

ABENDBLATT: Schalten Sie zwischen den Spielen auch mal ab, oder geht man mit einem Tunnelblick durch so ein Turnier?

BAUR: Ein Tunnelblick ist gar nicht nötig. Wir haben uns von Spiel zu Spiel verbessert. Das geht nur, wenn man sich Gedanken macht. Wenn man sich komplett abschottet, vergisst man das Wesentliche.

ABENDBLATT: Das Halbfinale haben etliche Millionen im Fernsehen gesehen, die vorher keinen Zugang zum Handball hatten. Die erwarten jetzt, das haben Umfragen ergeben, einen klaren Sieg gegen Polen . . .

BAUR: Ich habe Zugang zum Handball und sage etwas anderes. Die Polen stehen im WM-Finale, sie haben eine Weltklassemannschaft mit Superspielern, die in deutschen Spitzenklubs eine wichtige Rolle einnehmen. Ihr Rückraum sucht seinesgleichen. Und sie haben uns bei diesem Turnier schon einmal geschlagen.

ABENDBLATT: War diese Vorrundenniederlage womöglich die Voraussetzung für die Leistungssteigerung, die dann folgte?

BAUR: Entscheidend war die 45-minütige Videositzung am Tag danach. Heiner Brand hat uns alleingelassen und uns am Ende gefragt, was wir in diesem Spiel alles nicht gemacht haben. Das Erstaunliche war: Alle haben das Gleiche erkannt. Jeder weiß, was diese Mannschaft ausmacht und wo ihre Fähigkeiten liegen.

ABENDBLATT: Nämlich?

BAUR: Dass sie charakterstark und gefestigt ist. Sie besteht aus völlig unterschiedlichen Typen. Aber jeder gönnt dem anderen alles, ist bereit, für ihn alles zu geben, kann sich auf den anderen verlassen. Bezeichnend ist doch, dass in jedem Spiel ein anderer der Held war.

ABENDBLATT: Hätten Sie sich diese Begeisterung rund um die WM jemals träumen lassen?

BAUR: Ich finde es eine absolute Unverschämtheit, dass ich 36 Jahre alt werden musste, um so etwas erleben zu dürfen, und andere das schon mit 23 haben. Als wir am Donnerstagabend nach Hause fuhren, rief der Busfahrer plötzlich, vor dem Hotel würden 500 Menschen auf uns warten. Wir dachten, er will uns veralbern. Aber es war wirklich so. Das ist großartig.

ABENDBLATT: Was wird von der Euphorie bleiben, wenn am Montag der Alltag beginnt?

BAUR: Für uns Spieler sehr viel, wir genießen alles. Was den Handball insgesamt betrifft: Unsere Erwartungen wurden noch übertroffen. Die Zahlen belegen, dass wir hinter Fußball klar die Sportart Nummer zwei sind. Da ist schon einiges passiert.

ABENDBLATT: Trotzdem sorgt sich der Bundestrainer, weil die deutschen Talente in der Bundesliga kaum Bewährungschancen haben. Ist diese Sorge berechtigt?

BAUR: Natürlich. Wir haben hier zwar eine relativ junge Truppe beisammen. Aber einige dieser Spieler kommen in ihren Vereinen kaum zum Einsatz. Die Juniorennationalspieler, die es binnen zwei Jahren schaffen, in der Bundesliga Spielanteile zu bekommen, kann man an einer Hand abzählen. Umgekehrt haben wir viele junge ausländische Spieler bei uns, die in ihrer Heimat früh in die Verantwortung genommen wurden.

ABENDBLATT: Heißt das, wir müssen uns um die Nationalmannschaft Sorgen machen?

BAUR: Um konstant auf höchstem Niveau zu spielen, wäre eine Quotenregelung sicher sinnvoll. Um es klar zu sagen: Wir reden hier über eine Begrenzung auf zehn ausländische Spieler pro Bundesligamannschaft. Ich kann Heiner da nur unterstützen. Letztendlich profitiert die Liga doch auch von den Erfolgen der Nationalmannschaft. Wenn die Hallen in den nächsten Wochen voll sind, wird sich keiner beschweren.

ABENDBLATT: Was halten Sie von der Idee, Weltmeisterschaften nur noch alle vier statt alle zwei Jahre auszutragen?

BAUR: Ich würde das begrüßen, auch wenn es mich wahrscheinlich nicht mehr betrifft. Für die Spieler ist es ein Vorteil, weil die Belastung geringer wird. Was auf sie derzeit einstürzt, ist nicht mehr zu verantworten. Zudem würde der Titel aufgewertet.

ABENDBLATT: Was sagt Ihr Körper nach so vielen Spielen binnen so kurzer Zeit?

BAUR: Ich hatte durch meine Verletzung ja zwei weniger als die anderen. Und spätestens wenn wir beim Finale am Sonntag einlaufen, spürt keiner mehr etwas.